HRM zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik
Der Zustand meines Gefühls
verändert sich, wenn ich eine Kausalität wahrnehme; es ist eine stete
Fortbewegung von A zu B, in der kein Sprung, kein Hiatus ist. Wenn ich
die ge/samte Masse des Gefühls als
eine Linie denke, so werde ich keine zunächst liegenden Punk-te finden,
die ganz entgegengesetzt werden. Nehme ich aber Teile heraus, so sind
diese im Ganzen immer entgegengesetzt.
Z. B. der Zustand des Gefühls,
zufolge dessen ich annehmen muss, A sei roher Marmor, verändere sich so,
dass ich sonach zufolge des Gefühls A als eine Bildsäule annehmen muss.
Dies ist ziemlich unbegreiflich, allein es ist auch nicht Sache des
Begreifens (des Denkens), sondern des Anschauens; und wurde nur durch
die Einbildungskraft so, wie sich das bei der Deduktion der Zeit ergeben hat.
Der Fortgang soll stetig sein, weil
sonst die Einheit des Bewusstseins aufgehoben würde, und sonach bliebe
das Bewusstsein, weil das Bewusstsein Einheit ist. [sic] Nun sind aber die
Gefühle als solche entgegengesetzt und können im Fühlen in derselben
Rücksicht nicht stattfinden. Wie soll nun dies Mannigfaltige in der
Kausalität vereinigt werden? Schon oben wurde gesagt: Die Gefühle
müssen auf ein in beiden Zuständen fortdauerndes Gefühlsver-mögen
bezogen werden; diese Antwort bekommen wir hier wieder und bestimmter als
oben; es liegt daran, dass wir unsere mannigfaltigen Vorstellungen in der Zeit in Eins fassen und uns bei allem Wechsel der Erscheinungen für dasselbe Empfindende halten.
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 127f.
Nota I. - Anschauen, nämlich mit den Augen sehen kann ich den Zustand A vor der Wirkung und den Zustand B nach der Wirkung x. Das x aber
sehe ich nicht: In der Zeit, in dem an-schaulichen Verlauf, kommt es
nicht vor. Stattdessen ist da ein Bruch, ein Hiatus, eine 0. Das vorgestellte Wirken selbst* muss
hinzugedacht werden - nämlich als Begriff. Es ist dar-um nicht paradox,
zu formulieren: Kausalität kommt nur im Begriff vor und nicht in der
Anschauung. Doch es bedeutet beidemal dasselbe - einmal vorgestellt, das
andre Mal be-griffen.
*) Inzwischen ist es raus: Selbst der Quantensprung hat einen Verlauf und dauert in der Zeit.
6. 2. 22
Nota II. - Meine Überschrift lautete ursprünglich umgekehrt: kann nicht begriffen, sondern nur angeschaut werden. Das war natürlich ein Schreibfehler, aber sozusagen ein 'richtiger': Angeschaut wird zuerst eine Ver-änderung in der Zeit, doch begriffen wird hernach 'Kausalität'.
Im Rückblick auf den ... Eintrag [?] wäre hinzuzufügen: Einem Geschehen in der Zeit - vorher/nachher - wird eine Absicht unterstellt: Wirkung. - Das Anthropozän hat sich im Vorstellen niedergeschlagen lange, bevor es auf der Erdoberfäche in die Wirklichkeit trat.
22. 3. 24
Nota III. - Der Rätsels Lösung: Kausalität ist kein Erfahrungbegriff und kein Noumenon, sondern eine bloße Vorstellung, die der Kritik durch die Begriffe nicht standgehalten hat - aber ihre werktägliche Brauchbarkeit alle paar Sekunden bewährt; anders gesagt: eine Fik-tion. Es ist aber diese Fiktion, die Erfahrung möglich macht. Und ohne Erfahrung keine Vernunft.
Nota IV. - "Begriffen" wird sie irrtümlich; nämlich nur so, als ob.
JE
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