zu Philosophierungen; zu Geschmackssachen
Das
ist reklamige Anbiederei. Wenn man eingangs keine Grenzen zieht, wird
man hinter-her keine finden. Dass Arno Böhler eingangs keine Definition
gab, was er unter Kunst verstehen will,
darf man ihm nachsehen, denn Begriffe sind nicht das Medium, in dem sie
wirkt. Aber mit der Philosophie ist es was anderes. Die wollte Wissenschaft sein, und zwar als erste Disziplin des Denkens überhaupt; und schon zu einer Zeit, da es die Kunst als einen selbständigen Lebensbereich noch gar nicht gab.
Wissensschaft sei
Kunst, sagte der ungarische Musiker Sándor Végh, aber Kunst sei keine
Wissenschaft. Wir haben also ein Problem.
Mit
den Begriffen fangen wir besser nicht an. Die beruhen auf Prämissen,
doch um die scheint es gerade zu gehen. Aber Kunst und Wisssenschaft und
Philosophie sind zweifel-los historische Gegebenheiten, und als solche
müssen sie sich umschreiben lassen. Wis-senschaft und Philosophie in
specie und Kunst in specie haben sich im Westen ausgebil-det. Hier haben
sie sich als konkurrierende gesellschaftliche Instanzen etabliert, miteinan-der und gegeneinander.
Beschreibend lässt sich sagen: Was immer heute unter Kunst verstanden wird, hat mit Gestaltung nach ästhetischen Gesichtspunkten
zu tun. Mehr oder weniger: Daneben mochten magische und kultische
Zwecke eine Rolle spielen und die Verherrlichung der Macht, der
ästhetische Anteil konnte auf bloße Verzierung schrumpfen. Was immer
pro-duziert wird - eine Form wird es haben, ob darauf abgesehen wurde oder nicht.
Es ist dem Verständnis dienlich, die Entwicklung der Kunst - bemerkenswert wieder, dass es eine eigene Entwicklungsgeschichte der Kunst nur im Westen gibt -
zu beschreiben als den Prozess der Herauslösung der äs- thetischen
Absicht aus ihrer Verstrickung mit ande-ren, sozusagen profanen Motiven.
In der Entbindung des rein-Ästhetischen hätte die Kunst ihre Bestimmung erreicht und nichts in ihr weist noch über sie hinaus.
Was immer die Wissenschaftler in ihrem ahnenden Suchen und Probieren mit der Praxis der Künstler gemein haben mögen: Der Prüfstein für ihre Ergebnisse ist stets, ob sie dem Erkenntnisinteresse dienen. Sie haben einen Zweck, der über sie hinausreicht - die Er-mächtigung des Menschen. Technische Verwertbarkeit natürlich. Aber auch die an sich selber zweckfreie Grundlagenforschung erweitert mit dem Blick auf die Welt seine Frei-heit in der Wahl seiner Lebenszwecke. Während die Kunst im besten Fall Fragen an das Leben stellen kann, schafft Wissenschaft - und insbesondere die Philosophie als ihr Inbe-griff - Anhaltspunkte für Antworten.
*
Ein ganz anderes Thema ist, mit welchen Mitteln sie ihr Verfahren und ihre Ergebnisse darstellt. Nämlich ob ihr bevozugtes Medium der Begriff sei oder das Bild. Für die Kunst beantwortet sich die Frage von selbst. Sie besteht in Bildern, und wo sie zusätzlich Begrif-fe bemüht, stellt sie die Kunst in den Dienst profaner Zwecke.
"Ich glaube, meine Stellung zur Philosophie dadurch zusammengefasst zu haben, indem ich sagte: Philosophie dürfe man eigentlich nur dichten", heißt es in Wittgensteins Ver-mischten Bemerkungen. Er meinte freilich, die Philosophie finge dort erst an, wo sein Tractatus endete; nämlich nachdem logisch-philosophisch festgestellt wurde, 'was der Fall ist'. "Meine Art des Philosophierens ist im Wesentlichen der Übergang von der Frage nach der Wahrheit zur Frage nach dem Sinn", steht am selben Ort.*
Recht besehen, kommt die Frage nach dem Sinn jedoch vor der Frage nach der Wahrheit. Nicht historisch, aber genetisch, denn durch sie ward die Frage nach dem Wahren erst aufgeworfen. Historisch war zuerst der Mythos da, als Einheit von Sinn und Wahrheit. Als der Mythos mit seinen unberechenbaren Göttern das Leben in den griechischen Poleis nicht mehr regulieren konnte, kam die Suche nach dem Wahren auf. Und zwar durch den Augenschein, dass der Mensch ein Teil des Kosmos ist und das, was für den Kosmos gilt, auch für die Menschen darin zu gelten hat - der Götter unerachtet.
