Donnerstag, 18. April 2024

Und nochmal: der Denkzwang.

passee                             zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik 

Zuvörderst, dieses Objektive und Reelle außer dem Denken, wo ist es denn außer dem Denken? Im Gefühl und fürs Gefühl, das reelle Denken soll Denken fürs Gefühl sein, da das ideale nur sich selbst denkt und darstellt.

Hier sonach ist der Platz, wo das Denken aus sich selbst herausgeht, sich bezieht auf etwas außer ihm und objektives Denken oder eigentlich Anschauung ist.

Nota.
Kriterium für Objektivität im speziellen Sinn und für Wirklichkeit ist das Gefühl. Es bleibt bis jetzt aber dabei, dass er unter Gefühl sowohl das fasst, was herkömmlich als Sinnlichkeit verstanden wird: die Meldungen des Sinneszellen an die Neuronen im Gehirn, als auch den Denkzwang, das 'Gefühl, nicht anders zu können'. - Solange er aus dieser Ver-mengung nicht doch noch eine Objektivität und Realität des Denkens selbst sophistiziert, ist es bloß eine Unsauberkeit. Andernfalls wäre es eine Subreption. JE

Man kann die gesamte Aufgabe der Wissenschaftslehre so ausdrücken: Wie kommt das Ich dazu, aus sich selbst herauszugehen? 

Dieses geschieht auch durch Vermittelung: die, dass das Ich nun zuvörderst herausgehe aus seinem ursprünglich Reinsten, aus dem Denken; daraus geht es fort zu dem Gefühl, /
dies vermittelt das Herausgehen aus sich selbst, die Annahme einer Außenwelt. Der Platz nun, wo an das bloße Denken sich etwas anknüpft, was kein Denken ist, ist hier. Hier wird vom Denken fortgegangen zum Gefühl. Aber wenn wir dies noch näher ansehen, so scheint es doch nicht Stich halten zu wollen. Es ist nämlich sonderbar, dass ein bloßes Denken den Grund zu einem Gefühle haben soll.
 
Nota.
Das war das Mysterium bei Plotin, Spinoza und Hegel: wie kommt die Substanz überhaupt dazu, ihre Identität zu verlassen und in Akzidenzen zu "emanieren" (E. Lask)? 'Warum ist GOtt Schöpfer geworden' - die Theologie verbietet diese Frage. Der spekulative Pomp der metaphysisch-philosophischen Systeme täuscht darüber hinweg, dass sie sich an der Frage vorbeidrücken. Wenn sie aber der Theologie nichts Substanzielles hinzu zu fügen haben, wieso konnten sie's dann nicht bei ihr belassen? Die Philosophie ist dann überflüssig.
Der Transzendentalphilosoph Fichte dreht die Frage um. Er setzt nicht erst ein Ich, um es dann, warum auch immer, tätig werden zu lassen; sondern geht aus vom Faktum der vernünftigen Tätigkeit, das aus dem Noumen Ich erklärt wird. Tatsache ist, dass das (noumenale) Ich aus sich heraugegangen ist. Er muss nun nicht seine Phantasie schweifen lassen und raten, was es dazu veranlasst haben könnte. Er muss lediglich heraus finden, wie das möglich war. Eine Notwendigkeit wird nicht behauptet.

Nota II.
Fichte hat nicht nur die neuzeitliche Dialektik in die Welt gesetzt, er hat auch ihre besondere Terminologie geschaffen: Der Begriff der Vermittlung kommt in systematischer Bedeutung anscheinend zuerst bei ihm vor. (Nur von 'Dialektik' hat er nie geredet.
Nota III. 
Es ist sonderbar, dass ein bloßes Denken der Grund zu einem Gefühle sein soll: Das hat er nun erkannt und zugegeben. Wird er nun dies Mysterium lüften? JE
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 196f.
 
 
Nota. - Nicht eigentlich das Gefühl selbst, in dem er auch den Denkzwang unterbringen will, ist der problematische Begriff, sondern der Zustand: Der ist nämlich das als real ge-dachte Pendant zum lediglich begriffenen Ich. In jedem Fall geht es darum, Denkerfahrung und Sinnlichkeit in einander aufzulösen.

