Mittwoch, 27. August 2025

Reich der Notwendigkeit und Reich der Freiheit.

  Flammarion                                                           aus Marxiana

Der wirkliche Reichthum der Gesellschaft, und die Möglichkeit beständiger Erweiterung ihres Reproduktionsprocesses hängt also nicht ab von der Länge der Mehrarbeit, sondern von ihrer Produktivität und von den mehr oder minder reichhaltigen Produktionsbedin-gungen, worin sie sich vollzieht. 

Das Reich der Freiheit beginnt in der That erst da, wo das Arbeiten, das durch Noth und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört; es liegt also der Natur der Sache nach jen-seits der Sphäre der eigentlichen materiellen Produktion. Wie der Wilde mit der Natur rin-gen muß, um seine Bedürfnisse zu befriedigen, um sein Leben zu erhalten und zu reprodu-ciren, so muß es der Civilisirte, und er muß es in allen Gesell/schaftsformen und unter allen möglichen Produktionsweisen. 

Mit seiner Entwicklung erweitert sich dies Reich der Naturnothwendigkeit, weil die Bedürf-nisse; aber zugleich erweitern sich die Produktivkräfte, die diese befriedigen. Die Freiheit in diesem Gebiet kann nur darin bestehn, daß der vergesellschaftete Mensch, die associirten Producenten, diesen ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln, unter ihre gemein-schaftliche Kontrolle bringen, statt von ihm als von einer blinden Macht beherrscht zu werden; ihn mit dem geringsten Kraftaufwand und unter den, ihrer menschlichen Natur würdigsten und adäquatesten Bedingungen vollziehn. 

Aber es bleibt dies immer ein Reich der Nothwendigkeit. Jenseits desselben beginnt die menschliche Kraftentwicklung, die sich als Selbstzweck gilt, das wahre Reich der Freiheit, das aber nur auf jenem Reich der Nothwendigkeit als seiner Basis aufblühn kann. Die Verkürzung des Arbeitstags ist die Grundbedingung. 
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K. Marx, Das Kapital III, MEGA II/15,  S. 794f. [MEW 25, S. 828f.]


Nota. - Bemerkenswert, dass er an dieser Stelle die auf der Grundlage höherer Arbeitstei-lung historisch hinzugekommenen Bedürfnisse dem "Reich der Naturnotwendigkeit" zu-schlägt - was nicht falsch ist, sofern ihre Befriedigung nicht beliebig ist, sondern aus Not eingefordert wird. Aber es ist keine Naturbestimmung, sondern Menschenprodukt, und gehört insofern dem Reich der Freiheit an.

Es kann eine Situation eintreten, in der zur Wahl steht, ob ein neuentstandenes Bedürfnis gilt, oder ob historisch knapp gewordene Naturvorräte gespart werden sollen. Das ist eine politische Wahl, und eo ipso Sache der Freiheit.  

Doch zu Marxens Zeit war auch theoretisch noch nicht daran zu denken; und es setzt einen allgemeinen gesellschaftlichen Wohlstand voraus statt eines Zustands allgemeiner Knapp-heit. Die Induszivilisation hat anscheinend eine solche Wahl nicht gehabt, sondern musste ihre Ressourcen aufbrauchen und daran untergehen. 
JE 

 

Nota. - Das obige Bild gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und ihre Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Ihre Nachricht auf diesem Blog. JE

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