Es wird vorausgesetzt, dass man das
Dasein der Dinge außer sich annehme. Bei dieser An-nahme beruft man sich
auf einen inneren Zustand. Man geht bei dieser Überzeugung in sich
zurück in das Innere, man ist sich bewusst eines Zustandes, aus welchem
man auf das Dasein von Gegenständen außer sich schließt.
Nun ist man aber, inwiefern man
sich bewusst ist, ein vorstellendes Wesen, man kann also nur sagen, man
sei sich der Vorstellung von Dingen außer uns bewusst, und weiter wird
eigentlich auch nichts behauptet, wenn man sagt, es gebe Gegenstände
außer uns. Kein Mensch kann unmittelbar behaupten, dass er Sinne habe,
sondern nur, dass er notgedrun-gen sei, so etwas anzunehmen. Das
Bewusstsein geht nur auf das, das in ihm vorkommt, aber dies sind
Vorstellungen. -
Damit begnügen wir uns aber nicht,
sondern machen schnell einen Unterschied zwischen der Vorstellung und
dem Objekt und sagen, außer der Vorstellung liege noch etwas Wirk-liches.
Sobald wir auf den Unterschied der Vorstellung und des Objekts
aufmerksam wer-den, sagen wir, es sei beides da. Alle vernünftigen
Menschen (selbst der Idealist und Egoist, wenn er nicht auf dem Katheder
steht) behaupten immerfort, dass eine wirkliche Welt da sei.
Wer sich zum Nach-/denken
über diese Erscheinung in der menschlichen Seele erhoben hat, muss sich
wundern, da hier eine scheinbare Inkonsequenz ist. Man werfe sich also
die Frage auf: Wie kommen wir dazu, an-zunehmen, dass noch außer unsrer
Vorstellung wirk-liche Dinge da seien? Viele Menschen werfen sich diese
Frage nicht auf, entweder, weil sie diesen Unterschied nicht bemerken,
oder weil sie zu gedankenlos sind. Wer aber diese Frage aufwirft, erhebt
sich zum Philosophieren, diese Frage zu beantworten ist der Zweck des
Philosophierens, und die Wissenschaft, die sie beantwortet, ist die
Philosophie.
______________________________________________________
J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 3f.
Nota. - Die
Transzendentalphilsophie alias Vernunftkritik fragt nicht, ob es
vernünftig sei, eine wirkliche Welt außerhalb unserer Vorstellung
anzunehmen. Das setzt sie im Gegenteil voraus: Die historisch wirklich
gegebene Vernunft geht davon aus, dass es so ist. Kritisch ist sie, insofern sie fragt, ob diese ihre Voraussetzung einen Grund habe, den sinnlichen Schein für wahr anzunehmen; ob und wieweit unsere Vorstellungen von den Dingen notwendig
sind. Die Einbildungskraft muss als schlechterdings frei gedacht werden
und unbegründet in den Sinneseindrücken. Wenn einer von uns dem andern
zumutet, sich dasselbe einzubil-den wie er selbst, muss er für
seine Vorstellungen eine Notwendigkeit behaupten, die ihm der andere
nicht bestreiten kann. Das ist die Bedingung von Vernunft.
Vernunftkritik alias Transzendentalphilosophie hat also die
Notwendigkeit gewisser Vorstellungen zu demon-strieren unter der
Bedingung, dass die Einbildungskraft frei und dennoch ein Bereich von
Übereinstimmung möglich und selbst unvermeidlich ist.
JE, 13. 11. 20
Samstag, 23. November 2024
Es wird vorausgesetzt, dass man das Dasein der Dinge außer sich annehme.
Lothar Sauer zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik
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