Der Geist unserer Philosophie ist: Kein vorgebliches Ding an sich kann Objekt des Be-wusstseins sein. Nur ich selbst bin mir Objekt; wie lässt sich unter dieser Voraussetzung das Bewusstsein konstruieren?
Nun müssen wir zu Folge der Reflexionsgesetze zu allem Bestimmten ein Bestimmbares voraussetzen. Dies Gesetz haben wir bisher angewandt auf das Ich, welches Objekt der Philosophie ist. Nun aber ist der Philosoph auch ein Ich, folglich auch an dieses Gesetz ge-bunden. Das Ich ist sich selbst Objekt des Bewusstseins, sonach Subjekt und Objekt. Wir wollen beides auf einander beziehen. Zu diesem Behufe müssen wir beide auf einander be-ziehen als bestimmbar, sonach wird uns nach den Denkgesetzen das Ideale und Reale ge-schieden. Das Reale bedeutet nur das Objektive, das Ideale nur das Subjektive im Bewusst-sein.
Beides wird nun besonders betrachtet als bestimmbar, und dieses Denken gibt uns das bloß Intelligibele. Das Intelligible ist sonach nicht an sich, sondern etwas für die Möglichkeit un-serer Erklärung nach den Denkgesetzen Vorauszusetzenden. So behandelt es auch Kant, und jede andere Ansicht wäre transzendent.
Aber in wiefern ich beschränkt bin, bin ich irgend etwas nicht, was ich
aber nicht bin, das ist für mich nicht da. Nun aber liegt die
Beschränktheit außer mir; wie werde ich mir nun ihrer bewusst? Antwort: Sie
liegt nur zum Teil außer mir. Äußerlich bin ich beschränkt, aber nicht
innerlich, meine äußere Beschränktheit ahme ich innerlich nach.
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 166f.
Nota I. - Zunächt
einmal: 'Diskursiv', das heute in verschiedenster Bedeutung gebraucht
wird, verwendet er als bestimmtes Korrelat zu 'sukzessiv'. Da wir kein
Ganzes, sondern immer nur Teile auffassen können, und zwar eines nach
dem andern, können wir sie nur denken, indem wir in unserer Vorstellung
eines nach dem andern, in der Zeit, wieder an-einanderfügen.
Dies nennt er ein Denkgesetz.
Ein
Denkgesetz sei auch, dass wir zu jedem Bestimmten ein Bestimmbares
denken müssen. Ein 'Gesetz' soll das sein? Es ist lediglich eine
Explizitierung dessen, was im Verb 'bestim-men' vorgestellt wurde. Das Vorgestellte ist als Ganzes Eins, ein Singulum, und als ein sol-ches kann darüber keine Aussage gemacht werden (de singularibus non est scientia), man muss es in sich selbst unterscheiden, um es dar stellen zu können; und die 'Teile' nach ein-ander wieder zusammensetzen.
Das Vor gestellte ist das Gemeinte. Gemeint wird die Handlung des Bestimmens. Über-haupt jeder 'Begriff' ist lediglich eine solche Handlung, die als Ruhe gedacht wird. Als Handlung 'hat' sie aber - denn das ist das im Bild der Handlung Gemeinte - wenigstens diese drei 'Teile': S p dass q.
'Gesetz'
ist daran, dass man aus einem Gehalt nur herausholen kann, was er
enthält - in transzendentalem Sinn: was man hineingetan hat. Es ist das
Verhältnis von realer und ide-aler Tätigkeit.
28. 1. 17
Nota II. - Das ist wieder das kitzliche Thema Denkgesetz. Es ist das verbleibende Myste-rium der Wissenschaftslehre, nämlich das Paradox der Freiheit. Freiheit ist das Vermögen, absolut anzufangen.
Doch kaum hat das Denken angefangen, erweist es sich als in allerlei
Gesetze verfangen. Das wäre nur so zu verstehen, dass jeder Schritt, den
es wirklich tut, von nun an in Ewigkeit gültig ist und auch von der
absolut freien Reflexion im Nachhinein nicht revidiert werden kann. Und
so würde Schritt für Schritt ein Denkgesetz aus dem an-dern hevorgehen.
Doch immer wieder finden sich bei Fichte Stellen, aus denen herausklingt, dass der letzte Zweck
der Vernunft der vernünftigen Tätigkeit vorgegeben sei. Dies Schwanken
hat seine Wurzel in einer vorwissenschaftlichen romantischen Grundanschauung,
die gar nicht in die Philosophie gehört, sondern in Fichtes
Lebensbeschreibung. Wer sich heute der Wissen-schaftslehre zuwendet,
lässt sie füglich außer Acht.
Damit ist das Schwanken
behoben, nicht aber das Paradox: die fortschreitend sich fesselnde
Freiheit - die aber doch eine unendliche bleiben soll.
Zurück auf Anfang: Die
Wissenschaftslehre soll sein die Vollendung der Kant'schen
Ver-nunftkritik; soll erhellen, wie, nämlich aus welchem Rechtsgrund Vernunft
im 18. Jahrhun-dert* ihren Herrschaftsanspruch erhebt. Wie weit die
Transzendentalphilosophie ihre Ab-straktionen auch immer treibt: Ihr
Gegenstand ist die historische Realität. Was bei Fichte die 'Reihe
vernünftiger Wesen' ist, ist in der Wirklichkeit das Modell der
bürgerlichen Ge-sellschaft, in der die Gelehrten den öffentlich Ton
angeben. In der Wissenschaftslehre er-scheint die Reihe vernünftiger Wesen an einer Stelle dem Ich vorgegeben, von ihnen geht die Aufforderung zur Selbstbestimmung alias Vernunft allererst aus.
Was Vernunft in specie ist, nämlich nach welchen Regeln sie verfährt, finde ich als gegeben vor.
Es ist (reell) eine lange Geschichte zweckmäßiger Wechselwirkungen.
Vernünftig werde ich handeln, indem ich dieser prozessierenden
Wechselwirkung beitrete, denn nur in der Welt der Reihe vernünftiger
Wesen, der intelligiblen Welt, kann ich vernunftgemäß wirken. Vernunft ist selber keine Denkweise, sondern eine Weise des Handelns in der Welt.
Das Forstschreiten der
Vernunft ist das Fortschreiten in der gemeinsamen Bestimmung des
Unbestimmten, das Medium der Bestimmung ist der Zweckbegriff. Vernünftig ist eine Welt, in der die Zweckbegriffe fortschreitend vergemeinschaftet werden. Das geschieht reell nicht durch Deliberation, sondern praktisch durch gemeinsames Handeln.
Allgemein geltend sind diejenigen Bestimmungen, die gemeinsames Handeln
ermöglichen, und das ist eine Sache der Erfahrung und nicht (erst) der Reflexion. Erfahrung geschieht durch Widerstand; auch durch den Widerstand anderer vernünftiger Wesen.
Das gemeinsame
Bestimmen der Zweckbegriffe ist zugleich die fortschreitende
Selbstbe-stimmung der Reihe vernünftiger Wesen. Da die Bestimmung der
Zwecke in der Welt ins Unendliche geht, tut es die Selbstbestimmung
der Reihe vernünftiger Wesen desgleichen. Sie ist die treibende Kraft. Ihr
Treibstoff ist die Reflexion, die frei und unendlich ist. Zum Wesen der
Vernunft gehört Kritik.
*) eigentlich seit dem 17. Jahrhundert
JE, 24. 10. 18
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