Samstag, 30. November 2024

Erkennen ist projektiv.

                                                                          zu Philosophierungen

Erkennen heißt, etwas Unbekanntes zu einem als bekannt Vorausgesetzten in ein logisches Verhältnis setzen. Das erste empirisch Unbekannte - die ganze Welt -  kann dabei nur zu einem logisch als bekannt Behaupteten in ein Verhältnis gesetzt werden. Ein Absolutes kann dies logisch Vorausgesetzte nicht sein, denn wäre von ihm etwas bekannt, wäre es nicht absolut.

*

Tatsächlich (historisch) ist das Erkennen freilich von der Erfahrung ausgegangen und nicht von logischer
Spekulation. Von der Erfahrung, was man aus dem vorgefundenen Unbekann-ten machen kann. Das Machen als Bestimmungsgrund des Was war der Erfahrung voraus-gesetzt, nicht als Begriff, sondern pragmatisch im Machen selbst. Erfahrung ist nichts ande-res als Wissen von Machbarkeiten. Genauer gesagt, von den Widerständen, die die Dinge meinem Machenwollen entgegensetzen - so, als wollten sie selber etwas anderes machen. Die erste Bewusstseinsform der Menschen, von der wir Zeugnisse haben, ist der Animis-mus, die Vorstellung von der Welt als ein Zusammenwirken wollender Wesen.

Die Geschichte des Geistes ist die Geschichte der Einsicht in den projektiven Charakter dieser Vorstellung.

11. 12. 17 


Sofern das Denken projektiv ist, ist es auch problematisch. Es müsste faktisch immer so lauten: So und so ist es - unter der Bedingung, dass meine allererste Erkenntnis richtig war. - Und solange nichts geschieht, was die erste Erkenntis widerlegt, gilt die Bedingung als gege-ben. Ob sie aber eben jetzt noch gilt, ist jedes Mal neu zu erproben.
22. 2. 19




Nota. Das obige Bild gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog.

Freitag, 29. November 2024

Was Wahrheit wirklich ist.

    Joujou, pixelio.de                                                                      zu  Philosophierungen

Die Auflösung des Problems der Wahrheit ist ziemlich schlicht - aber leider auch wieder nur ein Problem. 

Nämlich so: Wahrheit ist gar nichts, das ist, sondern das, was gelten soll. Sie liegt gar nicht in den Dingen selbst, sondern in unseren Urteilen. Nämlich so, dass ich gar nicht urteilen könnte, wenn ich nicht voraussetzte, dass "es" Wahrheit 'gibt' - wohl wissend, dass "es" ein solches Es gar nicht 'gibt'. Wahrheit ist eine Fiktion. Aber keine, auf die ich, wenn's beliebt, auch verzichten könnte. Der umgekehrte Satz 'Wahrheit gibt es nicht' ist nämlich sinnlos. Indem der Satz offenbar beansprucht, wahr zu sein, widerspricht seine Form dem Inhalt. (Kommunikationstheoretiker reden von der Meta-Ebene im Unterschied zu der Objekt-Ebene.)*

Der theoretische Widerspruch, dass "es" einerseits Wahrheit nicht 'gibt', und "es" ande-rerseits Wahrheit schlechterdings 'geben soll', lässt sich nur praktisch heben: Die Wirk-lichkeit der Wahrheit 'besteht' immer nur darin, dass ich nach ihr frage. Sie ist ein schöner Schein; aber ein unumgänglicher
.
aus e. online-Forum, in 2007

*) ein 'performativer Widerspruch', sagen die Sprechakttheoretiker...


Nachtrag. - Wahr sind keine Sachverhalte, sondern Aussagen über Sachverhalte. Da ich nicht weiß, was oder wie ein Sachverhalt "wirklich ist", sondern lediglich, wie er in meiner Vorstellung vorkommt, bezieht sich die Wahrheit meiner Aussage nur auf deren Verhältnis zu jener: Wahrheit 'gibt es' nur als Wahrhaftigkeit. Doch als solche soll es sie geben: Das weiß ich, weil ich es selber postuliert habe. Der obbesagte schöne Schein besteht in meiner festen Überzeugung, dass meine Vorstellung den Sachverhalt 'wirklich wiedergibt'. Nach deren Berechtigung frage ich, solange ich in der Welt beschäftigt bin, besser nicht.
2. 4. 20
 
