Freitag, 13. Juni 2025

Real wird Freiheit nur als Befreiung.

                              zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Jenes Übergehen als solches wird angeschaut als seinen Grund schlechthin in sich selbst ha-bend, die Handlung dieses Übergehens heißt drum reale Tätigkeit, welche der idealen, die die erste bloß rein abbildet, entgegengesetzt wird; sonach wird die Tätigkeit des Ich in diese beiden Arten derselben eingeteilt.

Nach dem Grundsatze der Bestimmbarkeit ist ein reales Handeln nicht zu setzen ohne ein reales oder praktisches Vermögen. Reale und ideale Tätigkeit sind durch einander be-dingt und bestimmt, eine ist nicht ohne die andre, und was die eine sei, lässt sich bloß durch die andere begreifen. In diesem Akte der Freiheit wird das Ich sich selbst Objekt. Es ent-steht ein wirkliches Bewusstsein, an dessen Punkt von nun an alles angeknüpft werden muss, was Objekt desselben sein soll. Die Freiheit ist sonach der erste Grund und die erste Bedingung alles Seins und alles Bewusstseins.

 
Nota. 
Wirklich ist nur das Übergehen, denn nur Tätigkeit ist wirklich, und tätigsein ist übergehen von der Bestimmbarkeit zur Bestimmung. Der erste Grund und die erste Bedingung des Tätigseins dagegen ist nicht real: Freiheit ist, wie das Ich, ein Noumenon.
(Phänomenal gesprochen: Nur Übergänge sind wirklich. Festgestelltes Seiendes gibt es nur in der Vorstellung.)

Die Handlung des sich selbst Setzens des Ich ist ein Übergehen von der Unbestimmtheit zur Bestimmtheit. Wir müssen /47/ darauf reflektieren, wie das Ich es macht, um von der Unbestimmtheit zur Bestimmtheit überzugehen.

1) Hier gibt es keine Gründe; wir sind an der Grenze aller Gründe. Man muss nur zusehen, was man da erblicke. Jeder wird sehen: Es gibt da kein Vermittelndes. Das Ich geht über, weil es übergeht, es bestimmt sich, weil es sich bestimmt, dies Übergehen geschieht durch einen sich selbst begründenden Akt der absoluten Freiheit. 

Es ist ein Erschaffen aus nichts, ein Machen dessen, was nicht war, ein absolutes Anfangen. In der Unbestimmtheit liegt nicht der Grund der nachfolgenden Bestimmtheit, denn beide heben sich auf. Im Moment A war ich unbestimmt, mein ganzes Wesen wurde in dieser Unbestimmtheit aufgehoben. Im Moment B bin ich bestimmt, es ist etwas Neues da; diese kommt aus mir selbst: Das Übergehen geht in einen in sich selbst begründeten Akt der Freiheit über.
 
Nota I.
Die scholastischen Philosophen gebrauchten den Ausdruck causa sui, um den Gedanken einer Selbstschöpfung aus nichts begreiflich zu machen. Begreiflich macht er gar nichts, denn das hieße: aus Anderm ableiten. Causa sui, Actus purus, Esse a se - das lässt sich nach F. lediglich anschauen, wenn auch nicht auf sinnliche Weise. Es ist der Anfang der Vernunft, ihre Tätigkeit ist Übergehen des sich-selbst-setzenden Ich aus der Unbestimmtheit zur Bestimmung. Es bleibt mir unvorstellbar, wie er nebenher doch auch immer die Vorstellung einer vorab-bestimmten Vernunft hegen konnte. Aber man muss es hinnehmen wie es ist.

Nota II.
Aus nichts wird nichts, wird Fichte später, nach seiner dogmatischen Wendung, sagen - wo es nämlich erstmals aus-drücklich um das Woher - und also um Warum und Wozu - der Vernunft geht. 'Gab es' Vernunft, bevor 'das Ich sich setzte', dann war sie der Grund seines Setzens und sie war der absolute Anfang ohne Grund.
Der Transzendentalphilosoph Fichte hätte diese Darstellung als transzendent und eo ipso als dogmatisch verworfen. Er hätte vielmehr gesagt: Das sich-Setzen des Ich als das grundlose Übergehen vom Unbestimmten zum Bestimmteren ist selbst der Anfang der Vernunft; nur als ein solches hat das Wort Vernunft überhaupt eine Bedeutung.

Die Aufgabe, die die Wissenschaftslehre sich gestellt hat, war nicht das transzendent-dogmatische Projekt, die Welt und alles, was in ihr vorkommt, aus ihren Ursachen zu erklären; nämlich so, dass aus der Ersten Ursache alles andere mit Notwendigkeit erfolgen musste. Das hatten die metaphysischen Systeme vor Kants kopernikanischer Wende versucht.
Die Transzendentalphilosophie wusste sich damit zu bescheiden, das vorgefundene Faktum der Vernunft zu erklären. Sie muss nicht erklären, weshalb ein Ich 'sich gesetzt hat': Es hat es getan, das ist das Faktum, von dem wir ausgehen müssen. Dass das Auftreten der Vernunft in der Welt notwendig war, kann und darf sie gar nicht behaupten, denn dazu müsste sie hinter die Vernunft zurückgreifen - vor den Punkt, als 'es' sie 'gab'. Dazu müsste sie der Vernunft entraten. Die war aber Ausgangs- und Zielpunkt der Transzendentalphilophie.

 
Insofern kann man Fichte der Inkonsequenz nicht zeihen. Denn mit seinem Einknicken vor Jacobi und seiner Bereit-schaft, den Glauben der Vernunft voranzuschicken, hat er genau das getan: der Vernunft entraten. 

aus J.G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, §3, S. 46f. 

 

 

 

 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Der Begriff des Seins ist kein ursprünglicher, sondern ist von der Tätigkeit abgeleitet.

                                 aus Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik                                               ...