Freitag, 22. November 2024

Modellrechnung.

                                                                      aus Marxiana

Eine solche Periode nenne ich den Umschlagscyclus des Capitals. Der Gesammtumlauf des fixen Capitals ist bedingt nicht durch die Zeit, worin der Gesammtwerth des vorgeschosse-nen Capitals umschlägt, sondern durch die Zeit, worin der Gesammtwerth des fixen Capi-tals circulirt hat, in Geld verwandelt ist, und daher, der Durchschnittsrechnung gemäß, sein Gebrauchswerth vernichtet, es als Gebrauchswerth aufgenutzt ist, und daher in natura er-setzt, wirklich reproducirt werden muß. 

Seine Umlaufszeit ist also bestimmt durch seine Functionszeit im Productionsproceß, die dem Eintreten seines Gesammtwerths in den Circulationsproceß, oder dem allmählichen Umlauf seines Gesammtwerths, entspricht. Erst am Schluß dieses Umschlagscyclus des vorgeschossenen Capitals ist das fixe Capital, seinem Gesammtwerth nach vergoldet und muß daher die Phase G-W der Circulation durchlaufen, sich in einen Productionsfactor derselben Art rückverwandeln. 
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K. Marx, Ökonomisches Manuskript 1863-1865, MEGA II/4.1, S. 268 

 



Nota I. - Dass der Gebrauchswert der Maschine erst abgenutzt sei, wenn deren Tauschwert in Gestalt von Produkten völlig reproduziert und zu Geld gemacht ist, scheint, und sei es nur 'im Durchschnitt', ein frommer Wunsch. Hängt das realiter nicht vom bloßen Zufall ab? 

Der (Tausch-)Wert ist keine stoffliche Größe. Er tritt als solcher nirgends in Erscheinung. In Erscheinung tritt der Profit; dessen Größe wird erst im Gesamtprozess der kapitalisti-schen Produktion und letzten Endes auf dem Weltmarkt festgesetzt. Er hängt nicht direkt von dem vom individuellen Kapital erzeugten Mehrwert ab, sondern vom Ausgleich der Profitrate durch den Markt. Solange das individuelle Kapital auf dem Markt mithält und sich durchschnittlich verwertet, muss man annehmen, dass - unter anderm - der Verschleiß des Gebrauchswerts der Maschine nicht erheblich schneller vonstatten geht, als ihr gesam-ter (Tausch-)Wert reproduziert ist. Ob oder ob nicht, lässt sich nicht rechnerisch überprü-fen. 

Der Kapitalist wird es am Ende in seiner Bilanz bemerken; richtiger: Er würde bemerken, dass er zu wenig Gewinn macht, und er könnte vermuten, dass das daran liegt, dass er zu wenig produziert. Das mag nun manche Gründe haben. Unter anderm den, dass seine Ma-schine früher schadhaft wurde, als er dachte. Das muss man an der Maschine selbst über-prüfen, aus den Rechnungen geht es nicht hervor. Der Gebrauchswert als solcher lässt sich nicht beziffern. Man muss ihn praktisch ausprobieren.

Wozu also Marxens penible Berechnungen? Er muss am theoretischen Modell überschla-gen, ob die Begriffe für den Zweck taugen, für den sie bestimmt wurden. Die Zahlen sind alle fiktiv. Wie sollte man das Tempo der Wertübertragung denn vorab kennen? Die hängt doch vom Gebrauchswert der lebendigen Arbeitskraft ab und nicht nur von der Maschine. Es sind alles nur Modellrechnungen. Wenn sie aufgehen, bestätigen sie das Modell. Mehr ist nicht drin.
20. 10. 18

Nota II. - Das Modell stellt am Sach verhalt das Intelligible dar.
JE, 22. 11. 24


Nota - Das obige Bild gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und ihre Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Ihre Nachricht auf diesem Blog.. JE

Donnerstag, 21. November 2024

Das Intelligible ist lediglich Erklärungsgrund.

