aus spektrum.de, 20.07.2022 Hirnzellen in bunten Farben: Expression von verschiedenen Genen und Proteinen (weiß, rot und grün) in den Hirnzellen von Mäusen (blau). Jochen Ebmeiers Realien; zu Philosophierungen
Wie schöne und schlimme Erinnerungen im Gehirn entstehen
Um zu unterscheiden, ob eine Erfahrung gut oder schlecht war, muss das Gehirn sie mit einer emotionalen Wertigkeit versehen. Ein einzelnes Neuro-peptid könnte der Schlüssel dazu sein.
von Daniela Mocker
Ein einzelner Neurotransmitter bestimmt offenbar entscheidend mit, ob das Gehirn eine Erfahrung als positiv oder als negativ abspeichert. Das berichtet ein Team um die Neuro-wissenschaftlerin Kay Tye vom Salk Institute for Biological Sciences im kalifornischen La Jolla nun im Fachmagazin »Nature«.
Die Bildung von Gedächtnisinhalten ist ein komplexer Prozess im Gehirn, an dem unter anderen der Hippocampus, aber auch verschiedene Regionen der Großhirnrinde beteiligt sind. Bereits 2016 entdeckten Tye und ihre Kollegen zudem in Versuchen mit Mäusen, dass offenbar bestimmte Nervenzellen in der basolateralen Amygdala, die eine wichtige Rolle bei der Verarbeitung von Emo-tionen spielt, dabei helfen, Erinnerungen eine positive oder negative Wertigkeit zu verleihen. So wurde die eine Neuronenpopulation stets dann aktiv, wenn die Nager schöne Erfahrungen machten, während eine andere Gruppe immer dann zu feuern begann, wenn die Tiere negative Zusammenhänge lernten, etwa, sich von einer bitter schmeckenden Flüssigkeit mit einer bestimmten Farbe lieber fernzuhalten.
Doch was bestimmt darüber, welcher Satz von Nervenzellen letztlich angeknipst wird? In ihren jüngsten Versuchen konnte die Gruppe um Tye das Neu-ropeptid Neurotensin als Verantwortlichen ausmachen: Gentechnisch veränderten Mäuse, deren Zellen Neuro-tensin nicht mehr ausschütten konnten, gelang es nicht mehr, Erinnerungen an positive Erfahrungen abzuspeichern. An Negatives erinnerten sie sich dafür umso besser, wie Verhaltensexperimente zeigten. Ein hoher Neurotensinspiegel förderte hingegen umge-kehrt das Belohnungslernen. An Negatives erinnerten sie sich dafür umso besser, wie Verhaltensexperimente zeigten. Ein hoher Neurotensinspiegel förderte hingegen umge-kehrt das Belohnungslernen.
Schlechtes brennt sich automatisch ins Gedächtnis ein
Tye deutet die Ergebnisse ihrer Arbeit als Hinweis darauf, dass das Gehirn im Grundzu-stand sozusagen auf Schwarzmalerei gepolt ist: Erinnerungen erhalten demnach auto-matisch eine negative Konnotation. Erst wenn Neurotensin ins Spiel kommt, können sie stattdessen mit Positivem assoziiert werden.
Evolutionär betrachtet ergebe das Sinn, weil es dabei helfe, potenziell gefähr-liche Situationen zu vermeiden, erklärt die Neurowissenschaftlerin. Andererseits könnte dieser Mechanismus bei Menschen aber auch die Entstehung von psy-chischen Erkrankungen begünstigen, bei denen negative Erinnerungen und Erfahrungen im Vordergrund stehen, wie Angststörungen, Depressionen oder Traumafolgestörungen. Im nächsten Schritt wollen die Forscherinnen und Forscher deshalb herausfinden, wie es bei Personen mit solchen Krankheiten um das Neurotensin im Gehirn bestellt ist. Lässt es sich womöglich sogar therapeutisch nutzen? Zudem gilt es zu ergründen, welche Signalwege dazu führen, dass der Neurotransmitter freigesetzt wird.
Nota. - Muss ich mich jedesmal entschuldigen, wenn die neurologische Forschung schon wieder eine faktische Lücke schließt, die die transzendentale Spekulation aufgerissen hat? Andersrum wärs peinlich: wenn ich bei jedem neuen Forschungsergebnis eine schon immer gewusste Erklärung aus der Tasche zöge, die mir leider nicht früher eingefallen war.
Wertnehmen kommt vor wahrnehmen, denn anders darf es nicht sein, wenn mein Gedächtnis das aufnimmt, was stärker ins Gewicht fällt, und hintanstellt, was sonst auch noch vorkommt und jenes einfärbt. Anders kann der Geist - 'das Ich' - nicht selbsttätig sein. Ist er aber frei, wenn ihm seine 'Wahl' von einem Neuropeptid vorgegeben wird?
Frei wäre es nicht, wenn zwischen dem 'guten' Reiz und jenem spezifischen Neuropeptid und dem 'schlechten' Reiz und seinem Neuropeptid ein sachlich vorbestimmter Zusammenhang zu beobachten wäre. Ist er das nicht - und ohne Kaffeesatz oder Kristallkugel dürfte er kaum zu eruieren sein - dann spielt der Zufall dem Verstand einen Streich, und der ist nicht minder geheimnisvoll als sein lebenspraktisches Korrelat, der Wille. Ohne diesen wäre jener ohne Sinn. Ob das Erlebnis mit Neurotensin ausgezeichnet oder in der Negativität belassen wird, entscheidet nämlich nicht Neurotensin selber.
