Mittwoch, 31. Juli 2024

Das synthetische Verfahren.

Gerd  / pixelio.de                      zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Wir haben nun drei logische Grundsätze; den der Identität, welcher alle übrigen begründet; und dann die beiden, welche sich selbst gegenseitig in jenem begründen, den des Gegenset-zens, und den des Grundes aufgestellt. Die beiden letzteren machen das synthetische Ver-fahren überhaupt erst möglich; stellen auf und begründen die Form desselben. Wir bedür-fen demnach, um der formalen Gültigkeit unseres Verfahrens in der Reflexion sicher zu seyn, nichts weiter. – 

Ebenso ist in der ersten synthetischen Handlung, der Grundsynthesis (der des Ich und Nicht-Ich), ein Gehalt für alle mögliche künftige Synthesen aufgestellt, und wir bedürfen auch von dieser Seite nichts weiter. Aus jener Grundsynthesis muss alles sich entwickeln lassen, was in das Gebiet der Wissenschaftslehre gehören soll.
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J. G. Fichte, Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, SW Bd. I, S. 123



Nota. - Doch lassen Sie sich nicht täuschen: Die Wissenschaftslehre ist nicht, wie Kant mä-kelte, "bloße Logik". Logik ist ein begründender Teil des Vernunftsystem; jenes soll die Wissenschaftslehre erst aus aufgefundenen Gründen rekonstruieren - und darf sie folglich nicht zu ihrer Voraussetzung nehmen.

Es ist wahr, dass Fichte dieser Umstand erst in der WL nova methodo recht klar geworden ist. Hier in der Grundlage... geht er, statt sie dem Leser vor seinen Augen zu entwickeln, so-zusagen im Vorgriff vom fertigen Begriff der Wissenschaftslehre aus und berichtet, wie er es machen würde, wenn er die vollendete Wissenschaftslehre aus sich selbst heraus entwik-keln müsste - a priori, wie er es im vollendeten System nennen würde. Da Kant, wenn über-haupt, von der WL nur die Grundlage... kannte - kennen konnte -, muss man ihm sein Un-verständnis wohl nachsehen; er war ja auch schon recht alt.

So dass Sie obige Stelle quasi als Umkehrung des tatsächlich von der Wissenschaftslehre verfolgten analytisch-synthetischen Verfahrens (nämlich nach Vollendung des ersten analy-tischen Ganges) auffassen dürfen - also vom Anfang her und nicht vom Ende, was bei ihm paradoxer Weise a posteriori hieße (so wie überhaupt eine Entgegensetzung fast von allein zu ihrer Umkehrung neigt).

*

Ach nein, gar so sehr schwebt es denn doch nicht. Die Wissenschaftslehre berichtet ja nicht von einem geschlossenen Begriffssysstem, das sie uns unterscheidend auseinandersetzte, sondern beschreibt einen fortschreitenden Gang des Vorstellens: Da ist jede (erst von der Reflexion zu identifizierende) Station nur möglich, wenn und weil die vorangegangene Sta-tion schon erklommen war. Eine jede Station ist also a posteriori.
JE, 11. 7. 20

Dienstag, 30. Juli 2024

Es gilt nichts ohne Bedingung.

  Utah Arches Park                                          aus Philosophierungen

Nichts gilt ohne Voraussetzung - eine tiefsinnige Trivialität. Tiefsinnig, weil man erst darauf gebracht werden muss, um sie einzusehen; aber dann kommt sie wie eine Erleuchtung. Tri-vial, weil sie halbherzig ist. So wie sie da steht, heißt sie nur: Ein jedes borgt seine Geltung aus von einem über ihm; oder unter, wie man will. Na, und so weiter! Die Konsequenz, dass letzten Endes gar nichts gilt, ist nur scheinbar radikal, denn lebenspraktisch läuft sie doch nur darauf hinaus, dass alles nur mehr oder weniger gilt; je nachdem, anything goes.

