Samstag, 16. November 2024

Fichtes kategorischer Imperativ.

                                  zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Die Schwierigkeit war eigentlich, ein Wollen zu erklären ohne Erkenntnis des Objekts. Der Grund der Schwierigkeit lag darin, dass das Wollen nur betrachtet wurde als ein empiri-sches, als ein Übergehen vom Bestimmbaren zum Bestimmten. 

Diese Behauptung ist nun geleugnet worden; es ist ein Wollen postuliert worden, das die Erkenntnis des Objekts nicht voraussetzt, sondern schon bei sich führet, das sich nicht auf Beratschlagung gründet, und dadurch ist nun die Schwierigkeit völlig gehoben.

Das reine Wollen ist der kategorische Imperativ; es wird aber hier nicht so gebraucht, son-dern nur zur Erklärung des Bewusstseins überhaupt. Kant braucht den kategorischen Im-perativ nur zur Erklärung des Bewusstseins der Pflicht.
_______________________________________________________________________J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 143

 

Nota. - Wollen-überhaupt ist als kategorischer Imperativ das Postulat, das der Wissen-schaftslehre zu Grunde gelegt wird. Es führt, wie wir oben hören, seinen Zweck "schon bei sich", nämlich den Zweck-überhaupt, der nur ebenso unbestimmt-unendlich bestimmbar sein kann wie das Wollen-überhaupt. Du sollst wollen ist Praktische Philosophie und An-thropologie in einem, nämlich: Du sollst nicht nur wollen, sondern dein Wollen selber be-stimmen - und so weiter ins Unendliche.
JE, 16. 11. 20

Freitag, 15. November 2024

Im NichtIch ist keine Kraft, sondern nur Sein.

Kunstart.net, pixelio.de          aus Wissenschftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Es wird in das Ich nichts Fremdartiges hineingetragen. Von der Welt geschehen keine Ein-drücke, es kommen keine Bilder hinein. Im Entgegensetzen ist keine Kraft, die sich auf das Ich fortpflanzt, sondern es ist die Beschränkung im Ich, und der Grund, warum es etwas setzt, liegt ihn ihm. - Kraft kommt ursprünglich dem NichtIch nicht zu, sondern nur Sein. Das NichtIch fängt nicht an, es ist nur verhindernd aufhaltend. Das Ich kann nicht zum Bewusstsein kommen, wenn es nicht beschränkt ist; der Grund der Beschränkung liegt außer ihm, aber der Grund der Tätigkeit liegt in ihm.
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 7

 

 

Donnerstag, 14. November 2024

Sein ist eine negative Größe.

Philipp Colla, El Capitán                                 aus Wissenschftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Das Ich in C wurde gefunden als sich selbst setzend; wurde in C nicht in Tätigkeit, sondern in Ruhe gefunden, als ein sich selbst setzendes Gesetztes. Seine Tätigkeit als solche ist auf-gehoben, sie ist eine ruhende Tätigkeit, die aber doch eine Anschauung ist und bleibt. Wie nun allenthalben die Anschauung einem Begriffe entgegensteht und sie selbst nur durch diesen Begriff möglich ist, so ists auch hier. Dies [dem] C Entgegengesetzte ist nun das, was wir oben D nannten. Der Charakter des Begriffs überhaupt ist Ruhe, nun ist C als Anschau-ung betrachtet schon Ruhe, da nun D in Rücksicht auf C Ruhe ist, so ist es Ruhe der Ruhe; was ist nun D?

Indem C dem D entgegengesetzt wird, ist es allerdings Tätigkeit, die durch freie Selbstbe-stimmung zur wirklichen Tätigkeit hervorgerufen werden kann. Es ist Tätigkeit dem Wesen nach (C ist Tätigkeit des Ich als Substanz betrachtet, wovon weiter unten, denn hier bleibt es bloße Redensart.) Das Gegenteil dieser Tätigkeit - D - wäre nun eine reelle Negation von Tätigkeit, nicht bloß Privation, die Tätigkeit Aufhebendes, Vernichtendes, nicht Zero, son-dern negative Größe. 