 

Donnerstag, 28. November 2024

Das ausschließende Prädikat der Realität ist Wirksamkeit.

augmentedtrader;     aus Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

a. Wirken ohne zu wirken bedeutet ein bloßes Vermögen. Dieses bloße Vermögen ist nichts als ein idealer Begriff: und es wäre ein leerer Gedanke, einem solchen das ausschließende Prädikat der Realität, die Wirksamkeit, zuzu- schreiben, ohne anzunehmen, dass es reali/siert sei. - 

Nun ist das gesamte Vermögen der Person in der Sinnenwelt allerdings realisiert in dem Be-giff ihres Leibes, der da ist, so gewiss die Person ist, der da fortdauert, so gewiss sie fortdau-ert, der ein vollendetes Ganzes materieller Teile ist, und demnach eine bestimmte ursprüng-liche Gestalt hat, nach dem  obigen. Mein Leib müsste also wirken, tätig sein, ohne dass ich durch ihn wirke. 

b. Aber mein Leib ist mein Leib lediglich, inwiefern er durch meinen Willen in Bewegung ge-setzt ist, außerdem ist er nur Masse; er ist als mein Leib tätig lediglich, inwiefern ich durch ihn tätig bin. Nun soll ich im gegenwär- tigen Falle noch gar nicht Ich, demnach auch nicht tätig sein, demnach ist auch mein Leib nicht tätig. Er müsste daher durch sein bloßes Dasein im Raume und durch seine Gestalt wirken, und zwar so wirken, dass jedes vernünf-tige Wesen verbunden wäre, mich für ein der Vernunft Fähiges anzuerkennen und nach dieser Voraussetzung zu behandeln.
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J. G. Fichte, Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, SW Bd. III, S. 74f.



Nota I. - Oha! Hier wird ein Bild - die Gestalt - selber zum Begriff, nämlich zum Begriff meines - all
meines - Vermögens. Ein ganzer Zyklus des Bestimmens, in dem ein Anschau-ender ein Bild mit Qualitäten auszeichnet, wird übersprungen

Im Prozess verallgemeinerten Austauschs begegnet ein jeder Warenbesitzer einem jeden andern Warenbesitzer als Marktsubjekt: Das ist die historische Wirklichkeit des Vernunft-systems. Die bürgerliche Gesellschaft macht die Herrschaft von Vernunft und Recht wirk-lich, indem sie sie [?!] bedingt. So kann Fichte, wie gesagt, noch nicht argumentieren. Er muss die gegenseitige Anerkennung der Subjekte als freier ihrer äußeren physischen Be-schaffenheit anheften.

Das ist heikel. Gehört zur Gestalt des Vernunftwesens helle Haut und glattes Haar? Fichte selbst hätte gewiss nein nein! gerufen, aber aus der Logik seiner Darstellung folgt das nicht. Große krumme Nasen könnte einer willkürlich ausschließen wollen, F. würde ihn nicht wi-derlegen können. 

Da er die Gegebenheit eines Vernunftzustandes nicht historisch erklären - und das hieße hier: begründen - kann, muss er es überhistorisch, außerhistorisch, unhistorisch versuchen; naturalistisch, physiologisch. Zwar ist es logisch nicht notwendig, aber psychologisch liegt es nahe: Es macht ihn zusätzlich geneigt, die Vernunft für eine Gegebenheit vor der Zeit zu halten. 

Das Überstrapazieren der transzendentalen Deduktion ist keine formale Unachtsamkeit; sie erweist sich als sachlicher Fehler.

28. 4. 19

Nota II. - Dies musste zu obigem Zitat freilich gesagt werden, doch ist die Kritik sekundär. Primär sei gesagt, dass Wirksamkeit die auszeichnende Merkmal aller Tätigkeit und nur der Tätigkeit ist. Wenn es heißt, nur Tätigkeit sei real, dann bezieht sich das nicht allein auf die Realität des Tätigen, sondern ebenso auf die Realität dessen, woran er tätig ist. Wirksamkeit ist die Synthesis von Subjekt und Objekt. - So in der rekonstruierenden Reflexion. Unmit- telbar und in der Anschauung ist indes die Synthesis vor der Analyse da und ist das unmit-telbar Gegebene: das Reale; zu Deutsch: das Wirk liche. Es ist das Einzige, wovon und wo-durch ich Erfahrungen mache.
JE, 2. 4. 20



Mittwoch, 27. November 2024

Formbestimmungen sind keine Rollen.

Bäumchen wechsel dich                                                    zu Marxiana
 
Heutige Interessenten an Marx'schen Theorien kommen zumeist aus geistes- und sozialwis-senschaftlichen Disziplinen, da bringen sie eine Menge Vorstellungen mit, die M. noch völ-lig fremd waren. (Bei Studenten der Volkswirtschaftslehre ist es ganz anders, aber nicht bes-ser.) Es ist zu befürchten, dass der eine oder andere die dialektische Denkfigur des Formen-wechsels mithilfe des soziologischen Rollen begriffs verständlich zu machen sucht. Die Rol-lentheorie hat mit Dialektik nichts zu tun, sondern mit Eklektik, richtiger: mit Synkretismus. Ihr Schema ist nicht einerseits/andererseits, sondern und, und, und... Wieviele Rollen einer spielt, kommt ihm ganz von außen zu, er selber funktioniert immer nur. Er ist ein Rädchen, wieviele Rollen er spielt, ist Sache des Getriebes, in das er eingepasst wurde. Die Rollen bleiben, was und wie sie sind. Ausgetauscht werden die Subjekte.

Dialektischem Formenwechsel liegt zu Grunde die Vorstellung vom tätigen Subjekt. Tuend setzt es sich unentwegt in wechselnde Verhältnisse zu andern tätigen Subjekten, und in je-dem pp. Einzelverhältnis (Es ist nie einzeln, sondern kann reflektierend-abstrahierend so betrachtet werden) 'zeigt es sich' aus jeweils anderer Perspektive. Das gilt auch für die Ver-hältnisse selbst - sie stehen ja untereinander 'in einem Verhältnis'. Und das gilt natürlich auch von den Dingen, an denen sie - miteinander oder gegeneinander - tätig sind. Gibt es einen Fixpunkt in der Betrachtung? Es gibt einen sachlichen Ausgangspunkt: das tätige In-dividuum; zunächst in abstracto, aber am Schluss in der Gesamtheit der Perspektiven aller Verhältnisse, die es mit - den anderen tätigen Subjekten eingegangen ist.


So in der rationellen Dialektik von Marx (und Fichte). Einen Fixpunkt gibt es auch bei Hegel nicht. Aber es gibt einen Ausgangspunkt, der sich schließlich als Ziel und Zweck erweist, der Weltgeist alias Absolutes Wissen. Die wechseln die Perspektiven nicht, sondern zerlegen sich in Antithesen, die ineinander umschlagen und einander aufheben. Das hat schon eher Ähnlichkeit mit einem Rollenwechsel insofern, als man sich das Ganze im Gro-ßen und Kleinen nur als vorbestimmt denken kann.
3. 4. 20
 
 
 

Dienstag, 26. November 2024

"Formenwechsel".

managementangels                  aus Marxiana

Dem Stoff nach betrachtet ist der Profit (in der Gestalt, worin er uns hier unmittelbar ge-genübertritt) durchaus nichts andres als der Mehrwerth selbst. Seine absolute Grösse ist daher auch nicht verschieden von der Grösse des Mehrwerths, den das Capital in einer be-stimmten Umschlagszeit erzeugt. Es ist der Mehrwerth selbst, aber anders berechnet oder wie es sich zunächst darstellt, subjektiv anders betrachtet. 

Der Mehrwerth bezieht sich seiner Natur nach und wird daher berechnet im Verhältniß zum variablen Theil des Capitals, d. h. zu dem Theil des Capitals, der ihn durch Austausch mit den Arbeitspreissen entstehn macht, aus dem er wirklich entspringt. Die Circulations-zeit, so weit sie von der Productionszeit verschieden ist, kommt hier nur in Betracht als Schranke für die Erzeugung des Mehrwerths. Als Profit dagegen wird der Mehrwerth be-zogen auf und daher gemessen an, nicht einem Theil des vorgeschossenen Capitals, son-dern dessen Summe, ohne Rücksicht auf die ganz verschiednen Rollen, welche die ver-schiednen Bestandtheile des Capitals in der Erzeugung des Mehrwerths und der Production der Waarenwerthe überhaupt spielen.

Der Profit, stofflich und daher als absolute Grösse oder Masse, durchaus nicht verschieden vom Mehrwerth, ist jedoch eine verwandelte Form des leztren, und die Bedeutung und Wichtigkeit dieser blossen Formveränderung werden wir gleich nachher untersuchen. In der Rate des Profits dagegen – oder seiner relativen Grösse, d. h. seine Grösse verglichen mit der Grösse des vorgeschossenen Capitals – erhält der Mehrwerth nicht nur einen neuen Begriffsausdruck, sondern einen neuen von seiner ursprünglichen Gestalt numerisch ver-schiednen Ausdruck. Der Profit ist der Grösse nach dasselbe was der Mehrwerth ist, aber die Profitrate ist von vornherein eine von der Rate des Mehrwerths verschiedne Grösse. 

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K. Marx, Ökonomisch Manuskript von 1863-65, MEGA II/4.2, S. 9&11



Nota. - Das obige Bild zeigt einen Formenwechsel und nicht die veränderliche Stellung eines wahrnehmenden Subjekts.
JE, 15. 6. 19

 

 

Montag, 25. November 2024

Wesen der Vernunft ist das sich-selbst-Bestimmen.

                                                                   zu Philosophierungen

Dass das Wesen der Vernunft im sich-selber-Setzen besteht, bleibt immer vorausgesetzt und lässt sich aus nichts Elementarem herleiten, es ist selber elementar. Und nur, wer so verfährt, soll Vernunftwesen heißen, das ist tautologisch. Doch dass es, wenn es sich selber setzt, so verfährt und anders nicht verfahren kann, das ist rein faktisch so und beruht auf keinerlei Gesetz: denn dann wäre es kein Sich-selber-Setzen.
24. 6. 17 

 


Das ist nicht richtig. Das sich-selbst-Setzen ist die Bedingung der Vernunft; ihr Wesen ist das sich-selbst-Bestimmen. Aus Freiheit geschehen beide. Doch ein x kann sich als ein Ich nicht setzen, ohne sich ein/em NichtIch entgegenzusetzen. Sich-selber-setzen als ein Nicht-NichtIch heißt aber: sich bestimmen. Sehr vorläufig allerdings, denn nur, wenn das Bestim-men durch Entgegensetzen fortgesetzt wird, bleibt es überhaupt erhalten
 
Es muss aber nicht erhalten bleiben - nichts kann das Ich hindern, den Fortschritt abzubre-chen und in die Unbestimmtheit zurückzufallen. Unendlich viele historisch-reale Iche mö-gen so verfahren sein. Aber nicht alle - sonst wären uns heute keine übriggeblieben und gäbe es keine Vernunft. Und wer von uns übrigbleiben will, darf auch nicht so verfahren, sondern muss sich fort setzen.
14. 11. 20



Nota.Das obige Bild gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog.

Im Fühlen sind Tätigkeit und Leiden vereinigt.

Sisyphus                                 Philosophierungen, zu Geschmackssachen

Im Fühlen sind Tätigkeit und Leiden vereinigt. Es ist die Synthesis vor aller Teilung, es ist die Stelle, wo Ich und NichtIch einander 'setzen', die Stelle, wo mir mit mir-selbst zugleich eine Realität 'gesetzt' ist; indem ich das Andre fühle, fühle ich mich.

Aber mehr auch nicht. Von Bewusstsein kann noch in keinem Sinn die Rede sein: Dazu müsste ich mich aus der unmittelbaren sinnlichen Einheit lösen und, indem ich vom An-dern zurücktrete, zu mir selbst Abstand nehmen.

Das geschieht in der Anschauung. Indem ich mich anschauend im Gegenstand versenke, gehe ich mir, nachdem ich mich eben zum erstenmal gefühlt habe, wieder verloren. Im äst-hetischen Zustand, sagt Schiller, sei der Mensch "gleich Null". Aus dieser unverhofften Wie-dervereinigung kann er sich nur lösen, indem er vom Anschauen zum Bestimmen übergeht: des Gegenstands
sowohl als seiner selbst. Er geht zur Reflexion in specie über: Im Anschau-en geschah sie erst 'an sich', im Bestimmen wird sie - und er - für ihn.