Wahrer ist der Satz: Nichts gilt ohne Bedingung. Wahr, weil tautologisch, denn Geltung ist die Bedingung - ihrer selbst. Gilt etwas an sich und überhaupt? Es gilt etwas nur für einen, der urteilen will. Urteilen ist der Elementarakt schlechthin: einem Ding eine Bestimmung zuweisen. Es ist die abstrakteste Form des Handelns. Nur für einen Handelnden gilt etwas, und nur im Akt des Handelns; wozu das Urteil als seine Bedingung gehört. Handeln kann ich nur so oder anders. Es ist bestimmt, indem es bestimmend ist. Es ist die Bedingung von Allem, was gelten kann.

7. 10. 18



Dem Ding eine Bedeutung beimessen ist bestimmen. Bestimmen als dieses oder jenes. Ur-teilen ist der Modus, dieses oder jenes ist das Materiale. Der Akt ist derselbe.
11. 5. 21

 

Montag, 29. Juli 2024

Freiheit ist Setzen von Zwecken.

hubpages                                                                                          aus Marxiana

Du sollst arbeiten im Schweiß deines Angesichts! war Jehovas Fluch, den er Adam mitgab. Und so als Fluch nimmt A. Smith die Arbeit. Die „Ruhe“ erscheint als der adaequate Zu-stand, als identisch mit „Freiheit“ und „Glück“. Daß das Individuum „in seinem normalen Zustand von Gesundheit, Kraft, Thätigkeit, Geschicklichkeit, Gewandtheit“ auch das Be-dürfniß einer normalen Portion von Arbeit hat, und von Aufhebung der Ruhe, scheint A. Smith ganz fern zu liegen. 

Allerdings erscheint das Maaß der Arbeit selbst äusserlich gegeben, durch den zu errei-chenden Zweck und die Hindernisse, die zu seiner Erreichung durch die Arbeit zu über-winden. Daß aber diese Ueberwindung von Hindernissen an sich Bethätigung der Freiheit – und daß ferner die äusseren Zwecke den Schein blos äusserer Naturnothwendigkeit abge-streift erhalten und als Zwecke, die das Individuum selbst erst sezt, gesezt werden – also als Selbstverwirklichung, Vergegenständlichung des Subjects, daher reale Freiheit, deren Action eben die Arbeit ahnt A. Smith ebenso wenig. 

Allerdings hat er Recht, daß in den historischen Formen der Arbeit als Sklaven- Frohnde-, Lohnarbeit die Arbeit stets repulsiv, stets als äussere Zwangsarbeit erscheint und ihr gegen-über die Nichtarbeit als „Freiheit, und Glück“. Es gilt doppelt: von dieser gegensätzlichen Arbeit; und was damit zusammenhängt der Arbeit, die sich noch nicht die Bedingungen, subjektive und objektive, geschaffen hat (oder auch gegen den Hirten- etc Zustand, der sie verloren hat), damit die Arbeit travail attractif, Selbstverwirklichung des Individuums sei, was keineswegs meint, daß sie bloser Spaß sei, bloses amusement, wie Fourier es sehr gri-settenmässig naiv auffaßt. 

Wirklich freie Arbeiten z. B. Componiren ist grade zugleich verdammtester Ernst, inten-sivste Anstrengung. Die Arbeit der materiellen Production kann diesen Charakter nur er-halten, dadurch daß 1) ihr gesellschaftlicher Charakter gesezt ist, 2) daß sie wissenschaft-lichen Charakters, zugleich allgemeine Arbeit ist, nicht Anstrengung des Menschen als be-stimmt dressirter Naturkraft, sondern als Subject, das in dem Productionsprocess nicht in blos natürlicher, naturwüchsiger Form, sondern als alle Naturkräfte regelnde Thätigkeit erscheint. 