Um zu unterscheiden, ob eine Erfahrung gut oder schlecht war, muss das Gehirn sie mit einer emotionalen Wertigkeit versehen. Ein einzelnes Neuro-peptid könnte der Schlüssel dazu sein.
von Daniela Mocker
Ein einzelner Neurotransmitter bestimmt offenbar entscheidend mit, ob das Gehirn eine Erfahrung als positiv oder als negativ abspeichert. Das berichtet ein Team um die Neuro-wissenschaftlerin Kay Tye vom Salk Institute for Biological Sciences im kalifornischen La Jolla nun im Fachmagazin »Nature«.
Die Bildung von Gedächtnisinhalten ist ein komplexer Prozess im Gehirn, an dem unter anderen der Hippocampus, aber auch verschiedene Regionen der Großhirnrinde beteiligt sind. Bereits 2016 entdeckten Tye und ihre Kollegen zudem in Versuchen mit Mäusen, dass offenbar bestimmte Nervenzellen in der basolateralen Amygdala, die eine wichtige Rolle bei der Verarbeitung von Emo-tionen spielt, dabei helfen, Erinnerungen eine positive oder negative Wertigkeit zu verleihen. So wurde die eine Neuronenpopulation stets dann aktiv, wenn die Nager schöne Erfahrungen machten, während eine andere Gruppe immer dann zu feuern begann, wenn die Tiere negative Zusammenhänge lernten, etwa, sich von einer bitter schmeckenden Flüssigkeit mit einer bestimmten Farbe lieber fernzuhalten.
Doch was bestimmt darüber, welcher Satz von Nervenzellen letztlich angeknipst wird? In ihren jüngsten Versuchen konnte die Gruppe um Tye das Neu-ropeptid Neurotensin als Verantwortlichen ausmachen: Gentechnisch veränderten Mäuse, deren Zellen Neuro-tensin nicht mehr ausschütten konnten, gelang es nicht mehr, Erinnerungen an positive Erfahrungen abzuspeichern. An Negatives erinnerten sie sich dafür umso besser, wie Verhaltensexperimente zeigten. Ein hoher Neurotensinspiegel förderte hingegen umge-kehrt das Belohnungslernen. An Negatives erinnerten sie sich dafür umso besser, wie Verhaltensexperimente zeigten. Ein hoher Neurotensinspiegel förderte hingegen umge-kehrt das Belohnungslernen.
Schlechtes brennt sich automatisch ins Gedächtnis ein
Tye deutet die Ergebnisse ihrer Arbeit als Hinweis darauf, dass das Gehirn im Grundzu-stand sozusagen auf Schwarzmalerei gepolt ist: Erinnerungen erhalten demnach auto-matisch eine negative Konnotation. Erst wenn Neurotensin ins Spiel kommt, können sie stattdessen mit Positivem assoziiert werden.
Evolutionär betrachtet ergebe das Sinn, weil es dabei helfe, potenziell gefähr-liche Situationen zu vermeiden, erklärt die Neurowissenschaftlerin. Andererseits könnte dieser Mechanismus bei Menschen aber auch die Entstehung von psy-chischen Erkrankungen begünstigen, bei denen negative Erinnerungen und Erfahrungen im Vordergrund stehen, wie Angststörungen, Depressionen oder Traumafolgestörungen. Im nächsten Schritt wollen die Forscherinnen und Forscher deshalb herausfinden, wie es bei Personen mit solchen Krankheiten um das Neurotensin im Gehirn bestellt ist. Lässt es sich womöglich sogar therapeutisch nutzen? Zudem gilt es zu ergründen, welche Signalwege dazu führen, dass der Neurotransmitter freigesetzt wird.
Das könnte Sie auch interessieren:
Spektrum Kompakt Bewusstsein – Der Ursprung des Geistes
Nota. - Muss ich mich jedesmal entschuldigen, wenn die neurologische Forschung schon wieder eine faktische Lücke schließt, die die transzendentale Spekulation aufgerissen hat? Andersrum wärs peinlich: wenn ich bei jedem neuen Forschungsergebnis eine schon immer gewusste Erklärung aus der Tasche zöge, die mir leider nicht früher eingefallen war.
Wertnehmen kommt vor wahrnehmen, denn anders darf es nicht sein, wenn mein Gedächtnis das aufnimmt, was stärker ins Gewicht fällt, und hintanstellt, was sonst auch noch vorkommt und jenes einfärbt. Anders kann der Geist - 'das Ich' - nicht selbsttätig sein. Ist er aber frei, wenn ihm seine 'Wahl' von einem Neuropeptid vorgegeben wird?
Frei wäre es nicht, wenn zwischen dem 'guten' Reiz und jenem spezifischen Neuropeptid und dem 'schlechten' Reiz und seinem Neuropeptid ein sachlich vorbestimmter Zusammenhang zu beobachten wäre. Ist er das nicht - und ohne Kaffeesatz oder Kristallkugel dürfte er kaum zu eruieren sein - dann spielt der Zufall dem Verstand einen Streich, und der ist nicht minder geheimnisvoll als sein lebenspraktisches Korrelat, der Wille. Ohne diesen wäre jener ohne Sinn. Ob das Erlebnis mit Neurotensin ausgezeichnet oder in der Negativität belassen wird, entscheidet nämlich nicht Neurotensin selber.
JE
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen