Fichte
hat in Jena mit Friedrich,
August Wilhelm und Caroline Schlegel im selben Haus gewohnt, war auch
beim legendären Romantikertreffen im September 1798 in Dresden dabei,
und
später in Berlin ließ er sich seine Post über die gemeinsame Adresse
von Schle-gel und Schleiermacher zustellen, um die Polizeispitzel
irrezuführen. Gehörte Fichte zum Romantikerkreis oder gehörte nicht der Romantikerkreis zu Fichte?
"Darum hat Fichte gesagt: »Die Kunst macht den transzendentalen Gesichtspunkt zum
gemeinen.« Seine Philosophie ist, wenn man sie recht versteht, eine
radikale Künstler-philosophie. Und die Romantiker
verstanden
sie und
machten Fichte zu ihrem Prophe-ten," schrieb Egon Friedell,* und der war
allerdings genial, doch in philosophischen Dingen ein Dilettant war er
nicht, und promoviert hat er über Novalis als Philosoph.
Nicht
nur die Schlegels waren an Fichte orientiert. Hölderlin gehörte in Jena
zu seinen er-sten, Brentano zu seinen letzten Hörern. Aber der
Romantikerkreis ist im Jahr 1799 aus-einandergebrochen, nein,
auseinandergeflossen aus demselben Grund, aus dem Fichte Jena
verlassen musste: Der Atheismusstreit hatte deutlich gemacht, dass nicht nur in Frankreich, sondern auch in
Deutschland die Zeit des revolutionären Aufbruchs vorbei war. Bei diesen
folgten frömmeld deutsche Innerlichkeit und Ergebung in
biedermeier-liche Restauration, bei jenen folgte...
Es war ein existenzialistischer Sprung über den Abgrund, wie soll man es anders nennen? "Aller Ernst und alles Interesse ist dann rein aus meinem
Leben vertilgt, und dasselbe ver-wandelt sich, eben so wie mein Denken,
in ein blosses Spiel, das von nichts ausgeht und auf nichts hinausläuft", hieß es als Quintessenz jenes Abschnitts in der Bestimmung des Menschen, der die Überschrift Wissen trägt.
Die Existenzphilosophie des 20. Jahrhunderts hat in Fichte unmöglich ihren Stifter erken-nen können, weil er ihr in R. Kroners schiefen, aber landläufig gewordenen Perspektive Von Kant zu Hegel***
vielmehr als Begründer eines sogenannten Deutschen Idealismus erschien.
Wilhelm Weischedel hat dagegen mit seiner existenzialistischen Deutung
der Wissenschaftslehre als einer Ontologie des Lebens** leider nie durchdringen können.
Die Absurdität des Daseins annehmen und Ja sagen zu dem, was wirklich ist, um darin meine
Freiheit zu behaupten - wie soll man das anders nennen als
existenzialistisch? Aber es liegt gar nichts an oder in diesem Wort. Ein
anderes, ebenfalls treffendes wäre mir ge-nauso recht; heroischer Nihilismus etwa.
Ob auch Artisten-Metaphysik, wie Friedell insinuiert, ist an dieser Stelle noch nicht zu entscheiden.
Samstag, 25. November 2023
Der Existenzialist unter den Romantikern.
N. N. aus Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik.
*) Kulturgeschichte der Neuzeit, III. Buch, 3. Kapitel
**) W. Weischedel, Der frühe Fichte, Stuttgart-Bad Cannstadt, ²1973; die Erstausgabe war 1939 unter dem absichtlich zweideutigen Titel Der Aufbruch der Freiheit zur Gemeinschaft
erschienen und ist so zwar der Zensur entgangen, aber der
Aufmerksamkeit der einschlägig interessierten Leserschaft wohl leider
auch. Im Jahr der Neuauflage war dann Fichte noch nicht wieder aktuell,
aber der Existenzialismus schon wieder passé.
***) Ja ja, Kroner hatte von 'von-bis' geschrieben; aber geflügelt wurde das Wort mit von-zu.
25. 4. 14
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