Uebrigens denkt A. Smith nur an die Sklaven des Capitals. Z. B. selbst der halbkünstlerische Arbeiter des Mittelalters ist nicht zu rangiren unter seine Definition. Was wir aber hier zu-nächst wollen, ist nicht auf seine Ansicht von der Arbeit eingehn, seine philosophische, son-dern das ökonomische Moment. Die Arbeit blos als Opfer betrachtet und darum werthset-zend, als Preiß der für die Dinge bezahlt wird und ihnen daher Preiß giebt, je nachdem sie mehr oder weniger Arbeit kosten, ist rein negative Bestimmung.
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K. Marx, Grundrisse, MEGA II/1.2 S. 499 [MEW 42, S. 512f.
]  



Nota I. - Der Mensch hat "das Bedürfnis nach einer normalen Portion von Arbeit" - weil er schlechterdings als ein Tätiger vorausgesetzt wird. Aber nicht Arbeit nach vorgesetzten Zwe-cken, sondern Arbeit nach 'Zwecken, die das Individuum selbst erst sezt'. Arbeit ist daran: den Widerstand des Stoffs überwinden. 'Bloßer Spaß, bloßes Amüsement' wird das nie sein. Doch wenn die Zwecke selbstgesetzt waren, wurden sie aus freiem Willen gewählt.
11. 7. 20

Nota II. - 'Freier Wille' heißt dann: dass sie um ihrer selbst willen gewählt wurden und nicht um eines weiteren Zweckes willen.
JE

Sonntag, 28. Juli 2024

Das sich-selbst-Bestimmen ist unbegreiflich

Polyklet                                                                aus Wissenschftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik.
   
Was ist dieses Bestimmteselbst? Willkürlich als bloßer Akt gesehen. Hier mangelt die Spra-che. Sagt man: Es ist ein Beschränken unserer selbst, i. e. unserer Reflexion von dem Man-nigfaltigen auf ein einzelnes Bestimmte[s], so habe ich ja das Produkt der Einbildungskraft mit in der Definition. Welches auch nicht wegzuschaffen ist. 

Wir können unser Bestimmen nur denken als ein Übergehen oder Schweben zwischen mehreren Entgegengesetzten. Nun sollen wir aber diese Tätigkeit ohne Rücksicht auf das beide Entgegengesetzte [sic], zwischen dem sie schwebt, beschreiben. Um dies zu tun, müss-ten wir ganz andere Denkgesetze haben, oder unser Satz müsste falsch sein. 

Es ist also dieses nicht zu leisten, und wir müssen verfahren, wie wir mit jeder Idee verfah-ren, wir beschreiben nämlich nur das Gesetz, nach dem dieser Begriff zustande kommen müsste. Wir sagen: Sollte die bloße Bestimmung gedacht werden, so müsste das Bestimm-bare weggedacht werden. Dies ist nicht möglich, denn dann müsste die bloße Ichheit oder das sich selbst Fassen und Ergreifen gedacht werden, und schon in den letzteren Ausdrük-ken ist schon [sic] sinnliche Unterscheidung des Ergreifenden vom Ergriffenen. So spricht man z. B. oft von einem unendlichen Raume, da dieser doch undenkbar ist und man sich bloß die Regel denkt, nach der er beschreiben werden müsste, nämlich das beständig wäh-rende Fortziehen.

Dieses sich Bestimmen ist der absolute Anfang alles Lebens und Bewusstseins, eben des-halb ists unbegreiflich, weil unser Bewusstsein immer etwas voraussetzt.
*) [= das durch Selbstbestimmung bestimmte]
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo,  Hamburg 1982, S. 208

 
Nota. - "Begreifen heißt, ein Denken an ein anderes anknüpfen, das erstere vermittelst des letzteren denken." (Sittenlehre) "Hier gibt es keine Gründe; wir sind an der Grenze aller Gründe. Es ist ein Erschaffen aus nichts, ein Machen dessen, was nicht war, ein absolutes Anfangen." (Nova methodo

Sich-selbst-bestimmen ist bloß eine Redensart - um anzudeuten, was gemeint ist, die aber gleich wieder beseite getan werden muss, denn nimmt man sie wörtlich, ergibt es Unfug. Das Es, das da bestimmen soll, müsste als schon da angesehen werden - und also in dieser Hinsicht immerhin schon bestimmt. Und das Es, welches bestimmt werden soll, desgleichen. Es bleibt ihm also nichts mehr zu tun, weder vorwärts noch rückwärts. Daher kann es sich nicht bestimmen - nicht bestimmen und schon gar nicht sich. 

