
Unter vorstellen verstehen wir das Übergehen vom Gefühl zum Begriff. Was zwischen diesen Grenzen geschieht, ist die Arbeit der Anschauung in ihren aufsteigenden Graden.
Gestern war davon die Rede. Nämlich vom Vorgang einer Abstraktion. Von der Ganzen Gestalt ging der Weg zum Begriff. In diesem wurden qua Definition die Einzelbestimmun-gen identifiziert. Verloren ging deren jeweiliges Verhältnis zu einander und zum Ganzen. Wenn gesagt wird, das Ganze sei mehr als die Summe seiner Teile, dann sind damit gemeint die jeweiligen Wechselverhältnisse und das Verhältnis dieser Verhältnisse: ein qualitas sui ge-neris.
Das diskursive Reden, das eine Verknüpfung definierter Begriffe durch bestimmte und ge-prüfte Regeln ist, setzt voraus, dass dies im Verkehr der Sprachgemeinschaft gewusst ist und jederzeit gewärtig bleibt.
Das ist idealiter jederzeit, aber de facto viel zu oft nicht der Fall - woraus einer populären Lehre zufolge der eigentliche Ursprung aller Meinungsverschiedenheiten zwischen den Menschen resultiert: Alles bloß Missverständnisse.
Weil eben nicht immer alle Definitionen gewärtig bleiben.
Das ist aber schülerhaft gedacht. Denn es geht bei der Vernunft - von was anderm ist hier gar nicht die Rede - nicht um das hinreichende Quantum von Definitionen, sondern um die Intentionen, in denen sie miteinander verknüpft werden: Qualitas qualitatium.
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Zurück zum Ausgangspunkt: Vom Verhältnis der Verhältnisse in den Ganzen Gestalten haben die Begriffe abstrahiert. Es war der Anschauung verloren gegangen und blieb dem guten Willen, um nicht zu sagen: der Weisheit der Redenden überantwortet.
Kehren wir den Gang um. In den Begriffen war auf die Grenzen der Einzelbestimmungen abgesehen worden. Abstrahiert wurde von den Verhältnissen, die nur anschaulich gegeben sind.
Gibt es eine abstrahierende Vorstellung? Wo auf die Verhältnisse abgesehen wird bei Ver-nachlässigung der Grenzen der Einzelbestimmungen? Eine Rückkehr zur Ganzen Gestalt, in der die Einzelbestimmungen nicht untergehen, sondern als eine Figur auf einem Grund erhalten bleiben?
Eine abstrakte Vorstellung ist ein Schema. Ein Bild wie in der ursprünglichen Anschauung, aber nicht als eine ununterschiedene Mannigfaltigkeit, sondern als Bild von einem Bild.
Die Wissenschaftslehre ist ein solches Bild.
Merke: Hier wird der Weg des Vorstellens beschrieben in Begriffen. Es wird aber gesagt, in Begriffen fände der Weg selber gar nicht statt, sondern nur seine Beschreibung. Die aber ist eine Abstraktion.
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