Man fasse das
Fortschreiten im Bestimmen als Stufengang auf. Auf jeder Stufe
hinterlässt das lebendige Vorstellen als ein Caput mortuum, als
'Gedächtnisspur', einen Begriff. Aber nicht auf den Begriff wird
aufgebaut, er 'ruht' ja und bewegt sich nicht. Fortgeschritten wird
immer nur im lebendigen Vorstellen. Die Begriffe werden jeweils abgelegt - und wie dann daraus im Verkehr der vernünftigen Wesen untereinander ein reelles System als Bild der Welt entsteht, geht die Transzendentalphilosphie nicht mehr an.
Nicht die Begriffe sind das Wahre der Vorstellung, sondern das Vorstellen ist das Wahre des Begreifens.
Die Darstellung muss, das wiederholt Fichte immer wieder, diskursiv verfahren
- also in pa-radoxaler Form das lebendige Vorstellen durch Verknüpfung
ruhender Begriffe beschrei-ben. Sie kann das Paradox nicht vermeiden,
sondern immer wieder nur daran erinnern.
Fichte führt nun stets
den Stufengang des Bestimmens als lebendiges Vorstellen vor. Aber sein
Vorgehen ist ja ein doppeltes: Das reale Vorstellen ist stets von der
idealen Anschauung begleitet - es wird reflektiert. Und beim Reflektieren stößt es - nein: er, Fichte - wieder auf die abgelegten Begriffe. Aber die macht er jetzt doch
zum Prüfstein und Maßstab des Vor-stellens, wenn er nämlich jedesmal
darlegen will, dass und wie die neue Vorstellung schon in der ihr
vorangegangenen Vorstellung unbemerkt angelegt und vorausgesetzt war: Dann de-stilliert er nämlich aus der Definition des vorangegangenen Begriffs die Bestimmung der neuen Vorstellung.
Entsprechend konstruiert wirkt daher manch eine seiner Deduktionen; er entwickelt dann
nicht eine Vorstellung aus der andern, sondern kombiniert Begriffe. Das
jeweils im einzel-nen Fall auseinanderzulegen ist mühselig, es schwirrt
einem der Kopf. Es wäre schon ein Wunder, wenn Fichte sich nicht
gelegentlich verheddert hätte; zumal er die Unterscheidung selber nie
so scharf ausgesprochen hat.
27. 12. 16
Eigentlich wollte ich hierfür Beispiele
sammeln. Dann kam mir die Idee, einem eingefleisch-ten Philologen die
dankbare Aufgabe schmackhaft zu machen, in der Nova methodo nach Beispielen systematisch zu suchen. Dabei würden in F.'s Deduktionen voraussichtlich aller-lei Unsauberkeiten im Detail zutage treten. Immerhin
hat er wiederholt gesagt, er wolle sein' Lebtag nichts bewiesen haben,
wenn man ihm in seinen Herleitungen auch nur einen Schni-tzer nachweisen
könne...
Nun war es Fichtes persönliches Anliegen, die Wissenschaftslehre quasi wasserdicht zu be-weisen. Wir Leser dürfen uns aber fragen: Wozu soll das gut sein? Sie hat überhaupt nur als Ganze
Bestand - oder eben nicht. Und einem Unwilligen beweisen kann man sie
sowieso nicht: Was für eine Philosophie man wählt, hängt davon ab, was
man für ein Mensch ist. Die Brauchbarkeit (und wozu)
der Wissenschaftslehre lässt sich überhaupt nicht an ihrer diskursiven
Darstellung, die grundsätzlich und immer problematisch sein muss,
beurteilen, sondern daran, ob der Vorstellungskomplex, den sie umfasst,
den Denkenden, der sie sich zu eigen macht, in die Lage versetzt, sowohl
philosophische Sätze als auch Resultate der realen Wissenschaften
systematisch auf ihren Bestand zu prüfen.
Bewähren kann sich die Transzendentalphilosophie immer nur praktisch. Und ihre Praxis ist Kritik.
Eine feste Terminologie könne er, solange er noch mit dem Aufbau
der Wissenschaftslehre beschäftigt sei, nicht einführen, denn um
Begriffe bestimmen zu können, müsse das System bereits abgeschlossen
sein (sagt Fichte irgendwo am Anfang der Nova methodo).
Doch wie soll man sich den 'Abschluss' wohl vorstellen? Den Anfang des Systems - der postulierte Grund-Satz, aus dem alles her- und herausgeleitet werden soll - haben wir (hat er) uns selbst gegeben. Aber ein Schlusspunkt ist schlechterdings nicht zu fassen, nämlich
als Begriff: Denn das Verfahren der Vernunft ist unendliches Bestimmen,
macht sie an einem Bestimmten Halt, hört sie auf, sie selbst zu
sein. Vernunft ist nur actu, anders ist sie nicht.
7. 6. 18
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