"Im Moment A war ich unbestimmt, mein ganzes Wesen wurde in dieser Unbestimmtheit aufgehoben. Im Moment B bin ich bestimmt, es ist etwas Neues da; dieses kommt aus mir selbst: Das Übergehen geht in einen in sich selbst begründeten Akt der Freiheit über." (ebd.) "Einen Akt der Freiheit begreifen wollen, ist absolut widersprechend. Eben wenn sie es be-greifen könnten, wäre es nicht Freiheit." (Sittenlehre
JE, 17. 11. 19

Samstag, 27. Juli 2024

Das gesellschaftliche Bedürfnis und die notwendige Arbeit.

berlinonline                                                                                               aus Marxiana

Damit eine Waare zu ihrem Marktwerth verkauft wird, d. h. im Verhältniß zu der in ihr ent-haltnen gesellschaftlich nothwendigen Arbeit, muß das Gesammtquantum gesellschaftli-cher Arbeit, welches auf die Gesammtmasse dieser Waarenart verwandt wird, dem Quan-tum des gesellschaftlichen Bedürfnisses für sie entsprechen, d. h. des zahlungsfähigen ge-sellschaftlichen Bedürfnisses. Die Konkurrenz, die Schwankungen der Marktpreise, die den Schwankungen des Verhältnisses von Nachfrage und Zufuhr entsprechen, suchen beständig das Gesammt-quantum der auf jede Waarenart verwandten Arbeit auf dieses Maß zu reduci-ren. ...

Producirt ferner einer wohlfeiler und kann er mehr losschlagen, sich größren Raums vom Markt bemächtigen, indem er unter dem laufenden Marktpreis oder Marktwerth verkauft, so thut er es, und so beginnt die Aktion, die nach und nach die andren zwingt, die wohlfei-lere Produktionsart einzuführen, und die die gesellschaftlich nothwendige Arbeit auf ein neues geringres Maß reducirt. Hat eine Seite die Oberhand, so gewinnt jeder, der ihr ange-hört; es ist als hätten sie ein gemeinschaftliches Monopol geltend zu machen.
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K. Marx, Das Kapital III, MEGA II.15; S. 192, 194 [MEW 25, S. 202, 204]  

 

Nota. - Der springende Punkt ist: Das gesellschaftliche Bedürfnis muss, um sich als ein solches geltend zu machen, zahlungskräftig sein; sich als Geld wert-machen. Wert ist Geld alsVerfügung über Arbeitskraft. Der Arbeiter aber, der kein Produkt zu Markte tragen kann, weil er selber nicht über die erforderlichen Arbeitsmittel verfügt, muss stattdessen seine Ar-beitskraft selbst verkaufen - über die hernach ein anderer verfügt.

So dass Verfügung über Arbeitskraft de facto aus der Verfügung über die Arbeitsmittel be-steht...
JE 




Freitag, 26. Juli 2024

Es gibt kein Kapital.

                                                                     zu Marxiana

"Es gibt" gar kein Kapital. Was 'es gibt', sind Werte in Form von Tausch- oder Produk-tionsmitteln, über die Personen unter gegebenen Umständen dieses oder jenes verfügen. Auf das, was sie tun, kommt es an - und auf die Umstände.

Es gibt Gegenstände und es gibt Menschen, die mit ihnen etwas anfangen. Zu Kapital werden die Gegenstände durch das, was sie mit ihnen anfangen - und durch das, was sie, vermittelt durch die Gegenstände, mit einander anfangen.

Im Begriff ist eine Tätigkeit als Ruhe dargestellt.
14. 11. 19 

 

Wohl kann man sagen, dass Hammer, Zange und Honigfass unter Umständen und wenn man etwas Passendes mit ihnen anfängt, als Kapital 'wirken' oder 'gelten'; nicht aber, dass sie es sind. (Eigentlich nicht einmal, dass sie Hammer, Zange oder Honigfass sind.)