Blechen,Teufelsbrücke       aus Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik 

Das Reale bedeutet mir das Objektive, das Ideale nur das Subjektive im Bewusstsein. Beides wird nun besonders betrachtet als bestimmbar, und dieses Denken gibt uns das bloß Intelli-gible. Das Intelligible ist sonach nichts an sich, sondern etwas für die Möglichkeit unserer Erklärung Vorauszusetzendes. So behandelt es auch Kant, und jede andere Ansicht wäre transzendent. 
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 192, S. 167


Nota I. - Das Reale ist das, was sich mir im Gefühl anzeigt. Ich bestimme es als dieses; ich mache mir einen Begriff. So kommt es in meinem Bewusstsein vor, er ist das Intelligible am jeweils Realen. Er ist Noumenon, das Phänomen wird selbst nicht angeschaut, sondern ge-fühlt. Es ist das Gefühl, das angeschaut und begriffen wird.

29. 3. 19

 
Nota II. - Erklären heißt nicht Schritt für Schritt kausal herleiten; denn klar würde dabei gar nichts: Was 'Kausalität' überhaupt ist, bliebe im Dunkeln. Erklären heißt verständlich ma-chen. Wir verstehen ein Sache, wenn wir in ihr einen Sinn erkennen. Der Sinn ist nicht zu-sammengesetzt aus seinen in der Reflexion isolierbaren Elementen, sondern das, was an ihm mehr ist als deren Summe. Er ist nicht latent oder virtuell angelegt, sondern kommt 'a priori' dem Ganzen zu: Durch ihn wird es ein Ganzes.
JE,
11. 11. 20



Mittwoch, 20. November 2024

Stoff und Form, oder Der Mensch macht seine Bedürfnisse selber.

                                                                    aus Marxiana

Arbeit sei der Gebrauchswert des Kapitals, hieß es gestern. - 

Der Gebrauchswert gehört nicht in die Ökonomie, nämlich nicht ins Klassische System der Politischen Ökonomie, wie es von Smith, Ricardo und ihren Nachfolgern und Epigonen aufgestellt worden ist.

Das war dessen Grundfehler, denn der Gebrauchswert ist die andere Seite der Bedürfnisse, und der Reichtum besteht, stofflich betrachtet, nur in der Mannigfaltigkeit der Bedürfnisse. Gehört also die Akkumulation des Reichtums nicht in die Ökonomie? 

Die Kritik der Politischen Ökonomie hat diesen Inhalt: an die Stelle der scheinbar selbst-läufigen Formbestimmung die materiale Geschichte der Bedürfnisse zu setzen.

*

Bedürfnis ist in den Pariser Manuskripten das Wesen des Menschen. Den Gedanken hat Marx von Feuerbach übernommen, er macht den 'Materialismus' der neuen Betrachtungs-weise aus. Als ein Bedürftiger erscheint der Mensch bei Feuerbach aber lediglich als Leiden-der, doch müsse der Materialismus praktisch aufgefasst werden, heißt es bei Marx späte-stens in den Feuerbachthesen: Als Bedürftiger sei der Mensch ein schlechthin Tätiger. Das Was ist der Stoff. Die Form ist lediglich ein Wie.

An dem Punkt erweist sich die formale Analogie von Marx und Fichte als eine sachliche. Wenn von einem Ansich überhaupt die Rede sein könnte - was eigentlich gar nicht statthaft ist -, so müsse es das Wollen sein, sagt Fichte: In einem ersten Gang der Transzendentalphi-losophie hat sich 'der Mensch' als ein Ich und das Ich als Tätigkeit erwiesen. Als Grund sei-ner schlechthinnigen Tätigkeit wird man sich ein Wollen denken müssen: als dynamisches Prinzip. - Das freilich ist Spekulation. 

Nicht spekulativ ist jedoch der 'zweite Gang' der Transzendentalphilosophie; der Gang, der aus den freigelegten Gründen die positive Tätigkeit rekonstruiert: Sie ist immer, welches auch ihre konkreten Bestimmungen nach Raum und Zeit jeweils seien, Übergang vom Be-stimmbaren - relativ Unbestimmten - zur Bestimmtheit. 

Ist 'der Mensch' als ein an sich Bedürftiger, das Bedürfnis aber als dynamisches Prinzip defi-niert, dann ist der reale historische Prozess ein unendliches Übergehen von der relativen Un-bestimmtheit zur Bestimmung der Bedürfnisse. Bedürfnis ist Wollen. 

