Donnerstag, 10. November 2022

Die Sache selbst und ihr Modell.

 Antikythera-Mechanismus                                                                aus Marxiana
 

Keineswegs ist das "wesentliche Neue" an der Dialektik, wenn sie rationell aufgefasst wird, dass sie - entgegen einer "statischen" formalen Logik - "das Dynamische" denkbar mache: Das tut sie nur in ihrer hegelisch mystifizierten Form, in welcher sie freilich das "Dynamische" gerade auch wieder aufhebt - und eben damit nicht denkbar macht...

...denn tatsächlich ist das System der "Wechselbestimmung der Begriffe" ein System des Gleichgewichts, nicht der Entwicklung: Eines hält das Andere, und das Andere hält das Eine: Da ist gar kein Grund, oder wie Wittgenstein sagt, das ganze Haus trägt das Fundament.


"Das Dynamische" wird hingegen durch das dialektische "Modell" - um es geradeheraus zu sagen - in der Tat dargestgellt, nämlich per Negation: 'Ursprung' und 'Zusammen-bruch' als die bestimmten Grenzen seiner Geltung.

Und der Moment seiner positiven Geltung ist dann gleichermaßen eine Art Grenzbe-stimmung: der "Punkt", wo sein noch-nicht-Gelten und sein schon-nicht-mehr-Gelten sich bestimmt die Waage halten; und dies macht vollends deutlich den transitorischen, nämlich rein instrumentalen, nämlich heuristischen Charakter des 'Modells': Mittel der Sinn-"Bestimmung" - aber Bestimmung hier nicht als Setzung, sondern lediglich als deren Darstellung; die Setzung selbst des Sinns ist "praktisch"; nicht diskursiv-vermittelt...

26. 6. 87



Nachtrag.

Das Kapital  hat 3 Bände. Der erste stellt in einem abstrakten Modell dar, wie sich das Kapital im Produktionsprozess 'selbst setzt' - unter historisch gegebenen Bedingung, die außerhalb seiner liegen, aber im 1. Band doch dargestellt werden: die "sogenannte ur-sprüngliche Akkumulation". Der 2. Band stellt dar, wie sich das Kapital im Zirkulations-prozess 'als solches bestimmt': den Mehr wert realisiert. Der 3. Band stellt dar - wiederum in einem abstrakten Modell, unter Auslassung störender Kontingenzen - den "Gesamt-prozess der kapitalistischen Produktion" als die Einheit von Produktions- und Zirkulati-onsprozess; und stellt dar seine historische Schranke: den Fall der Profitrate.

Zwischen den Polen 'ursprüngliche Akkumulation' und 'Fall der Profitrate' funktioniert das Modell. Beide Pole sind nicht begrifflicher, sondern faktischer Art und können im Modell daher nicht dargestellt werden. Das gilt nicht nur für die "ursprüngliche Akkumu-lation", sondern ebenso für den 'Fall der Profitrate' - für die sogar doppelt: Erstens, in-dem sich im Wertzuwachs des Fixen Kapitals der Gebrauchs wert, der im Modell materia-liter gar nicht vorkommt, als selber formbestimmend geltend macht; und zweitens, indem die Entscheidung, ob das abstrakte (=aus dem Begriff abgeleitete) 'Gesetz' überhaupt je aktuell wirksam wird, von Fakten abhängt, die vom 'gesetzgebenden' Modell überhaupt nicht vorhersehbar sind.

Darauf will ich hinaus: Die Kritik der Politischen Ökonomie ist - ein historisches Fach, und das macht die Kritik gerade aus: Die Politische Ökonomie selber verstand sich als eine nomothetische Disziplin: Vorangegangene Wirtschaftsweisen wären historischen Verirrungen geschuldet; mit dem Markt setze sich endlich die wahre Art des Wirtschaf-tens durch, die ökonomischen Gesetze kämen zu freier Entfaltung. Dr. Quesnay, Smith und Ricardo bauten an Modellen.

Marx greift die Prämisse auf, zunächst gar nicht kritisch, sondern in der Absicht, das 'Modell' zu vervollständigen. Doch immerhin: Er betrachtet das Modell nicht als aus den Gesetzen hervorgegangen, sondern umge-kehrt die Gesetze als dem Modell zugehörig. Er behandelt das Modell als ein Idion; als Eine historische Begebenheit,und was er an 'Ge-setzen' antrifft, entschlüsselt er als das wirkliche Handeln lebender Menschen unter den Bedingungen dieser Begebenheit. Nicht, wie die Politische Ökonomie tat, nomothetisch, sondern idiographisch, wie es der Geschichtswissenschaftler tut. Er benutzt das Modell als eine heuristische Figur: apagogisch, um zu prüfen, was es taugt. Es taugt nicht zum Verstehen, aber es taugt zum Verschleiern.

*) Das Modell kennt keine Zeit. Es gibt ein funktionales Nacheinander, aber keine Dauer. Es geschieht alles mit einem Mal. Das Modell ist nicht wirklich, es kann nur vorgestellt werden.

15. 12. 16





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