 

 

Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE

Donnerstag, 25. Juli 2024

Bestimmen ist das willkürliche Gleichsetzen zweier Ungleicher.

                                                              zu Philosophierungen

Wenn ich x als a bestimme, sehe ich ab auf das, was ihnen gemeinsam ist, und sehe ab von dem, was sie unterscheidet.

Ich habe ein unförmiges Etwas in der Hand und bestimme es als Holz. Dass es 'aus Holz ist', habe ich an ihm gefunden. Dass es mir in meinem ferne-ren Handeln als nichts als Holz gelten soll, habe ich ihm aus Willkür anerfunden. 

Denn ich habe eine Absicht. Ich habe es zu einem Kochlöffel bestimmt. In meinem ferne-ren Handeln soll es mir als nichts anderes denn ein künftiger Kochlöffel gelten: Ich werde an ihm schnitzen, sonst nichts.

Die Willkür meines Bestimmens betrifft nicht den Realnexus: Das Etwas war wirklich 'aus Holz'. Doch bevor ich das erkannt hatte, war es von niemandem als solches bestimmt. Ein Biochemiker könnte herausfinden, dass es in seiner stofflichen Zusammensetzung noch nie etwas anderes war, als das, was man konventionell als Holz bezeichnet. Doch wenn das kei-ner bemerkt, ist es so gut als wär es nicht der Fall. Und wenn es auf Wasser schwämme, wä-re es für es selbst und für das Wasser ohne Bedeutung.

Was also wird beim Bestimmen willkürlich gleichgesetzt? Ein Etwas mit einer Bedeutung. Beide gab es schon vorher. Gab es schon ihre Gleichheit? Das 'Etwas' gab es, doch bevor es wahrgenommen wurde, 'gab es' es für niemand. Und das 'bedeutet' : gab es nicht. Gab es Holz? Wenn es Holz gab, gab es es nur in der Vorstellung von jemand, usw...

Bestimmen ist das Gleichsetzen eines Etwas mit einer Vorstellung.

Vorstellungen bedeuten etwas nur für einen Handelnden. Nur wer handeln will, muss sich etwas vorstellen können.
27. 10. 22 

 

 

Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE

Mittwoch, 24. Juli 2024

Einbildungskraft; zerrissen schwebend.

                                      zu Philosophierungen, oder Das Vernunftsystem.

Dieser Wechsel des Ich in und mit sich selbst, da es sich endlich und unendlich zugleich setzt – ein Wechsel, der gleichsam in einem Widerstreite mit sich selbst besteht, und da-durch sich selbst reproduziert, indem das Ich Unvereinbares vereinigen will, jetzt das Un-endliche in die Form des Endlichen aufzunehmen versucht, jetzt, zurückgetrieben, es wie-der außer derselben setzt, und in dem nämlichen Momente abermals es in die Form der Endlichkeit aufzunehmen versucht – ist das Vermögen der Einbildungskraft.
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J. G. Fichte, Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, Hamburg 1982, S. 134f.
 

Nota. - Endlich ist alles, was den Sinnen in Raum und Zeit begegnet; unendlich - jedenfalls in Raum und Zeit - ist das Vorgestellte; unendlich, aber doch nur vorgestellt; 'ist' also gar nicht, sondern schwebt mir vor, ist nur bedingt vorhanden und an sich auch nur mir.