Dieser Gedanke fand seinen höchsten Ausdruck in den metaphysischen Systemen des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts. Seit Galileo, Descartes, Spinoza, Newton und Leibniz war Mathematik das Gesetz der Welt und Urtyp der Vernunft. Diesen Systemen verdanken wir die Emergenz der Wissenschaft als Paradigma des Wissens und als Wegwei-ser des Lebens. Die Frage nach der Wahrheit und die Frage nach dem Sinn fielen zusam-men, denn sie fanden dieselbe Antwort.
Doch dann kam die Kritik, und die ist es, wodurch Philosophie wissenschaftlich wurde. Was ihrer Prüfung nicht standhält, wird verworfen.
Wahrheit ist überhaupt nur eine Fiktion um des Sinnes willen. Um nämlich den Sinn nicht bei sich selbst, sondern in der Welt lokalisieren zu können: "an sich". Doch dies ist das Ergebnis der Kritik: Wahr ist etwas nur in Hinblick auf einen Zweck, der unbedingt gilt, der selber kein Maß außer sich hat, aus dem nichts über ihn hin- weg weist. Und er hat keine Merkmale, durch die er mit Anderem vergleichbar wäre. Durch ihn wird Anderes vergleichbar. Er ist wie das Ästhetische; er ist das Ästhetische.
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Befremdlich bleibt die gewissermaßen technische Verwandtschaft von Wissenschaft und Kunst. Sie sind beide nicht Konstruktion aus vorfindlichen Elementen, sondern Entwurf ins Blaue. Ja, auch die Wissenschaft! Aus der Erfahrung selbst folgt gar nichts. Sie kann lediglich eine Vermutung bestätigen oder widerlegen. Die Ver- mutung muss der Forscher schon selber haben. Allerdings muss eine so gewonnene Erkenntnis den Blick auf weitere Erkenntnisse öffnen: über sich hinausweisen; sonst ist sie wissenschaftlich überflüssig. Aber das ist bei der Kunst anders. Sie rechtfertigt sich durch bloße Anschauung, oder eben nicht. Dass es über sich hinausweist, macht ein Kunstwerk eher lächerlich - und macht es zu Kitsch.
Übrig bleibt die Frage nach Begriffen und Bildern. Historisch betrachtet, kann man sich's leicht machen: All unsere Begriffe waren selber irgendwann mal Bilder, sie machten sich durch häufigen Gebrauch selbstverständlich und sahen aus, als ob es sie schon immer gegeben habe. Gar, als ob sie das wahre Geheimnis hinter den (lediglich erscheinenden) Bildern wären. Und hier kippt das Verhältnis auf einmal um. Nämlich braucht die Philo-sophie, um - als Kritik - Wissenschaft zu werden, nichts so dringlich wie den kristallklaren Begriff.
Aber woher sollte sie ihn bekommen? Das Universum der überkommenen Begriffe wollte sie doch gerade überprüfen; da musste sie wohl kritisch hinter sie zurückgreifen! Was aber liegt den Begriffen, durch die wir uns im alltäglichen Verkehr verständigen, zu Grunde? Es sind die Vorstellungen eines jeden Einzelnen, denen sie mehr oder weniger entspre-chen. Ob mehr, ob weniger, das ist eine Frage des Gebrauchs; "die Bedeutung der Wörter ist ihre Verwendung im Sprachspiel". Aber worum kreist die Verwendung? Um das, was gemeint ist, und das sind Vorstellungen.
Die jeweilige Verwendung der Begriffe betrifft ihre Genauigkeit. Genau sind Vorstellun-gen nie, denn sie 'zeigen sich' als Bilder, und die bedürfen der Deutung. Aber man darf sie nach ihrer Berechtigung fragen: nach den Vorstellungen, auf denen sie... nein, nicht beru-hen, sondern aufbauen. So dass gerade in dem Abschnitt der Philosophie, wo allein sie wissenschaftlich ist, sich die Begriffe vor den Bildern rechtfertigen müssen.
*) L. W., Vermischte Bemerkungen, Ffm. 1994, SS. 21, 58.
JE, 27. 2. 19
Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog.
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