Dies ist der wahre Charakter des eigentlichen Seins, dessen Begriff man mit Unrecht für einen ersten, unmittelbaren gehalten hatte, - denn der einzige unmittelbare Begriff ist der der Tätigkeit. Sein negiert in Beziehung auf ein außer dem Sein gesetztes Tätiges; durch Sein wird Machen aufgehoben. Was ist, kann nicht gemacht werden. Sein negiert Zweck in Beziehung auf das Setzende; was ich bin, kann ich nicht werden. /

So hat der gemeine Menschenverstand, ohne es zu wissen, die Sache immer genommen. Mit der Existenz der Welt wollte er sich nicht begnügen, er stieg zu einem Schöpfer auf.

Sein ist Charakter des NichtIch, der Charakter des Ich ist Tätigkeit; der Dogmatismus geht vom Sein aus und erklärt dies fürs Erste, Unmittelbare.
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 41f.

 

Nota. - Die Dialektik von A, B, C und D ist schwindelererregend. Ob das wirklich nötig war? Aber ich denke, er wollte nunmal auf seine Schlussfolgerung hinaus: Der 'erste, un-mittelbare' Begriff ist nicht Sein, sondern Tätigkeit. Sein ist nicht nur ein Mangel an Tätig-keit, sondern Anti-Tätigkeit, Wider (Gegen)stand der Tätigkeit.

So entpuppt sich die radikale Transzendentalphilosophie, "echter durchgeführter Kritizis-mus", nicht bloß als eine implizite Anthropologie, sondern als eine Metaphysik sui generis, im allerstärksten Sinn: eine aktualistische Fundamentalontologie; als solche aber keine theo-retische Voraussetzung, sondern praktisches Postulat
JE 18. 7. 16

 

Mittwoch, 13. November 2024

Die analytische Reduktion ist die Deduktion eines Bestimmungsgrundes aus einem Bestimmten.

                                                                      zu Philosophierungen

[Wie erweist die Vernunftkritik 'das Ich' als den Urheber der Vernunft?]
 
Wenn einer so* handelt, dann muss er dies vorausgesetzt haben: die apriorische syntheti-sche Einheit; und ipso facto sich "als einen Setzenden" gesetzt haben.
Aus e. Notizbuch. 19. 1. 04 

*) nämlich auf so oder anders bestimmte Weise 

'Es kann nicht anders gewesen sein': Das ist die Umkehrung der pragmatischen Logik. Was zufällig war, wird vernachlässigt (vernachlässigen lässt sich alles, was auch anders sein konn-te), übrig bleibt allein, was nicht hätte anders sein oder auch nur fehlen konnte: der absichts-volle Akt. 

Schon zu Zeiten Fichtes wurde über seine "Deduktionsmanie" gespottet. Vielleicht zu Recht, vielleicht auch nicht. Auf jeden Fall hat es den Blick darauf verstellt, dass er unter De:duktion zugleich auch deren Umkehrung, die Re duktion eines vorgefundenen Bestimm-ten auf dessen nicht-anders-sein-könnenden Bestimmungsgrund versteht. Das ist nicht nur das strikte Gegenteil; es ist auch das intellektuell unvergleichlich anspruchsvollere Verfah-ren.
16. 11. 20

 

Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe sie im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und ihre Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE

Dienstag, 12. November 2024

Ein ungleicher Austausch.

jamesros                                                                                                    aus Marxiana

Lebensmittel sind eine besondre stoffliche Existenzform worin das Capital dem Arbeiter gegenübertritt, bevor er sie durch Verkauf seines Arbeitsvermögens aneignet. Aber sobald der Productionsprocess beginnt, ist das Arbeitsvermögen bereits verkauft, die Lebensmittel also, wenigstens de jure, in den Consumtionsfonds des Arbeiters übergegangen. Diese Le-bensmittel bilden kein Element des Arbeitsprocesses, welcher neben dem wirkenden Ar-beitsvermögen selbst nichts voraussetzt ausser Arbeitsmaterial und Arbeitsmittel. 

In der That muß der Arbeiter sein Arbeitsvermögen durch Lebensmittel erhalten, aber diese seine Privatconsumtion, die zugleich Reproduction seines Arbeitsvermögens ist, fällt ausser-halb des
Productionsprocesses der Waare. Es ist möglich, daß in der capitalistischen Produc-tion thatsächlich die ganze disponible Zeit des Arbeiters vom Capital absorbirt wird, daß also der Verzehr der Lebensmittel thatsächlich als ein bloser Incident des Arbeitsprocesses selbst erscheint, wie der Verzehr von Kohle durch die Dampfmaschine, von Oel durch das Rad oder von Heu durch das Pferd, wie die ganze Privatconsumtion des arbeitenden Skla-ven, ...