Die Einbildungskraft ist der vermögende, doch nie zu einem Ende kommende Wille, zu bestimmen: Endlichkeit und Unendlichkeit zusammenzudenken,

(Bestimmen heißt, einem Seienden eine Bedeutung zuschreiben.) 
12. 11. 19

 

Dass die frühen Romantiker Fichte zu den ihren oder vielmehr sich zu den seinen gezählt haben, war, wie man sieht, kein Missverständnis. Im Widerspruch lebte auch er. Sie haben sich's dann im Lauf des Jahres 1799 anders überlegt. Aber er ja auch.
JE, 4. 1. 21

Dienstag, 23. Juli 2024

Denkgesetze und die Freiheit der Reflexion.

poirebellehelene                     aus Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik                                                                   
Der Geist unserer Philosophie ist: Kein vorgebliches Ding an sich kann Objekt des Be-wusstseins sein. Nur ich selbst bin mir Objekt; wie lässt sich unter dieser Voraussetzung das Bewusstsein konstruieren? 
 
Wir können nur nach unseren Denkgesetzen erklären, und nach diesen muss die Antwort auf unsere Frage ausfallen. Unsere / Erklärung ist damit auch nicht an sich gültig; denn die Frage ist: Wie kann ein Vernunftwesen sein Bewusstsein erklären? 

Nun müssen wir zu Folge der Reflexionsgesetze zu allem Bestimmten ein Bestimmbares voraussetzen. Dies Gesetz haben wir bisher angewandt auf das Ich, welches Objekt der Philosophie ist. Nun aber ist der Philosoph auch ein Ich, folglich auch an dieses Gesetz ge-bunden. Das Ich ist sich selbst Objekt des Bewusstseins, sonach Subjekt und Objekt. Wir wollen beides auf einander beziehen. Zu diesem Behufe müssen wir beide auf einander be-ziehen als bestimmbar, sonach wird uns nach den Denkgesetzen das Ideale und Reale ge-schieden. Das Reale bedeutet nur das Objektive, das Ideale nur das Subjektive im Bewusst-sein. 

Beides wird nun besonders betrachtet als bestimmbar, und dieses Denken gibt uns das bloß Intelligibele. Das Intelligible ist sonach nicht an sich, sondern etwas für die Möglichkeit un-serer Erklärung nach den Denkgesetzen Vorauszusetzenden. So behandelt es auch Kant, und jede andere Ansicht wäre transzendent.
 
Das ursprünglich Reale ist der reine Wille, das Bestimmbare in unseren Bestimmungen. Das Ideale ist ein Reflexionsvermögen, gebunden an verschiedene Gesetze, unter anderem auch an das Gesetz, dass nur Sukzessives aufgefasst und nur diskursiv gedacht werden kann. Das erste ist ein Vermögen, Objekt zu sein, das letztere ein Vermögen, Subjekt zu sein; das erste ist das Vermögen, rein, das zweite, empirisch zu sein. 
 
Zu einer solchen Voraussetzung kommen wir durch die Denkgesetze. Nun fand sich die Schwierigkeit: Wie soll der reine Wille ein Mannigfaltiges für die Reflexion werden?  Es war die Antwort: Es wird dies lediglich durch seine Beziehung auf die Beschränktheit, welche gleichfalls ursprünglich ist. So ists auch im empirischen Bewusstsein. Der Wille für sich be-trachtet ist nur eins. Man unterscheidet den Willen nur durch die Objekte, auf die er geht, dies ist nun hier die Beschränktheit. Die ganze Reflexion besteht in der Vereinigung des Mannigfaltigen der Beschränktheit. Ihre Freiheit besteht / darin, dass der Wille darauf be-zogen werden kann oder nicht; dass er auf dieses oder jenes bezogen werden kann.

Aber in wiefern ich beschränkt bin, bin ich irgend etwas nicht, was ich aber nicht bin, das ist für mich nicht da. Nun aber liegt die Beschränktheit außer mir; wie werde ich mir nun ihrer bewusst? Antwort: Sie liegt nur zum Teil außer mir. Äußerlich bin ich beschränkt, aber nicht innerlich, meine äußere Beschränktheit ahme ich innerlich nach.
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 166f.
 



Nota I. -  Zunächt einmal: 'Diskursiv', das heute in verschiedenster Bedeutung gebraucht wird, verwendet er als bestimmtes Korrelat zu 'sukzessiv'. Da wir kein Ganzes, sondern immer nur Teile auffassen können, und zwar eines nach dem andern, können wir sie nur denken, indem wir in unserer Vorstellung eines nach dem andern, in der Zeit, wieder an-einanderfügen.