Das Ich der intellektuellen Anschauung ist bloßer Begriff: Noumenon. Als solches fühlt es nichts und hat keinen 'Zustand'. Es fühlt das lebendige Individuum, dessen Weg zur Ver-nunft die Wissenschaftslehre rekonstruieren will - aus der als unvermeidlich aufgefundenen Voraussetzung des sich-selbst-setzenden Ich. 


Wir bleiben stets im Reich der Vorstellung. Die Aufgabe ist nicht, den Denkzwang der Sinnlichkeit, sondern vielmehr die Sinnlichkeit dem Denkzwang zu assimilieren. Die Frage war doch: Wie kommt das Objekt in meine Vorstellung? Er hat sie lediglich umgekehrt: Wie komme ich zu der Annahme, dass meinen Vorstellungen Objekte außer mir entsprechen? Materialiter ist das dasselbe. Und dieselbe Frage ist: Wie kann ich wissen, ob oder ob nicht? 

Da ist in der Erfahrung die Faktizität des Objekts; an ihm 'objektiviert' der Denkzwang das Gefühl; oder doch richtiger: übt das Gefühl einen Denkzwang aus. Bis hierher ist gar kein logisches Problem; ein solches entstand nur den dogmatischen Systemen, für die das Ich rezeptiv ist und Meldungen von den Dingen bloß entgegennimmt. In der Wissenschafts-lehre ist die Einbildungskraft eo ipso produktiv, sie hält nach einem Objekt gewissermaßen Ausschau.

Umständlich wird es bloß, wo die Einbildungskraft mit ihren eigenen Erzeugnissen zu tun bekommt. Die sind alle Noumena. Einen Anhaltspunkt für ihre Realität lässt sich nicht auf-finden, weil sie nicht real sind. Sie sollen aber gelten - oder als Spielzeug oder Abfall ausge-mustert werden. Wir können das unterscheiden, und wir unterscheiden klaren Verstand und Irrsinn. Wie ist das möglich?

Phänomenal haben wir als Anhaltspunkt lediglich die faktische Übereistimmung der mei-sten Individuen; die wirkliche 'Reihe vernünftiger Wesen'. Sie ist ein Hinweis, zum Beweis taugt sie nicht im mindesten: Die Mehrheit kann verrückt sein. Dass wir aber mit so vielen übereinstimmen, zeigt an, dass viele beim Einbilden ähnlich verfahren. Ihr Verfahren folgt einer Regel. Ist es so, dann kann ihr Einbilden nicht gegen die Regel verstoßen  -  jedenfalls nicht nach seiner eigenen Regel, sondern nur, indem ihm schwindelt. 

Wir haben es hier nicht nur mit den Erzeugnissen der Einbildungskraft zu tun, den Bildern, sondern mit ihrer Tätigkeit selbst, dem aktiven Einbilden, welches, indem es wirklich ge-schieht, ein Handeln, und als ein solches real ist. Insofern ist es nur bedingt frei, nämlich unter den einmal angenommenen Bedingungen. Die Bilder mögen so bunt und einander fremd sein, wie sie wollen - über ihre Brauchbarkeit entscheidet ihr Gebrauch.* Regelhaft ist aber das Verfahren beim Bilden.

Die Annahme eines Denkzwangs ist daher plausibel, und dass es manchen gibt, der aus der Reihe tanzt, ist nahezu unvermeidlich. Vernunft ist nur bedingt möglich - durch eine Wahl des freien Willens.
*) Der Denkzwang ist keine Garantie gegen den Irrtum. Vernunft gibt es nicht ohne Kritik.
13. 10. 18

Nota II. - Der pp. Denkzwang gebietet nicht kausal: 'Weil' dieses so ist, 'darum' musst du es so vorstellen. Sondern problematisch: 'Wenn' du mit einem Ding in Raum und Zeit etwas anfangen willst, 'dann' musst du es so machen, sonst kommst du nicht voran. Man kann allezeit darauf verzichten, dieses oder jenes zu tun. Dann muss man gar nichts tun, und gibt es keinen Denkzwang.