Wie sich das aber immer thatsächlich gestalten mag, die Lebensmittel, sobald der freie Ar-beiter sie verzehrt, sind Waaren, die er gekauft hat. Sobald sie in seine Hand übergehn, also umsomehr, sobald sie von ihm verzehrt werden, haben sie aufgehört, Capital zu sein. Sie bilden / also keines der stofflichen Elemente, worin das Capital im unmittelbaren Produc-tionsproceß erscheint, obgleich sie die stoffliche Existenzform des variablen Capitals bilden, das auf dem Markt, innerhalb der Circulationssphäre als Käufer von Arbeitsvermögen auf-tritt.
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K. Marx, Ökonomisches Manuskript 1863-1865, MEGA II/4.1, S. 78
f.   



Nota. - Das variable Kapital verschwindet im Produktionsprozess: Es wurde als Gebrauchs-wert verzehrt. Es entsteht - wird erarbeitet - ein neues Qantum Tauschwert, das an seine Stelle tritt und zunächst das Wertquantum des variablen Kapitals ersetzt; aber unter den normalen Bedingungen der kapitalistischen Produktion größer ist als jenes. Und weil die Wertmenge größer geworden ist, heißt das Kapital, das der Kapitalist als Preis für das Ar-beitsvermögen auslegt, "variabel". Mysteriös ist daran nichts mehr. Es wird ein Quantum vernichtet und es wird ein neues Quantum produziert.
JE, 28. 6. 18 

 

 

Montag, 11. November 2024

Die als flüchtig gesetzte Substanz.

seo-blog                                                    aus Marxiana

Das Geld in seiner lezten, vollendeten Bestimmung erscheint nun nach allen Seiten als ein Widerspruch, der sich selbst auflöst; zu seiner eignen Auflösung treibt. Als allgemeine Form des Reichthums steht ihm die ganze Welt der wirklichen Reichthümer gegenüber. Es ist die reine Abstraction derselben, – daher so festgehalten blose Einbildung. Wo der Reichthum in ganz materieller, handgreiflicher Form als solcher zu existiren scheint, hat er [als Geld] seine Existenz blos in meinem Kopf, ist ein reines Hirngespinst. Midas.

Andrerseits als materieller Repräsentant des allgemeinen Reichthums wird es blos verwirk-licht, indem es wieder in Circulation geworfen, gegen die einzelnen besondren Weisen des Reichthums verschwindet. In der Circulation bleibt es als Circulationsmittel; aber für das aufhäufende Individuum geht es verloren und dieß Verschwinden ist die einzig mögliche Weise es als Reichthum zu versichern. 

Die Auflösung des Aufgespeicherten in einzelnen Genüssen ist seine Verwirklichung. Es kann nun wieder von andren Einzelnen aufgespeichert werden, aber dann fängt derselbe Prozeß von neuem an. Ich kann sein Sein für mich nur wirklich setzen, indem ich es als bloses Sein für andre hingebe. Will ich es festhalten, so verdun-stet es unter der Hand in ein bloses Gespenst des wirklichen Reichthums. 

Ferner: Das Vermehren desselben durch seine Aufhäufung, daß seine eigne Quantität das Maaß seines Werths ist, zeigt sich wieder als falsch. Wenn die andren Reichthümer sich nicht aufhäufen, so verliert es selbst seinen Werth in dem Maaß in dem es aufgehäuft wird. Was als seine Vermehrung erscheint, ist in der That seine Abnahme. Seine Selbstständigkeit ist nur Schein; seine Unabhängigkeit von der Circulation besteht nur in Rücksicht auf sie, als Abhängigkeit von ihr. Es giebt vor allgemeine Waare zu sein, aber ihrer Natürlichen Beson-derheit wegen, ist es wieder eine besondre Waare, deren Werth sowohl von Nachfrage und Zufuhr abhängt, als er wechselt mit seinen spezifischen Productionskosten. 

