Mittwoch, 27. Juli 2022

Canaletto-Bellotto in Elbflorenz.


aus FAZ.NET, 26. 7. 2022                    Dresden vom rechten Elbufer unterhalb der Augustusbrücke            zu Geschmackssachen

Dresdner Fotoalbum des Rokokos

Wie der Neffe des venezianischen Canaletto in Sachsen die Kunst revolutionierte und was sich De Chirico später genau ansah: Dresden zeigt die ganze Kunstfertigkeit „seines“ Bernardo Bellotto

von Stefan Trinks

Im Jahr 1747 kam der venezianische Maler Bernardo Bellotto nach Dresden, angelockt durch ein Jahresgehalt von sehr respektablen 1750 Talern, die ihm der sächsische Kurfürst Friedrich August III. bot. Diese legte er offenkundig gut an: Ein Dresdner Versicherung-sinventar von 1762, nach Zerstörung seines Hauses im Siebenjährigen Krieg, führt Schä-den im Wert von nicht weniger als fünfzigtausend Talern auf, darunter 515 Bücher und mehrere Druckpressen für seine gut verkäuflichen Radierungen, zudem ein sehr wert-volles Meißner Service als Geschenk seines Mäzens, des sächsischen Premierministers Heinrich Graf von Brühl, für den er viele seiner Gemälde ein zweites Mal fertigte. Doch aus Bellottos anfangs rein materieller Lockung nach Dresden wurde bald schon echte Begeisterung für die Residenzkapitale seines Dienstherren, die so völlig anders war als seine Heimatstadt Venedig.

Statt der mäandernden Kanäle und überwiegend dunklen Gassen nur ein großer Fluss; statt der prächtigen Renaissancepaläste am Rialto ein Haufen mittelalterliche Bruchbuden und hier und da ein ansehnlicheres Barockpalais dazwischen. Aber der Künstler, der wie schon sein Onkel Antonio Canal nach venezianischer Art Canaletto („Kanälchen“) ge­nannt wurde, wie zweihundert Jahre zuvor schon der Renaissancemaler Jacopo Ro­busti aus der Lagunenstadt in Tintoretto-„Färberchen“ umgetauft worden war, venezianisierte die sächsische Hauptstadt: Bellotto verwandelte Dresden in seinen Bildern in eine pulsie-rend mediterrane Stadt. Und wie schon die von den Touristen der Grand Tour gern gekauften gemalten Souvenir-Capriccios Piranesis in Rom und Canalettos Veduten in Venedig die ursprünglichen Bilder im Kopf in der fernen Heimat bald überlagerten, so überschreibt und übermalt Bellotto das Bild im Kopf, das die Dresdner und Pirnaer von ihren Städten hatten, sehr schnell mit neuen, großzügigeren.


Pirna von Copitz aus  1754-1756 

Mit Recht heißt die große Schau zum 300. Geburtstag des malenden Stadtver­hexers in der Galerie Alte Meister zu Dresden daher „Bernardo Bellotto – Zauber des Realen“. Tat-sächlich idealisiert er kaum noch, ganz anders als sein Onkel mit dessen immer aufgeräum-ten und geschönten Venedigansichten. Vielmehr lehrt er die Sachsen, ihre baulichen und verhaltensmäßigen Eigenarten mit mediterranen Augen zu sehen.

Sein Blick sieht auch schmutzige Wäsche

Wenn Bellotto etwa 1753 die „Schiffvorstadt in Pirna“ malt, fährt der Blick erst einmal nach kurzem Gleiten über eine spiegelnde Elbebucht gegen die Wand. Spitzweghaft stehen da von der Mitte des Bildes an bucklig mittelalterliche Fachwerkhäuschen mit verbretterten Obergeschossen und löchrigen Dächern. Das Schloss hoch oben auf dem Felsen gewahrt man nur in einem winzigen Anschnitt auf der linken Bildseite. Der Seitenarm der Elbe im Vordergrund ist so flach, dass das Wasser den saufenden Kühen nur bis knapp über die Hufe geht. Während aber am Ufer Wäschetag ist und drei Personen eine abenteuerliche Holzkonstruktion zum Trocknen der Tücher errichtet haben, stutzt man über ein gelblich braunes Laken auf dem Gestänge. Das soll nicht nur sauber, sondern rein sein? Überragt wird das seltsame Trockengestell von den spinnrigen Fingern eines abgestorbenen Weidenbaums, durch den Bellotto den Blick zu den Bruchbuden auf der anderen Seite der Bucht weiterleitet. Dort ist der – neben den Rindern im Wasser – zweite Schuldige auszumachen: ein Aborterker, anhand dessen die Wand nach unten ziehender Schmutzspur klar ist, warum in diesem Teil der Elbe Wäsche und Gewaschene nie blütenweiß werden, ähnlich wie auch in Venedig oft bis heute wenig vertrauenswürdiges Wasser in den Kanälen und Leitungen fließt.

Trümmer der ehem. Kreuzkirche in Dresden, 1765

Ebenso fallen auf dem zwei Jahre zuvor entstandenen monumentalen „Altmarkt in Dresden von der Seegasse aus“ nicht die Frauenkirche, die nur im Anschnitt zu sehen ist, oder die unübersehbare Menschenmenge an diesem quirligen Markttag ins Auge, die lediglich aus pointillistisch hingetupften Kopfpunkten in Orange, Grün, Gelb und Rot besteht. Vielmehr blickt man vorrangig auf die vorn im Schatten lungernden Sänftenträger, die ihre Chaisen abgestellt haben und auf Kundschaft warten. Diese Taxifahrer des achtzehnten Jahrhunderts sehen dabei ähnlich wüst aus wie ihre heutigen Pendants, und ähnlich mitgenommen zerzaust sieht auch der links im Vordergrund feilgebotene Hammel aus, über dessen Verkauf sich zwei gut gekleidete Herren unterhalten.

