jpletarte aus Wissenschftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik
Ich
mache mich deutlicher. Auf dem transzendentalen / Gesichtspunkt wird die Welt
ge-macht, auf dem gemeinen ist sie gegeben: auf dem ästhetischen ist sie
gegeben, aber nur nach der Ansicht, wie sie
gemacht ist.
Die Welt, die wirkliche Welt, die Natur, denn nur von ihr rede ich, - hat zwei
Seiten: sie ist [1.] Produkt unserer Beschränkung; sie ist [2.] Produkt unseres
freien, es versteht sich, idealen Handelns (nicht etwa unserer reellen
Wirksamkeit). In der ersten Ansicht ist sie selbst allenthalben beschränkt, in
der letzten selbst allenthalben frei. Die erste Ansicht ist gemein, die zweite ästhetisch. ...
Wer der ersten Ansicht nachgeht, der sieht nur verzerrte,
gepreßte, ängstliche Formen; er sieht die Häßlichkeit; wer der letzten
nachgeht, der sieht kräftige Fülle der Natur, er sieht
Leben und Aufstreben; er sieht die Schönheit. So bei dem Höchsten. Das Sittengesetz
ge-bietet absolut, und drückt alle Naturneigung
nieder. Wer es so sieht, verhält sich zu ihm als Sklav. Aber es
ist zugleich das Ich selbst; es kommt aus der inneren Tiefe unseres eige-nen
Wesens, und wenn wir ihm gehorchen, gehorchen wir nur uns selbst. Wer es so
an-sieht, sieht es ästhetisch an.
Der schöne Geist sieht alles von der schönen
Seite; er sieht alles frei und lebendig. ...
Wo ist die Welt des schönen
Geistes? Innerlich in der Menschheit, und sonst nirgends. Also: die schöne
Kunst führt den Menschen in sich selbst hinein,
und macht ihn da einhei-misch. Sie reißt ihn los von der gegebenen Natur, und
stellt ihn selbständig und für sich allein hin. ...
Ästhetischer Sinn ist nicht Tugend: denn das Sittengesetz fordert Selbständigkeit
nach Be-griffen, der erstere aber kommt ohne alle Begriffe von selbst. Aber er
ist Vorbereitung zur Tugend, er bereitet ihr den Boden, und wenn die Moralität
/ eintritt, so findet sie die hal-be Arbeit, die Befreiung aus den Banden der
Sinnlichkeit, schon vollendet. Ästhetische Bildung hat sonach eine höchst
wirksame Beziehung auf die Beförderung des Vernunft-zwecks.
____________________________________________________________________
J. G. Fichte, Das
System der Sittenlehre nach den
Principien der Wissenschaftslehre, SW
Bd. IV, S. 353ff.
Nota. - Wir haben eine Welt nur als Vorstellung; aber die haben wir
gemacht: Das ist der Standpunkt der philosophischen Reflexion. Fürs
bürgerliche Leben dagegen sind Welt und Vorstellung gleichermaßen gegeben. Das ist eine geschäftige, prosaische und enge Welt. Sie ist hässlich.
Das
Sittengesetz gebietet absolut. Aber es lautet in seiner schlichtesten
Form: Handle nach eigenem Urteil. Formal drückt es nieder, material
lehrt es uns, auf eigenen Füßen zu stehen. "Wenn wir ihm gehorchen,
gehorchen wir nur uns selbst."
Wer
vom Standpunkt der philosophischen Reflexion ins wirkliche Leben
zurückkehrt, mag die transzendentale Ansicht beigehalten: Sie wird ihm
zur ästhetischen. Auf der an-dern Seite bildet die ästhetische Ansicht den Übergang
vom gewöhnlichen Standpunkt zum transzendentalen, und ohne ihn wäre die
kritische und Transzendentalphilosophie gar nicht möglich geworden.
Ästhetischer Sinn sei nicht Tugend, sagt er des öftern: Das Sittengesetz fordere Selbst-ständigkeit nach Begriffen. Nach Zweck begriffen, setze man erläuternd hinzu: Nach einem Urteil um/zu, und da das Sittengesetz immer momentan und unmittelbar gebietet, nach einem Urteil ad hoc. Urteile ad hoc sind
die ästhetischen Urteile auch. Nach Begrif-fen werden sie nicht gefällt,
sondern aus bloßer Anschauung. Doch auch so, als wären sie mir absolut geboten, einen Raum zum Deliberieren habe ich nicht.
Er
hätte gut daran getan, das Sittengesetz und den ästhetischen Sinn
phänomenal in einem Komplex zusammenzufassen. Sein abtrünniger Schüler
Herbart hat diesen Schritt konsquenter Weise getan und das Ethische als Schönheit im Reich der Willensakte
dem Ästhetischen als dessen Teilbereich untergeordnet. Ethische Urteile
haben streng genom-men ebenso wie ästhetische Urteile keinen Gegenstand; ihr Zweck ist nämlich nicht, die-ses oder jenes so oder anders zu bestimmen. Sondern eine eingetretene Bestimmung mei-nes Zustands zu bestätigen oder zu verwerfen.
Und dies nun macht die gemeinsame Besonderheit des ethischen und ästhetichen Urteils aus: Es geschieht nicht stückweise, 'quantifizierend', synthetisch a posteriori, sondern ganz und auf einmal: synthetisch a priori.
"Erfassen" ließe sich mein ganzer Zustand nur, soweit er von einem Teilstück zum andern übergehe und sie nach einander verknüpft. "Wenn
unser Zustand auf einmal aufgefasst würde, so würde nicht übergegangen,
und so würde nichts Ganzes aufgefasst. Was ist nun das Ganze dieses
Zustandes? Nach dem soeben Gesagten ist es Synthesis des Wollens und des
Seins, Beziehung beider auf einander, welches beide nicht zu trennen
ist." Nova methodo, S. 155
Der springende Punkt: Ästhetische wie ethische Urteile werden nicht gefasst, aufgefasst wie das Vernunfturteil nach Deliberation, nicht bestimmt durch 'mein Ich', sondern ange-schaut als ein Zustand, in dem ich bin.
Es tritt zwischen Wollen und Sein eine Scheidung gar nicht erst ein.
Und wenn ich zu einem Verstandesurteil komme, dann immer erst hin-terher.
27. 8. 18
Nota II. - Lies weiter >hier.
JE