Und da es selbst in Gold und Silber sich incarnirt, wird es in jeder wirklichen Form einsei-tig; so daß wenn das eine als Geld das andre als besondre Waare und vice versa erscheint und so jedes in beiden Bestimmungen erscheint. Als der absolut Sichre, ganz von meiner Individualität unabhängige Reichthum, ist es zugleich als das mir ganz äusserliche, das Ab-solut Unsichre, das durch jeden Zufall von mir getrennt werden kann. Ebenso die ganz widersprechenden Bestimmungen desselben als Maaß, Circulationsmittel, und Geld als solches. 

Endlich
in der lezten Bestimmung widerspricht es sich noch, weil es den Werth als sol-chen / repräsentiren soll; in der That aber nur ein identisches Quantum von veränderli-chem Werth* repräsentirt. Es hebt sich daher auf als vollendeter Tauschwerth. 
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K. Marx Grundrisse, MEGA II/1.1   S. 157f. [MEW 42, S. 160]


*) nämlich als Edelmetall; aber auch die Papierwährungen wechseln ihren Wert nach Markt-lage. Dagegen wird der Reichtum längst nicht mehr als Geld angehäuft, sondern "in Papie-ren angelegt". Deren Börsenwerte werden in Geld angegeben. Es steht nicht für eine Sache ein – den Wert –, sondern für ein Verhältnis: den Wert. Und ein Verhältnis ist veränderlich in dem Maße, wie die sich gegeneinander Verhaltenden ihr Verhalten ändern.
26. 10. 15


Nota. - Eine Substanz, die flüchtig ist - die entflieht -, ist keine. Noch sind wir in den Grundrissen, noch hat sich Marx vom Hegeljargon noch nicht befreit und kann sich nur durch Paradoxa dialektisch ausdrücken. Was hier als Substanz bezeichnet wird, ist die gesell-schaftlich Geltung als Substanz, und die ist real nur während der Handlung, solange die Transaktion wirklich geschieht, nämlich als deren Zweck und Maß. Sobald sie abgeschlos-sen ist, verfliegt die Geltung zu reiner Idealität: Sie verflüchtigt sich.
JE,
15. 12. 19

 

 

Sonntag, 10. November 2024

Was ist und was gilt..

akquise-coach                                                                             aus Marxiana

Genau betrachtet erscheint nämlich der Verwerthungsprocess des Capitals – und das Geld wird nur zu Capital durch den Verwerthungsprocess – zugleich als sein Entwerthungspro-cess, its demonetisation. Und zwar nach doppelter Seite hin. Erstens, soweit das Capital nicht die absolute Arbeitszeit vermehrt, sondern die relative nothwendige Arbeitszeit ver-mindert durch / Vermehrung der Productivkraft, reducirt es die Productionskosten seiner selbst - soweit es als bestimmte Summe von Waaren vorausgesezt war, seinen Tauschwerth: 

Ein Theil des bestehnden Capitals wird beständig entwerthet, durch Verminderung der Pro-ductionskosten, zu denen es reproducirt werden kann; nicht Verminderung der Arbeit die in ihm vergegenständlicht ist, sondern der lebendigen Arbeit, die nun nöthig ist, um sich in diesem bestimmten Product zu vergegenständlichen. 
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K. Marx,
Grundrisse, MEGA II/1.2 S. 315f. [MEW 42, S. 316]  


Nota. - Der Wert ist nicht eine sachliche Eigenschaft des Produkts, sondern eine Geltung, die ihm gesellschaftlich zugerechnet wird. Denn der Wert bemisst sich nicht nach dem Quantum Arbeit, das gestern tatsächlich in dem Produkt vergegenständlicht wurde, sondern an dem Arbeitsquantum, das nötig wäre, wenn er heute neu hergestellt werden müsste. Es geht beim Wert nämlich nicht um wirkliche, von diesem oder jenem lebendigen Arbeiter tatsächlich an einem Stück Materie geleistete Arbeit, sondern wiederum nur um das Quan-tum Arbeit, als das es gilt: um die gesellschaftlich notwendige Arbeit; denn wenn der wirk-liche Arbeiter auch eine Dreiviertelstunde daran gearbeitet hat, so gilt sie nur als eine halbe Stunde, wenn dieses Werkstück im gesellschaftlichen Durch
schnitt von einem durchschnitt-lichen Arbeiter in einer halben Stunde hergestellt werden kann. Und ist über Nacht die durchschnittliche, gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit für dieses Produkt entsprechend gesunken, dann gilt die Dreiviertelstunde tatsächlich geleisteter Arbeit womöglich nur als 20 Minuten. - Und das ist keine Phantasie, sondern gesellschaftlich wirklich: Der Arbeiter dürf-te recht bald arbeitslos werden.
JE
8. 11. 15

 

 

Samstag, 9. November 2024

Auch historisch entstehen das Ich und die Welt miteinander.