*

Quod erat demonstrandum.
18. 10. 16

 

 

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Dienstag, 19. November 2024

Das Apriori der Wissenschaftslehre.

kommunikationszentrum       zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Das Wollen ist das einzige Apriori der Wissenschaftslehre.

Kann etwas apriori sein, das nicht zuvor aposteriori war? fragt Fichte.

Im Verlauf der vorstellenden Tätigkeit beobachtet, in der eine Welt entsteht, ist Alles zunächst einmal aposteriori. Von meinem Wissen von der fertigen Welt aus betrachtet, erscheint alles, was vorkommt, als apriori.

Das Wollen ist im reellen Gang des Vorstellens nur apriori. Allein der erste, analytische Gang der Transzendentalphilosophie findet es aposteriori als anzunehmende Voraussetzung auf; nicht aber das reale Wissen in seinem Bestand.

Dem theoretischen Philosophieren mag es als Ansich vorkommen. Für die Anthropologie wie für alle praktische Philosophie ist es ursprüngliches Postulat.
31. 5. 15


Um Etwas zu wollen, bedarf es der Einbildungskraft alias eines poietischen Vermögens.
Um etwas zu wollen, müsste offenbar noch etwas hinzukommen.

Fichte hat die Reihenfolge umgekehrt. Er nimmt das Wollen als sein Apriori. Es ist die Bestimmung des Menschen: "So soll er werden!"  -   Hinzukommen muss vielmehr noch ein Etwas.

Wer bestimmt, wie er werden soll? Es ist längst bestimmt: Dieses Apriori ist - es würde ihn nicht überrascht haben - ein Aposteriori. Es ist das autonome Subjekt, die selbstbestimmte Person der bürgerlichen Gesellschaft.

3. 6. 15


Und immer wieder: Die Wissenschaftslehre konstruiert nicht aus gedachten Voraussetzun-gen die Welt, sei's wie sie ist, sei's wie sie werden soll. Vielmehr findet sie eine Welt vor, in der die Auffassung um sich greift,* dass Vernunft herrschen soll. Was Vernunft sei und unter welchen Voraussetzungen sie herrschen kann, war Gegenstand der Kantschen Kritik. Sie blieb unvollendet im Apriori stecken. Aufgabe der Wissenschaftslehre ist, die Vernunft-kritik zu ihrem Abschluss zu bringen.

So weit die historische, faktische Voraussetzung der Aufgabe. Sie besteht im Aufsuchen der Bedingungen der Möglichkeit von Vernunft. Das geschieht im fort-, d. h. rückschreitenden Auflösen der auseinander entwickelten tatsächlichen Bestimmungen: Die Bedingungen wer-den zurückgeführt auf das sie Bedingende. Es ist am letzten Grund ein an sich selber unbe-stimmtes Bestimmendes; eine prädikative Qualität

Zur Probe ihrer Richtigkeit muss es gelingen, wie bei einer Rechenaufgabe die Operation umzukehren, und an ihrem Ende muss stehen - die 'Reihe vernünftiger Wesen', nämlich derer, die übereingekommen sind, dass in der Welt "Vernunft herrschen soll"; welches der Ausgangspunkt war. Was in der Analyse erst Ergebnis war, ist in der synthetischen Re kon-struktion das Vorauszusetzende: a priori.
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*) seit dem Westfälischen Frieden 1648
22. 10. 18

Montag, 18. November 2024

Wollen ist sinnlich, das reine Wollen ist bloß Erklärungsgrund.

Myron                                                           aus Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik 

Wollen ist zuförderst ein selbsttätig Bestimmen, alles Bestimmen ist durch die Einbildungs-kraft vermittelt, es ist ein tätiges Bestimmen zu einem Zweckbegriffe. Sonach ist der ganze Begriff des Wollens sinnlich, alles Wollen ist Erscheinung, das reine Wollen wird bloß als Erklärungsgrund vorausgesetzt, es ist in unserer Vorstellung und Sprache nicht zu fassen. - 

Absolute Selbstheit, Autonomie, Freiheit, alles ist gleich unbegreiflich. Die Freiheit lässt sich nur negativ beschreiben, durch nicht-Bestimmtwerden.
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 213


Nota I. - Wenn man überhaupt von einem An-sich reden könne, dann wäre es das reine Wollen, hatte es zuvor geheißen. Nicht freilich als ein metaphysisches Subjekt vor aller Erscheinung, sondern als bloßes Gedankending: Noumenon.