Dies nennt er ein Denkgesetz.

Ein Denkgesetz sei auch, dass wir zu jedem Bestimmten ein Bestimmbares denken müssen. Ein 'Gesetz' soll das sein? Es ist lediglich eine Explizitierung dessen, was im Verb 'bestim-men' vorgestellt wurde. Das Vorgestellte ist als Ganzes Eins, ein Singulum, und als ein sol-ches kann darüber keine Aussage gemacht werden (de singularibus non est scientia), man muss es in sich selbst unterscheiden, um es dar
stellen zu können; und die 'Teile' nach ein-ander wieder zusammensetzen.

Das Vor gestellte ist das Gemeinte. Gemeint wird die Handlung des Bestimmens. Über-haupt jeder 'Begriff' ist lediglich eine solche Handlung, die als Ruhe gedacht wird. Als Handlung 'hat' sie aber - denn das ist das im Bild der Handlung Gemeinte - wenigstens diese drei 'Teile': S p dass q.

'Gesetz' ist daran, dass man aus einem Gehalt nur herausholen kann, was er enthält - in transzendentalem Sinn: was man hineingetan hat. Es ist das Verhältnis von realer und ide-aler Tätigkeit.

28. 1. 17

Nota II. - Das ist wieder das kitzliche Thema Denkgesetz. Es ist das verbleibende Myste-rium der Wissenschaftslehre, nämlich das Paradox der Freiheit. Freiheit ist das Vermögen, absolut anzufangen. Doch kaum hat das Denken angefangen, erweist es sich als in allerlei Gesetze verfangen. Das wäre nur so zu verstehen, dass jeder Schritt, den es wirklich tut, von nun an in Ewigkeit gültig ist und auch von der absolut freien Reflexion im Nachhinein nicht revidiert werden kann. Und so würde Schritt für Schritt ein Denkgesetz aus dem an-dern hevorgehen.

Doch immer wieder finden sich bei Fichte Stellen, aus denen herausklingt, dass der letzte Zweck der Vernunft der vernünftigen Tätigkeit vorgegeben sei. Dies Schwanken hat seine Wurzel in einer vorwissenschaftlichen romantischen Grundanschauung, die gar nicht in die Philosophie gehört, sondern in Fichtes Lebensbeschreibung. Wer sich heute der Wissen-schaftslehre zuwendet, lässt sie füglich außer Acht.

Damit ist das Schwanken behoben, nicht aber das Paradox: die fortschreitend sich fesselnde Freiheit - die aber doch eine unendliche bleiben soll.

Zurück auf Anfang: Die Wissenschaftslehre soll sein die Vollendung der Kant'schen Ver-nunftkritik; soll erhellen, wie, nämlich aus welchem Rechtsgrund Vernunft im 18. Jahrhun-dert* ihren Herrschaftsanspruch erhebt. Wie weit die Transzendentalphilosophie ihre Ab-straktionen auch immer treibt: Ihr Gegenstand ist die historische Realität. Was bei Fichte die 'Reihe vernünftiger Wesen' ist, ist in der Wirklichkeit das Modell der bürgerlichen Ge-sellschaft, in der die Gelehrten den öffentlich Ton angeben. In der Wissenschaftslehre er-scheint die Reihe vernünftiger Wesen an einer Stelle dem Ich vorgegeben, von ihnen geht die Aufforderung zur Selbstbestimmung alias Vernunft allererst aus. 

Was Vernunft in specie ist, nämlich nach welchen Regeln sie verfährt, finde ich als gegeben vor. Es ist (reell) eine lange Geschichte zweckmäßiger Wechselwirkungen. Vernünftig werde ich handeln, indem ich dieser prozessierenden Wechselwirkung beitrete, denn nur in der Welt der Reihe vernünftiger Wesen, der intelligiblen Welt, kann ich vernunftgemäß wirken. Vernunft ist selber keine Denkweise, sondern eine Weise des Handelns in der Welt.

