Dienstag, 21. Januar 2025

Etwas anschauen, das nicht erscheint; oder: Wo die Begriffe nicht hin reichen.

Deutschlandfunkkultur          aus Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Schema ist ein bloßes Tun, und zwar mein notwendiges Tun in der Anschauung.

Also unsere Frage ist, welches ist das Schema des Tuns überhaupt, oder wie fällt ein Tun da-durch, dass es Objekt der Anschauung wird, aus? Hier ist das Objekt aus der Anschauung hergeleitet worden, und das Beweisen aus Begriffen hat hier ein Ende.

Die Aufforderung ist: eine Agilität zu beschreiben; diese kann man nur anschauen als eine Linie, die ich ziehe. Also innere Agilität ist ein Linie-Ziehen. Nun aber ist hier nicht die Rede von einer Agilität, die geschieht, sondern von einer Agilität überhaupt; von einem be-stimmbaren, aber nicht bestimmten Vermögen der inneren Selbsttätigkeit und Agilität. So eine Linie ist aber bestimmt der Direktion nach. In dem Vermögen aber müssen alle Linien liegen, das Schema des Tuns muss ein nach allen möglichen Direktionen mögliches Linien-ziehen sein; dies ist der Raum, und zwar leerer Raum, aber leerer Raum kommt nie vor, es wird immer etwas hineingesetzt. Warum, wird sich zeigen. Hier ist nur vom Tun die Rede, aber auch das bloße reine Tun ist nichts Erscheinendes.   _______________________________________________________
J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo,
Hamburg 1982, S. 110


Nota I. - Nur ein jenseits von Raum und Zeit gedachtes Tun ist als ein Schema darzustellen; und dies zum Zweck der Anschauung: In der Wirklichkeit lässt sich immer nur dieses oder jenes Tun anschauen; wenn ich aber Tun-überhaupt anschauen will, muss ich die Bestim-mungen von Raum und Zeit fortlassen - alles, was eine Wirklichkeit als eine solche erst aus-macht.

Nota II. - Es mag Ihnen vorkommen, als hättem Sie derlei hier schon gelesen. Das kann gut sein. Denn dass die Transzendentalphilosophie nicht
aus Begriffen konstruiert, sondern An-schauungen auseinander entwickelt, ist unter allen Schlachtrössern meines Fichte-Verständ-nisses das stärkste und stolzeste. Dreh- und Angelpunkt ist allerdings das Schema. Das Bild von einem Bild, die Anschauung zweiten Grades ist die Klammer, die die Vernunft zusam-menhält; und ohne die unsere alltägliche Begriffswirtschaft frei im Raume schwebte.
6. 5. 22
 
Nota III. - Und bei allem nie vergessen: Anschauen ist kein bloßes Fühlen; "das Anschauen ist, im Gegensatz zum Gefühl, Tätigkeit." Fühlen ist einerseits Leiden und andererseits Tun. Das An schauen, das Absehen, löst sich vom leidenden Anteil. Es ist der erste Schritt der Re-flexion. Durch ihn 'setzt sich' ein Ich, und hier beginnt das Bestimmen - des Etwas und eo ipso 'seiner selbst'.
JE

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