Wie kommt aber das Ich oder jenes Amorphem, das ihm vorausging, dazu, sich all dem zu unterziehen? 

Wir nehmen vorab an: durch Freiheit - was nichts anders heißt, als dass es gewollt haben muss. Was aber zugleich heißt, dass es das ebensowohl unterlassen konnte.

*

'Der Mensch' hat sich eine Welt eingerichtet, die von mannigfaltigen Bestimmten angefüllt ist und in der, nicht zuletzt durch seine nimmermüde Tätigkeit, allezeit neues unbestimmt-Bestimmbares hinzukommt. Um in dieser Welt zu bestehen, wird er mit dem Bestimmen ewig und unendlich fortfahren müssen.

Er wird es aber, wenn er will, unterbrechen können - solange er will und solange die ge-schäftige Welt es ihm erlaubt. Der ästhetische Zustand, das Anschauen um seiner selbst willen, wurde möglich, seit mit dem Bestimmen einmal begonnen wurde.
16. 6. 19
 
 
Anlässlich neuer Verhaltensbeobachtungen bei Rabenvögeln kam dieser Tage wieder die Frage auf, ob nicht auch manche Vögel über eine wie auch immer rudimentäre Form von Bewusstsein verfügten - indem im Gedächtnis nicht nur empfangene Reize, sondern auch deren subjektiver Erlebnisgehalt gespeichert würden. Nicht aber wurde das Erlebnis unter-schieden von einem, an dem es erlebt wurde oder gar von dem, der erlebt hatte; was erst erlauben würde, sie voneinander zu trennen, indem sie in ein Verhältnis zueinander gesetzt werden. Das wäre Reflexion in specie - und das, was allein sinnvoller Weise Bewusstsein heißen kann. 

Ob die erwähnten Versuche so oder anders auszuwerten sind, ist Sache der Verhaltenskun-de und nicht der Philosophie. Die Transzendental-Philosophie liefert allerdings die Kriteri-en, an denen die empirische Forschung ihre Fragen formulieren und ihre Urteile zweckmä-ßig ausrichten sollten. Nicht die empirischen Befunde begründen die Transzendentalphilo-sophie (was sie nicht nötig hat); sondern umgekehrt begründet die Transzendentalphiloso-phie die Wissenschaftlichkeit bloßer Erfahrung. Weshalb Fichte sie Wissenschaftslehre ge-nannt hat.
 
*
 
Und schließlich dies noch: Kant hatte zwischen Anschauung und Sinnlichkeit noch keinen Unterschied gemacht. Erfahrung setzt das eine so gut wie das andere voraus. Fichte dage-gen unterscheidet zu Anfang die Anschauung vom Gefühl und kommt erst viel später zum Begriff.
 
Bloß ein kleiner Unterschied? Aber der hats in sich. Stehen Sinnlichkeit und Begriff so eng bei einander und zudem in einem reflexiven Verhältnis, so stehen sie zu einander in einem Gegensatz und einer Wechselbestimmung: Das eine ist genau das, was das andere nicht ist. Es liegt ein Hiatus zwischen ihnen, die Vorstellung von einem Sprung tritt auf, und weil... man sich dabei nichts vorstellen kann, schleicht sich die rhetorische Floskel vom Umschla-gen ein. 

Dabei lässt sich tatsächlich nichts denken; es sei denn man denkt sich einen Treiber dazu, der von einem zum andern fortschreitet. Dann stehen sie nicht (logisch) gleichrangig neben einan-der und der eine schlägt so gut in den andern um wie der in ihn; sondern sie werden zu Stu-fen, die (genetisch) nach einander erstiegen werden müssen, und die eine nicht ohne die vo-rige. Was an Übergang und Vermittlung je zu leisten ist, tut einer, der es so will: Das ideelle Moment kommt zwar erst nachträglich zum materiellen hinzu, ist aber das über jenes und über ihr wechselseitiges Verhältnis Bestimmende; und so bleibt es auch, wenn der außen-stehende Betrachter in der Abstraktion 'das Ideelle' als das Dauernde, weil Notwendige vor 'dem Reellen' als dem zufällig Bedingten denkt.

