Samstag, 23. November 2024

Es wird vorausgesetzt, dass man das Dasein der Dinge außer sich annehme.

Lothar Sauer                          zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Es wird vorausgesetzt, dass man das Dasein der Dinge außer sich annehme. Bei dieser An-nahme beruft man sich auf einen inneren Zustand. Man geht bei dieser Überzeugung in sich zurück in das Innere, man ist sich bewusst eines Zustandes, aus welchem man auf das Dasein von Gegenständen außer sich schließt. 

Nun ist man aber, inwiefern man sich bewusst ist, ein vorstellendes Wesen, man kann also nur sagen, man sei sich der Vorstellung von Dingen außer uns bewusst, und weiter wird eigentlich auch nichts behauptet, wenn man sagt, es gebe Gegenstände außer uns. Kein Mensch kann unmittelbar behaupten, dass er Sinne habe, sondern nur, dass er notgedrun-gen sei, so etwas anzunehmen. Das Bewusstsein geht nur auf das, das in ihm vorkommt, aber dies sind Vorstellungen. -

Damit begnügen wir uns aber nicht, sondern machen schnell einen Unterschied zwischen der Vorstellung und dem Objekt und sagen, außer der Vorstellung liege noch etwas Wirk-liches. Sobald wir auf den Unterschied der Vorstellung und des Objekts aufmerksam wer-den, sagen wir, es sei beides da. Alle vernünftigen Menschen (selbst der Idealist und Egoist, wenn er nicht auf dem Katheder steht) behaupten immerfort, dass eine wirkliche Welt da sei. 

Wer sich zum Nach-/denken über diese Erscheinung in der menschlichen Seele erhoben hat, muss sich wundern, da hier eine scheinbare Inkonsequenz ist. Man werfe sich also die Frage auf: Wie kommen wir dazu, an-zunehmen, dass noch außer unsrer Vorstellung wirk-liche Dinge da seien? Viele Menschen werfen sich diese Frage nicht auf, entweder, weil sie diesen Unterschied nicht bemerken, oder weil sie zu gedankenlos sind. Wer aber diese Frage aufwirft, erhebt sich zum Philosophieren, diese Frage zu beantworten ist der Zweck des Philosophierens, und die Wissenschaft, die sie beantwortet, ist die Philosophie.
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 3f.



Nota. - Die Transzendentalphilsophie alias Vernunftkritik fragt nicht, ob es vernünftig sei, eine wirkliche Welt außerhalb unserer Vorstellung anzunehmen. Das setzt sie im Gegenteil voraus: Die historisch wirklich gegebene Vernunft geht davon aus, dass es so ist. Kritisch ist sie, insofern sie fragt, ob diese ihre Voraussetzung einen Grund habe, den sinnlichen Schein für wahr anzunehmen; ob und wieweit unsere Vorstellungen von den Dingen notwendig sind. Die Einbildungskraft muss als schlechterdings frei gedacht werden und unbegründet in den Sinneseindrücken. Wenn einer von uns dem andern zumutet, sich dasselbe einzubil-den wie er selbst, muss er für seine Vorstellungen eine Notwendigkeit behaupten, die ihm der andere nicht bestreiten kann. Das ist die Bedingung von Vernunft. Vernunftkritik alias Transzendentalphilosophie hat also die Notwendigkeit gewisser Vorstellungen zu demon-strieren unter der Bedingung, dass die Einbildungskraft frei und dennoch ein Bereich von Übereinstimmung möglich und selbst unvermeidlich ist.

JE, 13. 11. 20

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