      
C. D. Friedrich, Der Wanderer über dem Nebelmeer, 1818                         aus Wissenschftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik  

Für jene Urvölker, von denen wir noch Denkmäler haben, die ihre Erfahrungen noch wenig vereinigten, sondern die einzelnen Wahrnehmungen zerstreut in ihrem Bewusstsein liegen ließen, war keine solche wenigstens weit fortgehende Kausalität noch Wechselwirkung. Fast alle Gegenstände in der Sinnenwelt belebten sie und machten dieselben zu ersten freien Ur-sachen, wie sie selbst waren. Ein solcher Zusammenhang hatte für sie nicht etwas keine Re-alität, sondern er war überhaupt nicht da für sie.

Wer aber seine Erfahrungen zur Einheit verknüpft, - und die / Aufgabe dazu liegt auf dem Wege der synthe- tisch fortschreitenden menschlichen Vernunft und musste über kurz oder lang aufgenommen werden, - der muss notwendig auf jene Weise verknüpfen, und für sie hat der dadurch gegebene Zusammenhang des Ganzen Realität.
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J. G Fichte, Grundlage der Naturrechts..., SW III, S. 25f.

Nota I. - Das Ich ist nicht nur ' genetisch', nach der materialen Logik der aus einander her-vorgehenden Vorstellungen, sondern auch empirisch-historisch das unvermeidliche Kom-plement der 'Welt'. Die Vorstellung vom autonomen Subjekt und die Vorstellung von einem durch allgemeine Gesetze formierten Universum bilden gemeinsam die mentale Basis für die Durchsetzung der bürgerlichen Verkehrsweise in der Gesellschaft.
30. 10.14  

Nota II. - Nicht eigentlich mit-, sondern durch einander
 JE

 

 

Freitag, 8. November 2024

Vom Begriff abwärts oder aus der Erfahrung aufwärts?

Stebchen, pixelio.de            aus Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Ich habe bisher im Gegenteile geglaubt, daß Schwärmerei, Wahnsinn, Raserei darin bestehe, daß man seine Erdichtungen für wirkliche Gegenstände hält, und der gesunde Verstand da-rin, daß man nichts für wirklich hält, das sich nicht auf eine innere oder äußere Wahrneh-mung gründet. ...

Diesem System ist das unsrige darin gerade entgegengesetzt, daß es die Möglichkeit, ein für das Leben und die Wissenschaft gültiges Objekt durch das bloße Denken hervorzubringen, gänzlich ableugnet und nichts für reell gelten läßt, das sich nicht auf innere oder äußere Wahrnehmung gründet. In dieser Rücksicht, inwiefern die Metaphysik das System reeller, durch das bloße Denken hervorgebrachter Erkenntnisse sein soll, leugnet z. B. Kant, und ich mit ihm, die Möglichkeit der Metaphysik gänzlich. Er rühmt sich, dieselbe mit der Wur-zel ausgerottet zu haben, und es wird, da noch kein verständiges und verständliches Wort vorgebracht worden, um dieselbe zu retten, dabei ohne Zweifel auf ewige Zeiten sein Be-wenden haben.                                                                                                                     _______________________________________________ 

J. G. Fichte, Rückerinnerungen, Antworten, Fragen [S. 113f.]  

 

Nota I. - Vom Ich, das sich setzt als sich selbst vorausgesetzt, werden in der Wissenschafts-lehre abenteuerliche Dinge berichtet. Nun kann man dem Ich, das zugegebenermaßen ein reines Gedankending ist, nicht bei seinem Tun zusehen; nämlich nicht bei einem Andern. Man muss es an sich selbst beobachten: im Vollzug.

 

 
"In diesem Collegio wird experimentiert, das heißt, die Vernunft wird gezwungen, auf ge-wisse planmäßige Fragen zu / antworten, die Resultate unserer Experimente fassen wir dann in Begriffe zum Behuf der Wissenschaft und des Gedächtnisses." WL nova methodo, S. 34f. 