Es ist zwar ein Schema; aber eines, das zum Modell des Wirklichen taugt - und nicht ein Gepinst, das auf dem Entschluss beruht, nichts verstehen zu wollen.
6. 10. 20
 
 
Notabene.
Wenn der Magen brennt oder die Füße frieren - ist dann Leiden mit Tätikeit vereint? Der Wissenschaftslehre geht es darum, die Ausbildung der Intelligenz zu vernünftigem Handeln nachzuzeichen. Ein Fühlen, das nicht aus der Beschränkung meiner willentlichen Tätigkeit durch den Widerstand eines Nichtich resultiert, liegt nicht in ihrem Gesichtskreis. Es ist zweck los und kommt nicht in Betracht.


Samstag, 23. November 2024

Es wird vorausgesetzt, dass man das Dasein der Dinge außer sich annehme.

Lothar Sauer                          zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Es wird vorausgesetzt, dass man das Dasein der Dinge außer sich annehme. Bei dieser An-nahme beruft man sich auf einen inneren Zustand. Man geht bei dieser Überzeugung in sich zurück in das Innere, man ist sich bewusst eines Zustandes, aus welchem man auf das Dasein von Gegenständen außer sich schließt. 

Nun ist man aber, inwiefern man sich bewusst ist, ein vorstellendes Wesen, man kann also nur sagen, man sei sich der Vorstellung von Dingen außer uns bewusst, und weiter wird eigentlich auch nichts behauptet, wenn man sagt, es gebe Gegenstände außer uns. Kein Mensch kann unmittelbar behaupten, dass er Sinne habe, sondern nur, dass er notgedrun-gen sei, so etwas anzunehmen. Das Bewusstsein geht nur auf das, das in ihm vorkommt, aber dies sind Vorstellungen. -

Damit begnügen wir uns aber nicht, sondern machen schnell einen Unterschied zwischen der Vorstellung und dem Objekt und sagen, außer der Vorstellung liege noch etwas Wirk-liches. Sobald wir auf den Unterschied der Vorstellung und des Objekts aufmerksam wer-den, sagen wir, es sei beides da. Alle vernünftigen Menschen (selbst der Idealist und Egoist, wenn er nicht auf dem Katheder steht) behaupten immerfort, dass eine wirkliche Welt da sei. 

Wer sich zum Nach-/denken über diese Erscheinung in der menschlichen Seele erhoben hat, muss sich wundern, da hier eine scheinbare Inkonsequenz ist. Man werfe sich also die Frage auf: Wie kommen wir dazu, an-zunehmen, dass noch außer unsrer Vorstellung wirk-liche Dinge da seien? Viele Menschen werfen sich diese Frage nicht auf, entweder, weil sie diesen Unterschied nicht bemerken, oder weil sie zu gedankenlos sind. Wer aber diese Frage aufwirft, erhebt sich zum Philosophieren, diese Frage zu beantworten ist der Zweck des Philosophierens, und die Wissenschaft, die sie beantwortet, ist die Philosophie.
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 3f.



Nota. - Die Transzendentalphilsophie alias Vernunftkritik fragt nicht, ob es vernünftig sei, eine wirkliche Welt außerhalb unserer Vorstellung anzunehmen. Das setzt sie im Gegenteil voraus: Die historisch wirklich gegebene Vernunft geht davon aus, dass es so ist. Kritisch ist sie, insofern sie fragt, ob diese ihre Voraussetzung einen Grund habe, den sinnlichen Schein für wahr anzunehmen; ob und wieweit unsere Vorstellungen von den Dingen notwendig sind. Die Einbildungskraft muss als schlechterdings frei gedacht werden und unbegründet in den Sinneseindrücken. Wenn einer von uns dem andern zumutet, sich dasselbe einzubil-den wie er selbst, muss er für seine Vorstellungen eine Notwendigkeit behaupten, die ihm der andere nicht bestreiten kann. Das ist die Bedingung von Vernunft. Vernunftkritik alias Transzendentalphilosophie hat also die Notwendigkeit gewisser Vorstellungen zu demon-strieren unter der Bedingung, dass die Einbildungskraft frei und dennoch ein Bereich von Übereinstimmung möglich und selbst unvermeidlich ist.