Wozu ein solches Gedankending? Als Erklärungsgrund. Wenn aber ein Realgrund im Sinne von Ursache und Wirkung nicht gemeint wäre - was dann? Es kann nur eine nachträgliche Sinn-Bestimmung sein. Der Zielpunkt, auf den die Rekonstruktion des Vorstellungsgangs hinauslaufen soll, ist gegeben - ein Zustand, in der Vernunft gilt (gelten soll: das ist dassel-be). Was Vernunft aber ist - woher sie kommt, woraus sie besteht, worin ihr Zweck liegt - sollte die Kritik erst herausfinden: Es ist Selbstbestimmen des Wollens zu einer Überein-stimmung der Vernunftwesen. Ad quem - Übereinstimmung, a quo - Wollen; das sind die beiden Pole derselben Sache.

Doch was im Nachhinein aussieht wie das Ergebnis einer Analyse, war im Anfang eine Synthesis par excellence: ein Postulat.

14. 6. 18

Nota II. - "Durch ihn wird es ein Ganzes": In der Wirklichkeit gibt es nur eine unendliche Mannigfaltigkeit einzelner Wollensakte. Die sind in Raum und Zeit und sind Fakten, näm-lich für einen Beobachter, aber als solche sind sie dumm: blind und taub. Deren Zusam-menfassung zu einem allgemeinen 'Wollen überhaupt' geschieht durch das Zuschreiben einer ihnen gemeinsam zukommenden Qualität. Erst im Nachhinein wird sie zum 'apri-orischen' Sinn eines jeden, aber es sieht so aus, als sei sie abstrahiert aus einem gemeinsa-men vorfindlichen Merkmal jener.
JE,11. 11. 20

 

Sonntag, 17. November 2024

Denken ist unvollständig bestimmtes Wollen.

                               zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Ein empirisches Wollen erscheint als Übergehen von der Bestimmbarkeit zur Bestimmtheit, charakterisiert durch die völlige Kontraktion meines ganzen Wesens auf einen einzigen Punkt; da dies beim Denken nicht ist, da man zwischen Entgegengesetzten schwebt. 

(Alles empirische Wollen ist etwas Bestimmtes, aber es gibt zweierlei Bestimmtheit, unvol-lendete und vollendete, erstere erscheint als Denken, letztere als Wollen; in dem Denken ist noch ein Blick aufs / Entgegengesetzte, aber wenn ich will, will ich dies und nichts anderes, das andere durchs Denken Angeschaute liegt nicht im Wollen.

Nun erscheint alle Bestimmtheit als Übergehen pp. – Es gibt also auch zweierlei Bestimm-barkeit: eine fürs Denken und eine fürs Wollen, das Denken selbst ist Bestimmbarkeit des Wollens. Wollen ist quasi die zweite Potenz unseres empirischen Vermögens, Denken ist die erste.)
_______________________________________________________________________ J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 175f.

 

Nota bene: So ist es empirisch. Du und ich, wir wissen - erst muss man denken, bevor man weiß, was man will, geschieht es umgekehrt, ist nicht von wollen zu reden, sondern von mö-gen, präferieren, begehren. Für die Transzendentalphilosophie alias Wissenschaftslehre wur-de dagegen als quasi-Apriori das reine Wollen aufgefunden - ein Noumen, etwas, das man annehmen muss, damit die Erzählung einen Sinn bekommt. Real vorfindlich ist das Denken, es wird als im Wollen begründet vorgestellt. Hier nun erscheint das Denken als Deliberie-ren, ein Vorgang des sich-selbst-Bestimmens des 'reinen' Wollens zu einem wirklichen und konkreten. Und um die Sache rund zu machen: Wirkliches Wollen ist natürlich zunächst einmal bloßes Denken...

JE, 15. 11. 20

 


 

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Samstag, 16. November 2024

Fichtes kategorischer Imperativ (II).

