Samstag, 18. Januar 2025

Immer nur Durchgänge, aber kein Zugang.

                                         aus Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik 

Unsere Philosophie macht umgekehrt das Leben, das System der Gefühle, des Begehrens zum Höchsten und läßt der Erkenntnis überall nur das Zusehen. Es ist nach ihr ein solches System der Gefühle bestimmt: es ist freilich mit ihnen ein Bewußtsein verknüpft; und dies gibt eine unmittelbare, nicht eine durch / Folgerungen erschlossene, durch freies, auch zu unterlassendes Räsonnement erst erzeugte Erkenntnis. Nur diese unmittelbare Erkenntnis hat Realität, ist, als aus dem Leben kommend, etwas das Leben bewegendes: und wenn philosophisch die Realität einer Erkenntnis erwiesen werden soll, muß ein Gefühl – ich will mich hier noch dieses Worts bedienen und werde über den Gebrauch desselben sogleich noch bestimmtere Rechenschaft geben – aufgezeigt werden, an welches diese Erkenntnis sich unmittelbar anschlösse.

Das freie Räsonnement kann jene Erkenntnis nur durchleuchten, läutern, verknüpfen und trennen, das Mannigfaltige derselben, und dadurch den Gebrauch desselben sich erleichtern und sich fertiger darin machen: aber sie
[sic] kann es nicht vermehren. Unsere Erkenntnis ist uns mit einem Male, für alle Ewigkeit gegeben, und wir können dieselbe nur weiter entwik-keln, den Stoff nur aus eben diesem Stoff vermehren. 

Nur das Unmittelbare ist wahr: und das Vermittelte ist wahr, inwiefern es sich auf jenes gründet, außerdem Schimäre und Hirngespinst.

*) Das Leben ist die Basis: und wenig bedeuten die Worte. 

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J. G. Fichte, Rückerinnerungen, Antworten, Fragen [S. 138f.]



Nota. - Unsere Erkenntnis sei uns mit einem Male, für alle Ewigkeit gegeben - das klingt anstößig. So, als sei sie 'an sich' da und könne mit Eifer nur noch entborgen werden. So hat er es in einem gewissen Sinne auch gemeint: Raum unserer Erkenntnis ist unsere Vorstel-lung, aus der - "über die" - kommen wir nicht hinaus. Sie ist aller Stoff, über den wir verfü-gen können, wir können ihn 'quantifizieren', vermannigfaltigen, aber nicht vermehren. Jen-seits ist nichts, was gewusst werden könnte.

Die Wissenschaftslehre fügt materialiter nichts hinzu, sondern lediglich - dass es so sei. Greift die Erkenntnis in mein Leben ein? Ja, wenn ich es will. Sie setzt mich gewissermaßen auf den ironischen Standpunkt; ich werde die Welt nicht aus lauter Zugängen bestehend finden, sondern wieder, wie nach Nietzsche die Kinder, aus lauter Durchgängen.
JE, 28. 8. 19



Nota - Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und ihre Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Ihre Nachricht auf diesem Blog. JE

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