Mittwoch, 31. Juli 2024

Das synthetische Verfahren.

Gerd  / pixelio.de                      zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Wir haben nun drei logische Grundsätze; den der Identität, welcher alle übrigen begründet; und dann die beiden, welche sich selbst gegenseitig in jenem begründen, den des Gegenset-zens, und den des Grundes aufgestellt. Die beiden letzteren machen das synthetische Ver-fahren überhaupt erst möglich; stellen auf und begründen die Form desselben. Wir bedür-fen demnach, um der formalen Gültigkeit unseres Verfahrens in der Reflexion sicher zu seyn, nichts weiter. – 

Ebenso ist in der ersten synthetischen Handlung, der Grundsynthesis (der des Ich und Nicht-Ich), ein Gehalt für alle mögliche künftige Synthesen aufgestellt, und wir bedürfen auch von dieser Seite nichts weiter. Aus jener Grundsynthesis muss alles sich entwickeln lassen, was in das Gebiet der Wissenschaftslehre gehören soll.
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J. G. Fichte, Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, SW Bd. I, S. 123



Nota. - Doch lassen Sie sich nicht täuschen: Die Wissenschaftslehre ist nicht, wie Kant mä-kelte, "bloße Logik". Logik ist ein begründender Teil des Vernunftsystem; jenes soll die Wissenschaftslehre erst aus aufgefundenen Gründen rekonstruieren - und darf sie folglich nicht zu ihrer Voraussetzung nehmen.

Es ist wahr, dass Fichte dieser Umstand erst in der WL nova methodo recht klar geworden ist. Hier in der Grundlage... geht er, statt sie dem Leser vor seinen Augen zu entwickeln, so-zusagen im Vorgriff vom fertigen Begriff der Wissenschaftslehre aus und berichtet, wie er es machen würde, wenn er die vollendete Wissenschaftslehre aus sich selbst heraus entwik-keln müsste - a priori, wie er es im vollendeten System nennen würde. Da Kant, wenn über-haupt, von der WL nur die Grundlage... kannte - kennen konnte -, muss man ihm sein Un-verständnis wohl nachsehen; er war ja auch schon recht alt.

So dass Sie obige Stelle quasi als Umkehrung des tatsächlich von der Wissenschaftslehre verfolgten analytisch-synthetischen Verfahrens (nämlich nach Vollendung des ersten analy-tischen Ganges) auffassen dürfen - also vom Anfang her und nicht vom Ende, was bei ihm paradoxer Weise a posteriori hieße (so wie überhaupt eine Entgegensetzung fast von allein zu ihrer Umkehrung neigt).

*

Ach nein, gar so sehr schwebt es denn doch nicht. Die Wissenschaftslehre berichtet ja nicht von einem geschlossenen Begriffssysstem, das sie uns unterscheidend auseinandersetzte, sondern beschreibt einen fortschreitenden Gang des Vorstellens: Da ist jede (erst von der Reflexion zu identifizierende) Station nur möglich, wenn und weil die vorangegangene Sta-tion schon erklommen war. Eine jede Station ist also a posteriori.
JE, 11. 7. 20

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