                                  zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Die Schwierigkeit war eigentlich, ein Wollen zu erklären ohne Erkenntnis des Objekts. Der Grund der Schwie-rigkeit lag darin, dass das Wollen nur betrachtet wurde als ein empirisches, als ein Übergehen vom Bestimmbaren zum Bestimmten. 

Diese Behauptung ist nun geleugnet worden; es ist ein Wollen postuliert worden, das die Erkenntnis des Objekts nicht voraussetzt, sondern schon bei sich führet, das sich nicht auf Beratschlagung gründet, und dadurch ist nun die Schwierigkeit völlig gehoben.

Das reine Wollen ist der kategorische Imperativ; es wird aber hier nicht so gebraucht, son-dern nur zur Erklärung des Bewusstseins überhaupt. Kant braucht den kategorischen Im-perativ nur zur Erklärung des Bewusstseins der Pflicht.
 

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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 143

 

Nota. - Wollen-überhaupt ist als kategorischer Imperativ das Postulat, das der Wissenschaftslehre zu Grunde gelegt wird. Es führt, wie wir oben hören, seinen Zweck "schon bei sich", nämlich den Zweck-überhaupt, der nur ebenso unbestimmt-unendlich bestimmbar sein kann wie das Wollen-überhaupt. Du sollst wollen ist Prak-tische Philosophie und Anthropologie in einem, nämlich: Du sollst nicht nur wollen, sondern dein Wollen selber bestimmen - und so weiter ins Unendliche.
16. 11. 20

 

Nota. - Das reine Wollen ist der kategorische Imperativ der Wissenschaftslehre. Während bei Kant der kategorische Imperativ erst in der praktischen Philosophie vorkommt zur Er-klärung des Bewusstseins der Pflicht, liegt er in der neuen Darstellung der Wissenschafts-lehre dem ganzen System zu Grunde. Das reine Wollen ist diejenige prädikative Qualität, aus deren abso-luter Unbestimmtheit sich ein Ich heraus und einem Nichtich entgegen set-zen soll.

Es wird nicht behauptet, dass es so ist. Es wird gesagt, dass man es sich so vorstellen muss, wenn man (zum Schluss) die Wirklichkeit des vernünftigen Bewusstsein verstehen will. Auf letzteres kommt es an; es muss also nicht nur gezeigt werden, wie es möglich ist, dass aus dem reinen Wollen sich durch reelles Wollen in der sinnlichen Welt etwas zu etwas bestimmt, sondern es muss vor allem gezeigt werden, wie es davon ein Bewusstsein erlangt. Im Akt selber geschieht das nicht. Wenn die Tätigkeit nicht an einem Punkt beschränkt wird, läuft sie ins Unendliche fort und ist nicht zu halten. Sie muss an einer Grenze zum Stehen kom-men, um bestimmt werden zu können, und die kann nur von einem Gefühl gesetzt werden.

Das Gefühl wiederum kann angeschaut werden. Nicht aber die Tätigkeit, wodurch es mög-lich wurde! Entstanden als ein Bestimmtes ist dagegen das Tätige. Als ein solches kann es gedacht werden - nämlich als gegeben. Als eines, das schon da war, bevor es erschien. Es schaut das Ich sich an als sich selbst vorausgesetzt: wie ein als sich-selbst-Bestimmendes bestimmt. Hinter dem empirischen Wollen von diesem oder jenem scheint so das reine Wollen als ein Sollen auf.


Wann immer ein Ich wirklich etwas denkt, denkt es diesen Vorgang mit, indem es ihn sach-lich voraussetzt. Doch zu Bewusstsein kommt er ihm nicht von allein. Anschauen kann es ihn nur in der Vorstellung, aber das muss es wollen, in freier Reflexion.
JE, 30. 9. 18 

Freitag, 15. November 2024

Im NichtIch ist keine Kraft, sondern nur Sein.

