Samstag, 23. Juli 2022

Pflicht und Kür.

 
Die Geschichte des Männlichen in Natur und Gesellschaft.
Eine politische Anthropologie

Abstract:
The manliest species and the most childlike, too.
Throughout natural history, 
manhood  appears as a deficient variety of original unisex femininity, just aimed for procreation and genetic diversity. Mankind is the only species where it acquires a role of its own in Evolution. When femininity’s main features seem to be sustenance and consolidation, manhood’s are imperfection and endeavour.
Since then, the destinies of mankind are shaped by two opposite drives. 
Erectness and the opening of an originary natural niche towards a historical World appear as ‘male’ achievements, while, then, settling, economy and labour match with the ‘female’ scheme.
With division of labour progressing, enterprise and competition emerge, converting
intimate communal bounds into public market society. The emprise of fixed capital upon living labour will finally, via the so-called Managerial revolution, result in the bureaucratisation du monde. Medial revolution and globalisation, as two faces of a medal, announce the complet reversal of the hitherto history of economy and Labour civilization. This is another challenge to the always precarious gender balance; since for the first time, manhood’s natural ally will have a say; and this is childhood.
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Inhalt

I. Pflicht und Kür, oder Die Ausnahme von der Regel 
Die biologische Nachrangigkeit des Männlichen 

II. Mythos und Ur-Sprung oder Biologie und Bedeutung
Hermeneutik: Wer fragt wonach

III. Erst wenn der Kopf oben ist, gehen wir aufrecht 
Eine erste Emanzipation des Mannes
IV. Der Mann am Herd, oder: Die Domestikation des Männlichen
Haushalt: die Remediatisierung des Mannes
V. Öffentlichkeit – eine männliche Dimension
Schein und Wirklichkeit des Geschlechterkampfs
VI. (Schluss) Das Kind ist der Vater des Mannes
Die zweite Emanzipation des Männlichen



I. Pflicht und Kür, oder Die Ausnahme von der Regel

Frauen sind, was sie sind. Männer müssen immer erst etwas tun, um etwas zu sein…
… hieß es mal in einem feministischen Radioessay. Soll heißen, Frauen sind Natur, Män-ner sind künstlich. Früher war es die Überlegenheit des Mannes, die “natürlich” begrün-det wurde: Frauen seien das schwächere Geschlecht. Die klassische Frauenbewegung war daher kulturalistisch. Alle Geschlechtscharaktere, die über den sprichwörtlich kleinen Un-terschied hinaus gehen, seien erst historisch erworben.* Alles nur Erziehung! Als Frau wird man nicht geboren, zur Frau wird man erst gemacht, sagte die Beauvoir. 

X und Y
Der neuere Feminismus denkt naturalistisch. Jetzt heißt es, die Frau sei das eigentlich starke Geschlecht. Zugespitzt in dem Satz “Mannsein ist der am weitesten verbreitete genetische Defekt auf der Welt”, der dem Berliner Molekularbiologen Jens Reich zuge-schrieben wurde (der sich selber nicht daran erinnern kann). Eigentlich sei das Leben, und der Mensch zumal, weiblich.

Das Männliche sei nur eine nachträgliche Ab- oder Ausschweifung der Evolution. Und tatsächich ist ja das Y-Chromosom stammesgeschichtlich nur eine späte, verstümmelte Abart des X-Chromosoms. Während die (starke) Frau in ihrer doppelt gesicherten Ge-schlechtsidentität ruht – XX -, hat das männliche Individuum gegen seinen einen heilen, weiblichen Anteil nur ein beschädigtes Gechlechtsstummelchen aufzubieten, das noch nicht einmal überall mit ‚Information’ besetzt ist: XY!

Und nie bringt er es zu einem guten Ende, immmer wieder muss er von vorn anfangen, von Zweifeln zerfressen und ohne Rast, als müsse er etwas beweisen. Rechtfertigung ist ein männliches Thema. Frauen sind, was sie sind, aber Männer müssen immer erst irgend-was tun, um irgendwas zu werden. Während sie in sich ruht, ist er einer, der ‚von Natur’ immer strebt. Sie ist Substanz, er nur Akzidenz, das Weibliche ist sicher, das Männliche ist prekär. So sind die Befunde der Molekularbiologie.

Die feministische Interpretation liegt auf der Hand. Aber flach auf der Hand. Erst wenn man sie umkehrt, bekommt sie Tiefe. Und einen historischen Sinn. Nämlich so: ‚Weiblich’ war die Grundsuppe; doch ‚Männlich’ ist die Spiel-Art. Hier die Norm, da die Varianz. Das Zentrum und die Peripherie. Bewahrung und Risiko.

Der Fuß ist eine verkrüppelte Hand,
doch sind seine Mehrleistungen auf
der Erde evident. 
 Alfred Adler 

Durch drei Milliarden Jahre hat sich das Leben einfach reproduziert: ein-, d. h. unge-schlechtlich. Und entsprechend eintönig blieb das genetische Material. Das Spiel von Mu-tationssprüngen, Selektion und Ausbildung neuer Formen zog sich hin – unter Umstän-den länger als die Veränderung der sachlichen Lebensbedingungen, und eine Art um die andere ging ein: Für die Umstellung auf veränderte Umstände fehlte ihnen der Spielraum.

Die Ab- und Ausweichung eines andern Geschlechts, die Erfindung des Männlichen als Spielart des “weiblichen” Grundmusters hat nur den einen biologischen Sinn: das Erbgut zu diversifizieren und durch vermannigfachte Kombinationsmöglichkeiten die Mutations-sprünge breit zu streuen – und eo ipso die Auslese zu beschleunigen. Die männlichen In-dividuen sind dabei lediglich als Erbgutträger, als Samenbank erforderlich. Für alle andern Reproduktionsfunktionen sind sie entbehrlich. Selber lebenstauglich müssen sie nicht sein.