Das Forstschreiten der Vernunft ist das Fortschreiten in der gemeinsamen Bestimmung des Unbestimmten, das Medium der Bestimmung ist der Zweckbegriff. Vernünftig ist eine Welt, in der die Zweckbegriffe fortschreitend vergemeinschaftet werden. Das geschieht reell nicht durch Deliberation, sondern praktisch durch gemeinsames Handeln. Allgemein geltend sind diejenigen Bestimmungen, die gemeinsames Handeln ermöglichen, und das ist eine Sache der Erfahrung und nicht (erst) der Reflexion. Erfahrung geschieht durch Widerstand; auch durch den Widerstand anderer vernünftiger Wesen.

Das gemeinsame Bestimmen der Zweckbegriffe ist zugleich die fortschreitende Selbstbe-stimmung der Reihe vernünftiger Wesen. Da die Bestimmung der Zwecke in der Welt ins Unendliche geht, tut es die Selbstbestimmung der Reihe vernünftiger Wesen desgleichen. Sie ist die treibende Kraft. Ihr Treibstoff ist die Reflexion, die frei und unendlich ist. Zum Wesen der Vernunft gehört Kritik.

*) eigentlich seit dem 17. Jahrhundert
JE, 24. 10. 18 


Montag, 22. Juli 2024

Das Denken ist nicht das Wesen.

Mathias Paarsch, pixelio.de           zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Auf unseren Satz, als absoluten Grundsatz alles Wissens hat gedeutet Kant in seiner Deduc-tion der Kategorien; er hat ihn aber nie als Grundsatz bestimmt aufgestellt. Vor ihm hat Cartes einen ähnlichen angegeben: cogito, ergo sum, welches nicht eben der Untersatz und die Schlussfolge eines Syllogism /  seyn muss, dessen Obersatz hiesse: quodcunque cogitat, est; sondern welches er auch sehr wohl als unmittelbare Thatsache des Bewusstseyns be-trachtet haben kann. Dann hiesse es soviel, als cogitans sum, ergo sum (wie wir sagen wür-den, sum, ergo sum). Aber dann ist der Zusatz cogitans völlig überflüssig; man denkt nicht nothwendig, wenn man ist, aber man ist nothwendig, wenn man denkt. 

Das Denken ist gar nicht das Wesen, sondern nur eine besondere Bestimmung des Seyns; und es giebt ausser jener noch manche andere Bestimmungen unseres Seyns. – Reinhold stellt den Satz der Vorstellung auf, und in der Cartesischen Form würde sein Grundsatz heissen: repraesento, ergo sum, oder richtiger repraesentans sum, ergo sum. Er geht um ein beträchtliches weiter als Cartes; aber wenn er nur die Wissenschaft selbst und nicht etwa bloss die Propädeutik derselben aufstellen will, nicht weit genug; denn auch das Vorstellen ist nicht das Wesen des Seyns, sondern eine besondere Bestimmung desselben; und es giebt ausser dieser noch andere Bestimmungen unseres Seyns, ob sie gleich durch das Medium der Vorstellung hindurch gehen müssen, um zum empirischen Bewusstseyn zu gelangen.
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J. G. Fichte. Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, SW Bd. I, S. 99f.



Nota. - Tätig bin ich, also bin ich. Tätigsein ist Übergehen aus der Unbestimmtheit zur Be-stimmung. Ich bin heißt: Ich bin bestimmend. Bestimmend was? Zu allererst mich selbst, bestimmend mich zu einem Selbst. Wie das? Indem ich ein Anderes außer mir setze: mein Anderes; mich als den Andern des Andern. Ob ich mir dabei etwas denke, ist nicht aus-schlaggebend. Dass ich es denke, wäre Folge einer Reflexion: nämlich darauf, dass ich es getan habe. Doch dass ich bestimmend tätig war, macht, dass ich bin.
JE, 12. 7. 20

  

Noumena.*

                                        zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik    Ein Begriff, der uns in die intelli...