Ehe wir unseren Weg antreten, eine kurze Reflexion über denselben! – Wir haben nun drei logische Grundsätze; den der Identität, welcher alle übrigen begründet; und dann die bei-den, welche sich selbst gegenseitig in jenem begründen, den des Gegensetzens, und den des Grundes aufgestellt. Die beiden letzteren machen das synthetische Verfahren überhaupt erst möglich; stellen auf und begründen die Form desselben. Wir bedürfen demnach, um der formalen Gültigkeit unseres Verfahrens in der Reflexion sicher zu seyn, nichts weiter. – Ebenso ist in der ersten synthetischen Handlung, der Grundsynthesis (der des Ich und Nicht-Ich), ein Gehalt für alle mögliche künftige Synthesen aufgestellt, und wir bedürfen auch von dieser Seite nichts weiter. Aus jener Grundsynthesis muss alles sich entwickeln lassen, was in das Gebiet der Wissenschaftslehre gehören soll.
Soll sich aber etwas aus ihr entwickeln lassen, so müssen in den durch sie vereinigten Be-griffen noch andere enthalten liegen, die bis jetzt nicht aufgestellt sind; und unsere Aufgabe ist die, sie zu finden. Dabei verfahrt [sic] man nun auf folgende Art. – Nach § 3. entstehen alle synthetische Begriffe durch Vereinigung entgegengesetzter. Man müsste demnach zu-vörderst solche entgegengesetzte Merkmale der aufgestellten Begriffe (hier des Ich und des Nicht-Ich, insofern sie als sich gegenseitig bestimmend gesetzt sind) aufsuchen; und dies geschieht durch Reflexion, die eine willkürliche Handlung unseres Geistes ist. –
Aufsuchen, sagte ich; es wird demnach vorausgesetzt, dass sie schon vorhanden sind, und nicht etwa / durch unsere Reflexion erst gemacht und erkünstelt werden (welches über-haupt die Reflexion gar nicht vermag), d.h. es wird eine ursprünglich nothwendige anti-thetische Handlung des Ich vorausgesetzt.
Die Reflexion hat diese antithetische Handlung aufzustellen: und sie ist insofern zuvörderst analytisch. Nemlich entgegengesetzte Merkmale, die in einem bestimmten Begriffe = A ent-halten sind, als entgegengesetzt durch Re- flexion zum deutlichen Bewusstseyn erheben, heisst: den Begriff A analysiren.
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J. G. Fichte, Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, SW Bd. I, S. 123f.
Nota. - Hier in der Grundlage operiert Fichte noch unbefangen mit Begriffen. Dass er sie zuvor aus der tätigen Vorstellung hätte herleiten müssen, ist ihm erst nachträglich klarge-worden, und er hat sich an den Vortrag der Nova methodo gemacht.
Hier also geht er noch umgekehrt vor. Er beginnt bei Begriffen und
zerlegt sie in ihre Be-dingungen. Es ist das dialektische Verfahren a tergo. Es
nimmt die Synthesis als gegeben und analysiert die Gegensätze, aus
denen sie entstanden ist. Dass aber einer sie einander entgegen gesetzt haben muss, kommt so nur mühsam in den Blick.
Der Grund ist der: Er trägt schon das System vor, von dem er sich ein vorläufiges Bild ge-macht hat; nämlich als ein Gegebenes. In Nova methodo dagegen
entwirft er dieses Bild Schritt für Schritt vor unseren Augen, und es
wird deutlich, dass es nicht nur ein vorläufiges, vorschwebendes,
sondern vor allem ein noch zu machendes ist. Er beginnt nicht bei
Be-stimmtem, sondern beginnt zu bestimmen. Das heißt, synthetisch.
Der dialektische Witz dabei ist, dass die Transzendentalphilosophie alias Vernunftkritik historisch ja wirklich
beim gegebenen System der Begriffe begonnen hat und anderswo gar nicht
beginnen konnte. Aber die analytische Reduktion des wirklichen Wissens
auf seine erste, letzte Bedingung, von der allein nicht mehr abgesehen
werden kann - das transzen-dentale Ich - ist nur eine plausible Hypothese. Die
Probe auf Exempel wäre erst, wenn sich aus dieser einen, einzigen
Bedingung das System unseres Wissens wirklich rekonstruieren lässt. Und
das unternimmt Nova Methodo.
JE 14. 8. 18
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