Sprichwörtlich wurden die Drohnen bei Bienen, Hummeln und Hornissen. Den männ-lichen Ameisen geht es auch nicht besser. Zuerst gehätschelt und verwöhnt; doch haben sie ihren Beitrag zum Arterhalt einmal entrichtet, werden sie abgeschoben und wohl auch als Nahrung verwertet. 


Symbolhaft sprechend ist die Ges-talt eines tropischen Tiefseefischs, des Peitschenanglers: Das weibliche Tier trägt sein “Zwergmännchen” wie einen Torpedo an seinem Un-terleib, als stets verfügbares geneti-sches Reservoir. Doch der Schein trügt. Das Männchen ist nicht als weiblicher Körperauswuchs zur Welt gekommen. Nur hat es schon im Kindesalter seine Bestimmung gekannt: zeugen, punctum. Und so hat es sich dem erstbesten Weibchen, das ihm begeg-nete, buchstäblich einverleibt, nämlich in seinen Bauch verbissen, sich seinem Blutkreis-lauf angeschlossen und das eigene Wachstum eingestellt. Es trägt den Samen, und damit gut. Andere Lebensaufgaben sind ihm in der ökologischen Nische des Peitschenanglers nicht beschieden. Entsprechend dürftig ist es ausgestattet. 

Prekär 

Noch heute weiß jede achtsame Mutter, dass Jungen eher kränkeln als Mädchen – und dass die Väter wehleidig sind: Das ist die Spur der Stammesgeschichte. Es scheint, als sei das Immunsystem der männlichen Individuen schon im Mutterleib herabgestimmt, um die Gefahr einer Abwehrreaktion des Trägerorganismus gegen das heranwachsende fremde Erbgut zu mindern. Und davon erholt es sich dann sein Lebtag nicht ganz. Eine neuere, verblüffend schlichte Erklärung für die höhere Krankheitsneigung und kürzere Lebensdauer der Männer besagt, dass ihr größerer Körper einfach mehr Angriffsfläche böte für Schädigungen aller Art.

Für diese ihre Körpergröße seien allerdings die Frauen verantwortlich: weil sie vorzugs-weise große Männer zur Fortpflanzung wählen. Tatsächlich sind große Männer wohl fruchtbarer als kleine. Gesünder brauchen sie aber nicht zu sein. Denn da sie eigentlich nur für die Arterhaltung, nicht aber für die Selbsterhaltung taugen sollten, ist ihr Organis-mus nur mangelhaft fürs Überleben ausgerüstet. In Darwins Welt gilt das Gesetz vom Survival of the fittest, dem Überleben des am besten Zugerichteten. Zugerichtet wofür? Für die ökologische Nische, in der die Gattung sich eingenistet hat. Überleben heißt Zu-gerichtetsein: Spezialisierung auf den Status quo.

Waren die untätigen Drohnen ein Hohn der Männlichkeit, so war der Löwe ihre Zier, die sie stolz in ihre Wappen malte. Bis die Verhaltensforschung auch diese Prahlerei zu Schanden machte. Für den Lebensunterhalt der Seinen ist der Löwe genauso nutzlos wie die Drohne. Nicht er macht Beute, sondern sein Harem. Die Frauen ernähren die Jungen und ziehen sie groß. Der Pascha bedient sich mit dem, was sie ihm bieten, und zeugt.

Und er verteidigt seinen Besitzstand gegen die Rivalen – bis er an einen Stärkeren gerät. Dann tauschen ihn seine Damen gegen den Neuen aus und schicken ihn in die Wüste, wo er allein nicht durchkommt. Wie die Drohne hat er seine Schuldigkeit getan und geht. Bis dahin hat er wohl eine bessere Figur gemacht. Doch außer seiner Zeugungskraft wurde keine seiner Fähig-keiten wirklich gebraucht, und seinem Ersatzmann wird es genauso gehen. Spezialisiert ist er als wandelnde Sa-menbank, und wenn er im Kampf der Rivalen sein Leben wagt, dann auch nur, damit der Sieger mit seinem besseren Erbgut dienen darf. 

Risikokapital 

Ansonsten hat das Männliche “von Natur aus” keinen eignen Platz im Erhaltungsplan der Gattung, für den es zugerichtet sein und für den es reifen müsste. Im Vergleich zur heilen Weiblichkeit wirkt es immer ein wenig unfertig, unbestimmt und beliebig: Es ist nicht “festgestellt”. Während der Zellteilung im Mutterleib treten bei den männlichen Ge-schlechtszellen fünfmal so viele Fehler auf wie bei den weiblichen! Freilich ist diese or-ganische Unbestimmtheit auch ein Reichtum an neuen Möglichkeiten. Die männliche Seite kann Eigenschaften entwickeln, die “von Natur” nicht geplant waren. Weibliche Ganzheit sichert den Erhalt des Lebens, doch männliche Unreife macht es dynamisch und bildsam. Das Weibliche ist das Standbein, das Männliche ist das Spielbein der Natur – ihr Risikokapital. Sie ist positiv, er ist problematisch.

Die feministische These von der natürlichen Zweitrangigkeit des Männlichen gehört da-her ins rechte Lot gerückt: Mannsein ist, wo es gelingt, die Überkompensation einer Or-ganminderwertigkeit – und darum der Treibstoff unserer Geschichte. Das Weibliche ist die Pflicht, das Männliche ist die Kür. Regel und Ausnahme. Sicherheit und Risiko; Haus-halt und Kunst, Ernst und Spiel.

*) Diesen Part übernimmt das gegenwärtige Trans-Gerassel. im Juli 2022

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