Ein Noumenon ist nicht in Raum und Zeit, es ist lediglich ein Gedankending. Du kannst es denken und kannst es bleiben lassen; aus Freiheit. Ein Gedankending - das heißt, es wurde gedacht; von einem, und zwar so oder so. Du könntest es selbst gedacht haben. Doch 'wenn' du es so denken willst - wenn du verstehen willst -, wie es vorab gedacht wurde, 'dann' musst du es so anfangen. Dieser Zwang ist bedingt durch Freiheit: Du kannst wollen - dann musst du; oder du willst nicht, dann kannst du's bleiben lassen. Dann könntest du dir stattdessen etwas anderes - vielleicht nur ein klein bisschen anderes - denken, mit dem du dann etwas anderes - vielleicht nur ein klein bisschen anderes - anfangen kannst. Deine Freiheit war bedingt, und die Bedingung hast du ausgeschlagen. 

Nota. - Auch im Denken kann man etwas anfangen.  
22. 12. 23

Nota III. - Das ist der wundeste Punkt der gesamten Wissenschaftslehre. Sie will prüfen, mit welchem Recht wir annehmen, dass gewissen unserer Vorstellungen Wirklichkeit außer-halb unseres Bewusstseins zukommt. Es läuft hinaus auf die Frage: Was schafft Gewiss-heit? Die ganze Erzählung vom an-sich seienden Wollen, vom Ich, das sich selbst setzt, vom Nichtich und der Aufspaltung der Einbildungskraft in ein reelles und ein ideelles Quantum und alles andere - führt uns zum allerletzten Schluss zu einem Gefühl der Ge-wissheit; so wie unterwegs in der Erzählung immer wieder der Denkzwang auftrat, der im ideellen Bereich denselben Dienst leisten soll wie das sinnliche Gefühl "des Bittern, Roten, Harten, Kalten usw." im reellen Bereich.

Es wird wohl so sein, dass wir alle, die wir uns für vernünftig halten, beim Denken immer wieder mal das Gefühl haben, "dass es anders nicht geht". Oder dass, wenn wir es 'anders' versuchen wollten, wir nur wissentlich eine Wahnvorstellung hervorbringen könnten, deren Falschheit wir vorab eingesehen haben. Aber davon könnten wir einander nur erzählen, mitteilen könnten wir das Gefühl nicht; geschweige denn, es überprüfen. Mit anderen Worten, für unser Wissen ist nichts gewonnen. 

Hätte er sich also den ganzen deduktiven, rekonstruktiven Aufwand nicht sparen können und sagen: Was wahr ist, ist evident? 

Das wäre gerade nicht das Ergebnis der Wissenschaftslehre. Als wahr müssen wir anneh-men, was auf dem Wege der Vernunft, den uns die Wissenschaftslehre beschreibt, zustande gekommen ist. Sie ist der Prüf
stein. Was uns das sinnliche Gefühl verbürgt, kann in Raum und Zeit gemessen werden. Doch nicht, was uns der Denkzwang oktroyiert. Das lässt sich nur im vernünftigen Verkehr selbst ermitteln, actu, nicht vorab theoretisch. Vernünftig sein heißt, den Denkzwang fühlen. Das Gefühl des Denkzwangs ist die Stimme der Vernunft.

Ist er nicht vielmehr das Ende der Rationalität? Aber nein. Das Mysterium des Denkzwangs wird auseinandergelegt und einsehbar gemacht durch die - mythische, das ist wahr - Erzäh-lung der Wissenschaftslehre. Die in ihr aufgezeigten Denkzwänge sind eingeschlossen in die beiden Termini der Erzählung. A quo: Bevor ein Ich sich setzen konnte, muss es sich - ir-gendwie irgendwo - vorgeschwebt haben. Zwar kann man dabei nichts denken, aber ohne es kann man schon gar nichts denken. Ad quem: Ein Ende ist nicht absehbar. Wessen Ende nicht absehbar ist, das ist unendlich. Das Unendliche ist nicht das Vollkommene. Es ist viel-mehr der Weg der Vervollkommnung. Das ist die einzige Weise, auf die wir uns das Absolu-te denken können.
19. 7. 18

Summa summarum: Wenn ich weiß, was das System der Zahlen von 1 bis bedeutet, kann ich nicht annehmen, dass zweimal 2 etwas anderes als 4 ergibt. Wenn ich keine Spra-che verstehe, kann ich nicht denken. Wenn ich keine Prämissen habe, kann ich nicht schlussfolgern. Aber ich kann vernünftig sein, ohne zu wissen, was Vernunft ist.
JE

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