So unkritisch Wolff und Baumgarten mit ihren Begriffen hantierten, so apodiktisch be-schreibt Kant in den Kritiken das Verfahren der Vernunft: So ist es, Punkt. Fichte treibt die Vernunftkritik auf die Spitze und kehrt von dort aus Schritt für Schritt zur Vernunft zurück. Er fordert seine Hörer auf, einen jeden Schritt mitzutun und stets darauf zu achten, wie sie dabei vorgehen. So war keiner vor ihm verfahren.

Zu bemerken ist noch die Bestimmung der Begriffe: Sie sind tatsächlich Resultat der Ge-dankenexperimente; gefasst werden sie lediglich "zum Behufe der Wissenschaft und des Gedächtnisses." Zum Quell neuer Erkenntnisse werden sie selber nicht.
26. 7. 18 
 
 
Nota II. - Die Wissenschaftslehre beobachtet, wie in ihrem Gedankenexperiment ein Ich, wenn es wirklich wäre, verfahren müsste, um zu bestimmten (sic) Vorstellungen zu gelan-gen. Dies hypothetische Verfahren des hypothetischen Ichs ist die Erste semantische Ebe-ne. Die Resultate ihrer Beobachtung fasst sie zum Behufe der Wissenschaft und des Ge-dächtnisses in Begriffe: das ist die Zweite semantische Ebene. Im Verfahren des hypothe-tisch beobachteten Ichs kommen die Begriffe nicht vor und werden nicht zu Anhaltspunk-ten seines fortschreitenden Vorstellens. Sie sind die Werkzeuge, mit denen der kritische Philosoph auf das hypothetische Verfahren des lediglich angenommenen Ich reflektiert.

Dieser Gedanke ist an sich nicht schwer zu fassen. Die Schwierigkeit ergibt sich erst aus dem diskursiven Fortschreiten der Darstellung, wo beim Beschreiben der ersten Ebene stets die zweite, und auf der zweiten Ebene stets die erste im Hinterkopf zu behalten ist - ohne sie versehentlich zu vertauschen. Es ist aber eigentlich nur ein Exerzitium in Fleiß und Auf-merksamkeit; die Vorstellungskraft selbst wird gar nicht beansprucht. 
 
Der eigentliche Kraftakt des transzendentalen Verfahrens musste gleich am Anfang erbracht werden, wo man sich auf die Fiktion eines Reinen Ichs einlässt, das man handeln lässt, als ob es wirklich wäre - eine Erste semantische Ebene, die nicht real ist. Wer das nur halbher-zig zuwege bringt, dem helfen nachher auch Fleiß und Aufmerksamkeit nicht.
JE, 22. 11. 20
 
 

Donnerstag, 7. November 2024

Wahrheit ist Wahrhaftigkeit.

                            aus Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik 

Ich muss das Objekt so oder so vorstellen, wenn ich es richtig vorstellen will: Indem ich das sage, meine ich, ich könnte es auch nicht-richtig vorstellen wollen, und die Notwendigkeit meines Denkens ist nur bedingt und hängt ab von meiner Freiheit. Was ist dies für eine Freiheit und wo kommt sie vor?

Ich bin beschränkt in A; die ideale Tätigkeit, die aus dieser Beschränktheit hervorgeht, ist auch beschränkt. Diese beschränkte ideale Tätigkeit ist die Anschauung Y. Diese ist aber hier der Strenge nach nichts als eine von uns vorausgesetzte Idee, denn sie ist ja nicht für das Ich. Soll sie für das Ich etwas sein, so muss von neuem dar- auf reflektiert werden, das Ich muss von neuem sie setzen.

Man nehme an, diese neue Reflexion soll mit Freiheit geschehen.

Die praktische Tätigkeit lässt sich ganz unterdrücken, so dass gar keine mehr übrig wäre, sondern nur ein Stre- ben nach ihr. Aber der Charakter der idealen Teäigkeit ist, dass sie mir bleibe und nicht aufgehoben werden könne. Sie soll nur in / Y beschränkt sein, aber sie kann nicht aufgehoben werden; sie ist sonach nur zum Teil beschränkt und kann sich von dieser Beschränktheit losreißen; in der Anschauung Y ist die ideale Tätigkeit nur zum Teil beschränkt, sie kann sich losreißen mit Freiheit. Ob sie sich unbedingt losreißen müsse oder nicht, oder falls das letzte stattfinden sollte, unter welchen Bedingungen, werden wir sehen.