Was die malerische Darstellung von Architektur betrifft, blieb Bellotto überwiegend beim Erfolgsmodell seines Onkels und bei seinem „Lehrer“ in Sachen Veduten, dem niederländischen Maler Caspar van Wittel, der in Dresden mit einem hervorragenden Bildbeispiel vertreten ist. Er schuf detailverliebte Straßenprospekte, die mit ihrem leichten Grünstich und Sepiaschleier auf den Fassaden auch Fotografien der Fünfzigerjahre sein könnten, was durch die deutlich harscheren Licht-Schatten-Kontraste verstärkt wird, die jedes Oberflächendetail überblenden und die Bauten grafisch wirken lassen. Im Vergleich zu seinem Onkel hat der eine Generation jüngere Bellotto auch mehr Augen für die Schönheit und Skurrilität von Ruinen: Sein himmelragendes Großformat „Die Trümmer der ehemaligen Kreuzkirche in Dresden“ von 1765 könnte ebenso vom Surrealisten Franz Radziwill stammen: Selbst der Turmstumpf der Kreuzkirche, der da Stein für Stein abgetragen wird, ragt noch achteinhalb Geschosse hoch und wirkt mit den in ihm wuselnden Abrissarbeitern wie ein gigantischer Termitenhaufen. Der im Siebenjährigen Krieg stark beschädigte mittelalterliche Turm konnte nicht ohne Gefahr für seine Umgebung gesprengt werden, daher die fitzelige Arbeit, die rein manuell vonstattengeht. Vor dem Trümmerhaufen aus Bauschutt werkeln Steinmetze schon am Wiederaufbau der Kirche. Und in der Galerie bilden sich wiederum vor den Trümmern Menschentrauben: Ältere Dresdner, die den Untergang der Stadt im Zweiten Weltkrieg noch miterlebt haben, stehen besonders lange und mit tränenverhangenen Auge



Der Marktplatz von Pirna  1753
Einerseits zeigt die Schau ausführlich das Werden Bellottos: seine eigene Bildungsreise nach Florenz, Rom, Turin sowie Verona mit den Etschbrücken und spätere Zwischenstationen in Wien und München, schließlich in der finanziellen Krise nach dem Siebenjährigen Krieg mit dem nach Polen „geflohenen“ Friedrich August III. von 1766 an auch Warschau (zu dem im Semperbau ein ganzes Kabinett mit Ansichten der polnischen Residenzstadt und ihrer Umgebung eingerichtet ist). Ebenso wird der fesselnde elfteilige Zyklus mit den riesigen Ansichten Pirnas präsentiert und damit die noch einmal größere Freiheit, die Bellotto sich bei diesem freien Sujet nimmt. Speziell aber die präimpressionistischen Zeichnungen von Landschaften und die Capriccios „Lagune mit Turm“ oder der „Turm von Maghera“ aus der Museum & Art Gallery in Bristol sind Offenbarungen. Angesichts der fahlen Haus-Gesichter mit großen, mundartigen Portalbögen in einer surreal leeren Wasserlandschaft versteht man intuitiv, was Giorgio de Chirico im zwanzigsten Jahrhundert so sehr an Bellottos bisweilen bizarren Architekturen fasziniert hat.

Andererseits werden auch die technischen Grundlagen der Kunst nicht vernachlässigt, wenn gezeigt wird, wie Bellotto die Kreidevorzeichnungen seiner Architekturen in der Farbe aufgehen lässt, Baudetails ins noch frische Öl ritzt, Figuren nur tupft und für die meisten seiner tief nach unten gezogenen Himmel nurmehr eine einzige Malschicht anlegt.

Beides, der Augenschmaus und die am Objekt gezeigte Techne Bellottos, machen die Schau zu einer der ansehnlichsten und instruktivsten des Jahres.


Zauber des Realen - In der Gemäldegalerie Alte Meister, Dresden; bis zum 28. August. Der wie gewohnt vorzügliche Katalog im Sandstein Verlag kostet 48 Euro.

Die Festung Königstein 1756-1758.

Nota. - Je mehr Realitätssinn in die Rokokomalerei kommt, umso mehr nähert sie sich der gegen Ende des Ancien Régime aufkommenden romantischen Stimmung - wie übrigens in den englischen Gärten der Übergang von Kent zu Brown; und wäre nicht in Frankreich eine Revolution ausgebrochen, wär's vielleicht auf ein Frühbiedermeier hinausgelaufen. Während der Onkel London noch unter italienischem Himmel malte, ist der Neffe fast so in den Verfall verliebt wie sein Landsmann Guardi

Ein Wort zu Casper van Wittel, bekannter vielleicht als Gaspare Vanvitello. Er hatte sich nicht wie mancher "iatlisierender"  Niederländer darauf beschränkt, daheim Phantasielandschaften mit italienischer Beleuchtung auf die Leinwand zu bringen, sondern war noch ganz jung nach Rom gegangen, wo er triumphal die Kunst der holländischen Stadtlandschaften einführt: Die weltberühmte italienische Vedutenkunst war die Erfindung eines Holländers.
JE

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