JE, 13. 11. 20

Freitag, 22. November 2024

Modellrechnung.

                                                                      aus Marxiana

Eine solche Periode nenne ich den Umschlagscyclus des Capitals. Der Gesammtumlauf des fixen Capitals ist bedingt nicht durch die Zeit, worin der Gesammtwerth des vorgeschosse-nen Capitals umschlägt, sondern durch die Zeit, worin der Gesammtwerth des fixen Capi-tals circulirt hat, in Geld verwandelt ist, und daher, der Durchschnittsrechnung gemäß, sein Gebrauchswerth vernichtet, es als Gebrauchswerth aufgenutzt ist, und daher in natura er-setzt, wirklich reproducirt werden muß. 

Seine Umlaufszeit ist also bestimmt durch seine Functionszeit im Productionsproceß, die dem Eintreten seines Gesammtwerths in den Circulationsproceß, oder dem allmählichen Umlauf seines Gesammtwerths, entspricht. Erst am Schluß dieses Umschlagscyclus des vorgeschossenen Capitals ist das fixe Capital, seinem Gesammtwerth nach vergoldet und muß daher die Phase G-W der Circulation durchlaufen, sich in einen Productionsfactor derselben Art rückverwandeln. 
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K. Marx, Ökonomisches Manuskript 1863-1865, MEGA II/4.1, S. 268 

 



Nota I. - Dass der Gebrauchswert der Maschine erst abgenutzt sei, wenn deren Tauschwert in Gestalt von Produkten völlig reproduziert und zu Geld gemacht ist, scheint, und sei es nur 'im Durchschnitt', ein frommer Wunsch. Hängt das realiter nicht vom bloßen Zufall ab? 

Der (Tausch-)Wert ist keine stoffliche Größe. Er tritt als solcher nirgends in Erscheinung. In Erscheinung tritt der Profit; dessen Größe wird erst im Gesamtprozess der kapitalisti-schen Produktion und letzten Endes auf dem Weltmarkt festgesetzt. Er hängt nicht direkt von dem vom individuellen Kapital erzeugten Mehrwert ab, sondern vom Ausgleich der Profitrate durch den Markt. Solange das individuelle Kapital auf dem Markt mithält und sich durchschnittlich verwertet, muss man annehmen, dass - unter anderm - der Verschleiß des Gebrauchswerts der Maschine nicht erheblich schneller vonstatten geht, als ihr gesam-ter (Tausch-)Wert reproduziert ist. Ob oder ob nicht, lässt sich nicht rechnerisch überprü-fen. 

Der Kapitalist wird es am Ende in seiner Bilanz bemerken; richtiger: Er würde bemerken, dass er zu wenig Gewinn macht, und er könnte vermuten, dass das daran liegt, dass er zu wenig produziert. Das mag nun manche Gründe haben. Unter anderm den, dass seine Ma-schine früher schadhaft wurde, als er dachte. Das muss man an der Maschine selbst über-prüfen, aus den Rechnungen geht es nicht hervor. Der Gebrauchswert als solcher lässt sich nicht beziffern. Man muss ihn praktisch ausprobieren.

Wozu also Marxens penible Berechnungen? Er muss am theoretischen Modell überschla-gen, ob die Begriffe für den Zweck taugen, für den sie bestimmt wurden. Die Zahlen sind alle fiktiv. Wie sollte man das Tempo der Wertübertragung denn vorab kennen? Die hängt doch vom Gebrauchswert der lebendigen Arbeitskraft ab und nicht nur von der Maschine. Es sind alles nur Modellrechnungen. Wenn sie aufgehen, bestätigen sie das Modell. Mehr ist nicht drin.
20. 10. 18

Nota II. - Das Modell stellt am Sach verhalt das Intelligible dar.
JE, 22. 11. 24


Nota - Das obige Bild gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und ihre Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Ihre Nachricht auf diesem Blog.. JE

Agilität überhaupt und der Raum als ihr Schema.

artiodiebaerin                 zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik. Die Aufgabe ist: nicht einem bestimmten T...