Das Ich soll gesetzt werden als das Anschauende, aber das Ich ist nur das Tätige und nichts anderes. Sonach muss die Anschauung als Produkt der freien Tätigkeit gesetzt werden, und nur dadurch wird sie es. Aber Tätig- keit lässt sich nach dem allgemeinen Gesetz der An-schauung nur setzen als ein Übergehen von Bestimmbarkeit zur Bestimmtheit. Ich soll mich tätig setzen heißt, ich soll meiner Tätigkeit zusehen. Dies ist aber ein Übergehen vom Unbe-stimmten zum Bestimmten. Soll die Anschauung also als frei gedacht werden, so muss sie auch in demselben Moment gebunden gesetzt werden. Freiheit ist nichts ohne Gebunden-heit et vice versa. Das Losreißen ist nicht möglich ohne etwas, wovon gerissen wird. Nur durch Gegensatz entsteht Bestimmtheit des Gesetzten.

Wie kann nun Freiheit und Beschränktheit der idealen Tätigkeit beisammen sein? So: Wird auf die Bestimmtheit des praktischen (realen) Ich reflektiert, so muss auch Y notwendig so gesetzt werden, also nur die Synthesis ist notwendig. Oder: Soll die Vorstellung wahr sein, so muss ich den Gegenstand so vorstellen, ob aber diese Synthesis vorgenommen werde, dies hängt von der Freiheit des Vorstellenden ab, welches [sic] in sofern keinem Zwange un-terworfen ist. 
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 97f.



Nota. - Der Eintrag schließt unmittelbar an den gestrigen an. Es ging darum, wie 'das Ding außer uns der Wahrheit gemäß dargestellt' werden kann. Ist nun etwa doch die Rede davon, was das Ding "an sich" sei? Wahrheit bezieht sich hier offenbar nicht auf das Ding, sondern auf die Vorstellung vom Ding. Es geht darum, dass in der Vorstellung sich schließlich nichts vorfindet, als was im Verlauf der vorstellenden Tätigkeit wirklich gesetzt und bestimmt wor-den ist; es geht um die Wahrhaftigkeit des Vorstellenden. Eine andere Wahrheit kann es für die Transzendentalphilosophie nicht geben. 



Als vernünftig soll gelten ein Denken, das dem Schema der Wissenschaftslehre folgt. Nach ihm konstituiert sich die Reihe vernünftiger Wesen. Jene ist die Vernunft in ihrer Wirklich-keit. So weit sie dem Schema folgen - so weit sie vernünftig denken -, müssen sie alle in der Darstellung der Dinge außer uns übereinstimmen: Das bedeutet Wahrheit. 

Sie müssen, sofern sie die Eingangsbedingung gewählt haben und ihr treu geblieben sind: Das Ich setzt sich, indem es sich ein/em Nichtich entgegensetzt - reale Tätigkeit - und be-stimmt sich, indem es sich sich-selbst entgegensetzt - ideale Tätigkeit; daraus folgt alles. Die Notwendigkeit dieses oder jenes Denkens, der Denkzwang tritt ein lediglich unter dieser Bedingung; sie wurde durch Freiheit gewählt und wird durch Freiheit erhalten. Jeder, der spinnen will, mag spinnen.
JE, 26. 10. 18

Mittwoch, 6. November 2024

Wahres Wissen ist zirkulär.

lichtkunst.73,           aus Wissenschftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik 
 
Der Faden der Betrachtung wird an dem hier durchgängig als Regulativ herrschenden Grundsatze: nichts kommt dem Ich zu, als das, was es in sich setzt, fortgeführt. Wir legen das oben abgeleitete Factum zum Grunde, und sehen, wie das Ich dasselbe in sich setzen möge. Dieses Setzen ist gleichfalls ein Factum, und muss durch das Ich gleichfalls in sich gesetzt werden; und so beständig fort, bis wir bei dem höchsten theoretischen Factum an- kommen; bei demjenigen, durch welches das Ich (mit Bewusstseyn) sich setzt, als bestimmt durch das Nicht-Ich. So endet die theoretische Wissenschaftslehre mit ihrem Grundsatze, geht in sich selbst zurück, und wird demnach durch sich selbst vollkommen beschlossen.
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J. G. Fichte, Grundriss des Eigenthümlichen der Wissenschaftslehre, in Rücksicht auf das theoretische Vermögen, SW I, S. 333.