Kunstart.net, pixelio.de          aus Wissenschftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Es wird in das Ich nichts Fremdartiges hineingetragen. Von der Welt geschehen keine Ein-drücke, es kommen keine Bilder hinein. Im Entgegensetzen ist keine Kraft, die sich auf das Ich fortpflanzt, sondern es ist die Beschränkung im Ich, und der Grund, warum es etwas setzt, liegt ihn ihm. - Kraft kommt ursprünglich dem NichtIch nicht zu, sondern nur Sein. Das NichtIch fängt nicht an, es ist nur verhindernd aufhaltend. Das Ich kann nicht zum Bewusstsein kommen, wenn es nicht beschränkt ist; der Grund der Beschränkung liegt außer ihm, aber der Grund der Tätigkeit liegt in ihm.
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 7

 

 

Donnerstag, 14. November 2024

Sein ist eine negative Größe.

Philipp Colla, El Capitán                                 aus Wissenschftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Das Ich in C wurde gefunden als sich selbst setzend; wurde in C nicht in Tätigkeit, sondern in Ruhe gefunden, als ein sich selbst setzendes Gesetztes. Seine Tätigkeit als solche ist auf-gehoben, sie ist eine ruhende Tätigkeit, die aber doch eine Anschauung ist und bleibt. Wie nun allenthalben die Anschauung einem Begriffe entgegensteht und sie selbst nur durch diesen Begriff möglich ist, so ists auch hier. Dies [dem] C Entgegengesetzte ist nun das, was wir oben D nannten. Der Charakter des Begriffs überhaupt ist Ruhe, nun ist C als Anschau-ung betrachtet schon Ruhe, da nun D in Rücksicht auf C Ruhe ist, so ist es Ruhe der Ruhe; was ist nun D?

Indem C dem D entgegengesetzt wird, ist es allerdings Tätigkeit, die durch freie Selbstbe-stimmung zur wirklichen Tätigkeit hervorgerufen werden kann. Es ist Tätigkeit dem Wesen nach (C ist Tätigkeit des Ich als Substanz betrachtet, wovon weiter unten, denn hier bleibt es bloße Redensart.) Das Gegenteil dieser Tätigkeit - D - wäre nun eine reelle Negation von Tätigkeit, nicht bloß Privation, die Tätigkeit Aufhebendes, Vernichtendes, nicht Zero, son-dern negative Größe. 

Dies ist der wahre Charakter des eigentlichen Seins, dessen Begriff man mit Unrecht für einen ersten, unmittelbaren gehalten hatte, - denn der einzige unmittelbare Begriff ist der der Tätigkeit. Sein negiert in Beziehung auf ein außer dem Sein gesetztes Tätiges; durch Sein wird Machen aufgehoben. Was ist, kann nicht gemacht werden. Sein negiert Zweck in Beziehung auf das Setzende; was ich bin, kann ich nicht werden. /

So hat der gemeine Menschenverstand, ohne es zu wissen, die Sache immer genommen. Mit der Existenz der Welt wollte er sich nicht begnügen, er stieg zu einem Schöpfer auf.

Sein ist Charakter des NichtIch, der Charakter des Ich ist Tätigkeit; der Dogmatismus geht vom Sein aus und erklärt dies fürs Erste, Unmittelbare.
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 41f.

 

Nota. - Die Dialektik von A, B, C und D ist schwindelererregend. Ob das wirklich nötig war? Aber ich denke, er wollte nunmal auf seine Schlussfolgerung hinaus: Der 'erste, un-mittelbare' Begriff ist nicht Sein, sondern Tätigkeit. Sein ist nicht nur ein Mangel an Tätig-keit, sondern Anti-Tätigkeit, Wider (Gegen)stand der Tätigkeit.

So entpuppt sich die radikale Transzendentalphilosophie, "echter durchgeführter Kritizis-mus", nicht bloß als eine implizite Anthropologie, sondern als eine Metaphysik sui generis, im allerstärksten Sinn: eine aktualistische Fundamentalontologie; als solche aber keine theo-retische Voraussetzung, sondern praktisches Postulat
JE 18. 7. 16

 

Mittwoch, 13. November 2024

Die analytische Reduktion ist die Deduktion eines Bestimmungsgrundes aus einem Bestimmten.

                                                                      zu Philosophierungen

[Wie erweist die Vernunftkritik 'das Ich' als den Urheber der Vernunft?]
 
