Ideales Denken ist es, wenn das Bestimmen oder Denken durch die
Einbildungkraft hin-durch erblickt und dadurch zur bloßen Bewegung, zum
bloßen Tun wird, ohne dass ein Produkt desselben erscheine.
(Unsere Tätigkeit erscheint immer als ein Fließen, welches oben erklärt ist; nun erscheint auch ein Produkt, davon abstrahieren wir jetzt, es ist ein Tun überhaupt wie oben im reinen Zweckbegriff). Darin ist es ein bloßes ideales Denken. -
Ein reales Denken ist
das, wenn das nun versinnlichte Bestimmen, das daliegende, abermals
bestimmt wird durch das reine Denken. Im ersten erscheint das Denken als
ganz frei, im zweiten erblickt es sich als gebunden, daher entsteht das
Gefühl und insbesondere das Ge-fühl des Denkzwanges. S. 216
... bei aller Bemühung können wir die Untersuchung über die Hauptsynthesis niemals er-schöpfen; wir können sonach nimmermehr das Bestimmte und Bestimmende als eins an-schauen, weil beides in der Synthesis auseinander liegt. Dieses Bestimmen und Bestimmt-sein ist in der Hauptsynthesis eins, diese können wir aber nicht fassen.
Die Philosophie hebt
notwendig an mit einem Unbegreiflichen, mit der ursprünglichen
Synthesis der Einbildungskraft, ebenso mit einem Unanschaubaren, mit
der ursprünglichen Synthesis des Denkens. Dieser Akt ist nicht zu denken
noch anzuschauen. Es lässt sich auch also noch bloß die Aufgabe aufstellen, alles Übrige ist erreichbar, da es in der Erfahrung vollzogen wird.)
Kurz, ich denke reell, wenn ich mich gezwungen fühle. Dies kommt daher, weil ich mich bestimmte. Denke ich dieses Bestimmte, so denke ich idealiter, mit letzterem ist kein Gefühl verbunden wie mit dem ersten. - S. 217
Dieses Denken haben wir schon genetisch zusammengesetzt; hier finden wir beides als ein Ganze[s], und wir wollen nun beide auf einander beziehen. Wie wird also eins durch das an-dere bestimmt? Wir wollen bei der Beziehung des realen Denkens auf das ideale anfangen, also in der ursprünglichen Synthesis ist mein Zustand von einer Seite betrachtet ein reelles Denken; nun ists unmöglich, dass //218// derselbe Zustand auch ein Unbestimmtes sei, dem-nach muss das ideale Denken, da es in demselben Zustande vorkommt, selber mit bestimmt werden. -
Das heißt nicht, das
Ideale verliert seinen Charakter als Ideales, beides muss beisammen
be-stehen, weil sonst kein Ich bestehen könnte. Die Freiheit als solche,
das Bestimmen, das bloße Vermögen wird selbst gesetzt als ein bloßes
Vermögen, das Ich wird als Seele zur Substanz mit dem und dem bestimmten
Vermögen, weder mit mehr oder weniger (von Ge-mütsvermögen ist nicht die
Rede).
Substanz ist ein bloßes
Vermögen, das selbst in Schranken eingeschlossen wird, aber Ver-mögen
ist es nur, inwiefern es durch die Einbildungskraft hindurch gesehen
wird. Ein be-grenztes Vermögen ist es, inwiefern jenes Konstruieren der
Einbildungskraft durchs reine Denken bestimmt wird.
Wir hatten also hier
quasi drei Akte. 1) Ich denke mich als absolute reine Kraft; dies ist
Re-sultat des absolut reinen Denkens. 2) Diese reine Kraft sehe ich durch
die Einbildungkraft hindurch, durch ein unendliches Mannigfaltiges der
Handlungsmöglichkeiten. Dadurch ent-steht mir nun eine zu einem
unendlichen Mannigfaltigen Vermögen habende Kraft. 3) Diese Kraft
denke ich nun abermals, dies ist nicht das reine Denken sub Nr. 1,
ebensowenig der Akt der Einbildungkraft sub Nr. 2, sondern auf beides in
seiner Vereinigung gehendes empirisches Denken.
Die Beschränkung des
Geistigen kommt von diesem Denken. Das ideale oder reine Denken allein
ist produzierend, wodurch Noumene hervorgebracht werden. Alles reelle
Denken ist nur begrenzend und teilend das Gemachte; dies ist das
leichteste, worauf weiter gebaut wird.
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, S. 216ff.
Nota I. -
Das reine oder ideale Denken produziert Noumena, da greift das reale
Denken teilend und begrenzend hinein, daraus entsteht - nein, nicht eine
Welt, sondern das reale Bewusstsein von mir und der Welt.
Nota II. - Fassen, nämlich denkend begreifen, lässt sich die Synthesis nicht, denn sie ist ja nur als das Übergehen vom einen zum andern; würde es gefasst, könnte es nicht länger übergehen.
Die
Hauptsynthesis ist in allgemeinster Formulierung: Ich bestimme mich. Würde das
je gelingen, wäre mit allem Bestimmen Schluss. Bestimmen meiner - und
von irgendetwas anderem - als... ist nur möglich, solange ich
mich von mir unterscheide. Wenn ich mich zu Ende bestimmt habe und mit
mir eins geworden bin, bin ich tot.
Nota III. - Sie und ich, wir finden uns in unserm Denken frei, wenn wir fühlen, dass wir anders gar nicht können. Das ist offenbar unter allen Paradoxa das pardoxeste: Es ist der geradeste Weg, den ich erkenne; jeder andere wäre unüberwindbar schwierig.
Und zwar, weil ich so nunmal angefangen habe. Ich müsste zuerst umkehren, wenn ich anders vorangehen wollte. Und das würde ich, wenn ich so nicht vorankäme. Doch solange ich so vorankomme, habe ich dazu keine Veranlassung. Die Wissenschaftslehre ist eine Probe aufs Exempel. Hast du dich darauf eingelassen? Dann bleib dabei - es sei denn, es geht nicht mehr.
Nota IV. - Nie vergessend freilich, dass eine Syn thesis schlechthin nicht ursprünglich ist, sondern erst der Re flexion
vorkommt: Ich/mich setzt voraus, dass ich mich von mir un-terschieden
habe; das habe ich aber nicht im Tun, sondern erst in der Anschauung
meines Tuns. Ursprüngliche Synthesis ist eine rhetorische Figur für etwas, das sich anders nicht aussprechen lässt.
JE
Nota. Das obige Bild gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE
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