aus Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik
1. Insofern das Nicht-Ich gesetzt ist, ist das Ich nicht gesetzt; denn durch das Nicht-Ich wird das Ich völlig aufgehoben.
Nun ist das Nicht-Ich im Ich gesetzt: denn es ist
entgegengesetzt; aber alles Entgegenge-setzte setzt die Identität des
Ich, in welchem gesetzt und den Gesetzten entgegengesetzt wird, voraus.
Mithin ist das Ich im Ich nicht gesetzt, isofern das Nicht-Ich darin gesetzt ist.
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J. G. Fichte, Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, Hamburg 1979, S. 26
[ad Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, S. 26, N.1] Da
nun Entgegengesetztes beisammen bestehen soll, so muss das Ich das
Vermögen haben, Entgegengesetztes zu-sammen zu setzen in demselben
Akt des Bewusstseins, weil eins ohne das andere nicht möglich ist. Im
Ich ist das Vermögen, synthetisch zu verfahren.
Synthesis
soll heißen zusammensetzen; nun kann aber nur zusammengesetzt werden,
was entgegengesetzt ist. Soll nun in einem Akt zusammengesetzt werden,
so muss [das Ich] in
einem Akte Entgegengesetztes, also ein Mannigfaltiges zu Stande bringen
können; mithin muss ein solcher Akt einen Umfang haben. Dieser Umfang
des Akts nun, in welchem Man-nigfaltiges zusammengesetzt wird und wodurch
es möglich wird, wird im Buch [Grundlage] genannt Quantitäts fähigkeit.
Im Bewusstsein dieses
Handelns liegt das, wovon übergegangen wird; das, wozu übergegan-gen
wird, und das Handeln selbst. Das Bewusstsein ist kein Akt, es ist
ruhend, in ihm ist Mannigfaltigkeit, über welche das Bewusstsein
gleichsam hinüber geführt wird. Im Bewusst-sein ist alles zugleich
vereinigt und getrennt. Dies bedeutet die Schranken, Teilbarkeit,
Quan-titätsfähigkeit. [vgl. Grundlage, S. 29, N. 8]
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ders., Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 48
8. Etwas einschränken heißt: die Realität desselben durch Negation nicht gänzlich, sondern nur zum Teil aufheben. Mithin liegt im Begriff der Schranken, außer dem der Realität und der Negation, noch der der Teilbarkeit (der Quantitätsfähigkeit überhaupt, nicht eben einer bestimmten Quantität). Dieser Begriff ist das gesuchte X, und durch die Handlung Y wird demnach schlechthin das Ich sowohl als das Nicht-Ich [als] teilbar gesetzt.
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ders., Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, Hamburg 1979, S. 29
Nota. - Nichts ist "überhaupt" oder an sich gesetzt. Es ist gesetzt von einem für einen an einer Stelle: anders ist gesetzt sein ohne
Bedeutung. Wenn also ich mich in mich hinein 'set-ze', kann ich in mich
nicht zugleich ein Nich-Ich setzen, weil es mein Ich aufhöbe. Doch so
soll - und muss, wenn ein Bewusstsein zustande kommen soll - es
geschehen. Dem setzen-den Ich muss also das Vermögen zugeschrieben
werden, Entgegengesetzte in sich neben einander zu setzen, ohne dass sie sich aufheben: 'synthetisch'.
Hier wird der
substanzielle Unterschied von Fichtes genetischem analytisch-synthetischen Verfahren zur Dogmatik der Hegel'schen
Begriffslogik deutlich. Knüpfen wir die Begriffe mit logischer
Folgerichtigkeit aneinander, dann entsteht ein Widerspruch. Das
eine kann nicht bestehen, wenn das andere besteht. Logisch würden sie
einander aufheben und es bliebe... nichts übrig. So soll es bei Hegel
aber nicht sein. Sie heben einander 'auf' heißt: auf eine höhere Stufe.
Es wird etwas Neues daraus von einer Höheren Qualität. Verstehe, wer
kann, das ist mystisch, das ist Hokuspokus, das kann man allenfalls
glauben; muss man aber nicht.
Die genetische Methode bedient sich nicht vorgegebener Begriffe, sondern [treibt] tätig Vor-stellungen
aus einander hervor. Ich stelle mir zwei Entgegengetzte vor; ich soll
sie mir zu-gleich und an derselben Stelle vorstellen ('setzen'). Dann
muss ich sie mir als bestimmte Mengen vorstellen, die nebeneinander im
selben Raum Platz haben.
Das wäre eine triviale Lösung, blieben sie auf diese Weise in meiner Vorstellung nicht ein-ander immer noch auf engstem Raum entgegen gesetzt! Zur Ruhe können sie so nicht kommen, da muss ich mir eine Energie vorstellen - und dass sie mich zu weiterem Vor-stellen antreibt.
Der Unterschied ist:
Beim genetischen Verfahren Fichtes bleibt stets das vorstellende Ich
tätig; während in der dogmatischen Dialektik das tätige Subjekt in den
Begriffen begraben wird.
JE, 6. 6. 19
Samstag, 27. April 2024
Genetisches Verfahren und dogmatische Begriffsdialektik.
Nota. Das
obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie
der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht
wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE
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