§ 1. Erster, schlechthin unbedingter Grundsatz.

Wir haben den absolut-ersten, schlechthin unbedingten Grundsatz alles menschlichen Wis-sens aufzusuchen.

Beweisen oder bestimmen lässt er sich nicht, wenn er absolut-erster Grundsatz seyn soll. Er soll diejenige Thathandlung ausdrücken, welche unter den empirischen Bestimmungen un-seres Bewusstseyns nicht vorkommt, noch vorkommen kann, sondern vielmehr allem Be-wusstseyn zum Grunde liegt, und allein es möglich macht. Bei Darstellung dieser Thathand-lung ist weniger zu befürchten, dass man sich in etwa dabei dasjenige nicht denken werde, was man sich zu denken hat – dafür ist durch die Natur unseres Geistes schon gesorgt – als dass man sich dabei denken werde, was man nicht zu denken hat. Dies
macht eine Reflexion über dasjenige, was man etwa zunächst dafür halten könnte, und eine Abstraction von allem, was nicht wirklich dazu gehört, nothwendig. 

Selbst vermittelst dieser abstrahirenden Reflexion nicht – kann Thatsache des Bewusstseyns werden, was an sich keine / ist; aber es wird durch sie erkannt, dass man jene Thathand-lung, als Grundlage alles Bewusstseyns, noth- wendig denken müsse. ... 

Die Gesetze, nach denen man jene Thathandlung sich als Grundlage des menschlichen Wissens schlechterdings denken muss, oder – welches das gleiche ist – die Regeln, nach welchen jene Reflexion angestellt wird, sind noch nicht als gültig erwiesen, sondern sie werden stillschweigend, als bekannt und ausgemacht, vorausgesetzt. Erst tiefer unten wer-den sie von dem Grundsatze, dessen Aufstellung bloss unter Bedingung ihrer Richtigkeit richtig ist, abgeleitet. Dies ist ein Cirkel; aber es ist ein unvermeidlicher Cirkel.
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J. G. Fichte, Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, SW Bd. I, S. 91f.

 

Nota. - Wenn es aber zirkulär ist, dann ist es kein Wissen. Wenn am oberen Ende genau-soviel steht wie am unteren, dann ist nichts hinzukommen - und das Wissen folglich leer.


Dies, wenn die Wissenschaftslehre eine logische Herleitung aus gegebenen Begriffen wäre - so wie die metaphysischen Systeme vor Kant. Die Wissenschaftslehre ist dagegen ein retro-aktives Postulat. Sie ist keine Konstruktion der Wirklichkeit aus Prämissen, sondern eine eine experimentelle Unterschung des Gangs unserer Vorstellungstätigkeit. Es wird der Un-tersuchung eine problematische Behauptung zu Grunde gelegt - und nur, wenn nach Ab-schluss der Untersuchung nicht mehr und nicht weniger und schon gar nichts anderes steht als am Anfang; nur, wenn nichts hinzugekommen und der Zirkel lückenlos geschlossen ist, hat sich die problematische Eingangsbehauptung bewährt.

Was immer es tut: Das Ich 'setzt sich', indem es sich ein/em Nichtich entgegensetzt - und zwar immer fort. Alle Tätigkeit des Ich ist Fortschreiten in der Bestimmung von Unbe-stimmtem. Von nicht anderem kann es wissen. Das ist - zusammenfassend - leicht gesagt. Doch um es einzusehen, war die hirnbrechende Ochsentour der Wissenschaftslehre unum-gänglich. Der sachliche Gehalt der realen Wissenschaften wird davon um keinen Deut er- weitert. Aber sie können nun ihres Wissens gewiss sein - wenn anders Wissen überhaupt möglich sein soll.

*

Die Frage Was ist Wissen? - oder: Was ist wahr? - formuliert Fichte um in: Wie kommen wir zu der Annahme, dass einigen unserer Vorstellungen Dinge außerhalb unserer Vorstellun-gen entsprechen? Das ist der prosaische Kern, der in der pompösen Frage nach der Warheit drinsteckt. 
JE 29. 7. 18

 

Fichtes kategorischer Imperativ.

                                  zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik Die Schwierigkeit war eigentlich, ein Wolle...