Wenn einer so* handelt, dann muss er dies vorausgesetzt haben: die apriorische syntheti-sche Einheit; und ipso facto sich "als einen Setzenden" gesetzt haben.
Aus e. Notizbuch. 19. 1. 04 

*) nämlich auf so oder anders bestimmte Weise 

'Es kann nicht anders gewesen sein': Das ist die Umkehrung der pragmatischen Logik. Was zufällig war, wird vernachlässigt (vernachlässigen lässt sich alles, was auch anders sein konn-te), übrig bleibt allein, was nicht hätte anders sein oder auch nur fehlen konnte: der absichts-volle Akt. 

Schon zu Zeiten Fichtes wurde über seine "Deduktionsmanie" gespottet. Vielleicht zu Recht, vielleicht auch nicht. Auf jeden Fall hat es den Blick darauf verstellt, dass er unter De:duktion zugleich auch deren Umkehrung, die Re duktion eines vorgefundenen Bestimm-ten auf dessen nicht-anders-sein-könnenden Bestimmungsgrund versteht. Das ist nicht nur das strikte Gegenteil; es ist auch das intellektuell unvergleichlich anspruchsvollere Verfah-ren.
16. 11. 20

 

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Dienstag, 12. November 2024

Ein ungleicher Austausch.

jamesros                                                                                                    aus Marxiana

Lebensmittel sind eine besondre stoffliche Existenzform worin das Capital dem Arbeiter gegenübertritt, bevor er sie durch Verkauf seines Arbeitsvermögens aneignet. Aber sobald der Productionsprocess beginnt, ist das Arbeitsvermögen bereits verkauft, die Lebensmittel also, wenigstens de jure, in den Consumtionsfonds des Arbeiters übergegangen. Diese Le-bensmittel bilden kein Element des Arbeitsprocesses, welcher neben dem wirkenden Ar-beitsvermögen selbst nichts voraussetzt ausser Arbeitsmaterial und Arbeitsmittel. 

In der That muß der Arbeiter sein Arbeitsvermögen durch Lebensmittel erhalten, aber diese seine Privatconsumtion, die zugleich Reproduction seines Arbeitsvermögens ist, fällt ausser-halb des
Productionsprocesses der Waare. Es ist möglich, daß in der capitalistischen Produc-tion thatsächlich die ganze disponible Zeit des Arbeiters vom Capital absorbirt wird, daß also der Verzehr der Lebensmittel thatsächlich als ein bloser Incident des Arbeitsprocesses selbst erscheint, wie der Verzehr von Kohle durch die Dampfmaschine, von Oel durch das Rad oder von Heu durch das Pferd, wie die ganze Privatconsumtion des arbeitenden Skla-ven, ...

Wie sich das aber immer thatsächlich gestalten mag, die Lebensmittel, sobald der freie Ar-beiter sie verzehrt, sind Waaren, die er gekauft hat. Sobald sie in seine Hand übergehn, also umsomehr, sobald sie von ihm verzehrt werden, haben sie aufgehört, Capital zu sein. Sie bilden / also keines der stofflichen Elemente, worin das Capital im unmittelbaren Produc-tionsproceß erscheint, obgleich sie die stoffliche Existenzform des variablen Capitals bilden, das auf dem Markt, innerhalb der Circulationssphäre als Käufer von Arbeitsvermögen auf-tritt.
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K. Marx, Ökonomisches Manuskript 1863-1865, MEGA II/4.1, S. 78
f.   



Nota. - Das variable Kapital verschwindet im Produktionsprozess: Es wurde als Gebrauchs-wert verzehrt. Es entsteht - wird erarbeitet - ein neues Qantum Tauschwert, das an seine Stelle tritt und zunächst das Wertquantum des variablen Kapitals ersetzt; aber unter den normalen Bedingungen der kapitalistischen Produktion größer ist als jenes. Und weil die Wertmenge größer geworden ist, heißt das Kapital, das der Kapitalist als Preis für das Ar-beitsvermögen auslegt, "variabel". Mysteriös ist daran nichts mehr. Es wird ein Quantum vernichtet und es wird ein neues Quantum produziert.
JE, 28. 6. 18 

 

 

Nur, was aus dem Leben kommt, hat Realität.

Jordaens, Drei Musiker        zu   Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik Unsere Philosophie macht umgekehrt das Leben, d...