
Vernünftig wäre eine Welt, wo letzten Endes das diskursive Denken den Ausschlag gibt.
Diskursives Denken verknüpft klar und deutlich bestimmte Begriffe nach überprüften und anerkannten Regeln. Nur so ist ein Meinen und Dafürhalten für einen jeden überprüfbar, der sich seiner bedient.
Man mag annehmen, die logischen Regeln seien nur im Ergebnis formal, denn material kä-men sie zustande, indem ein so und nicht anders bestimmter Begriff mit einem anderen, an-ders und nicht so bestimmten Begriff sich wirklich operativ verknüpfen lässt, ohne dass ihre jeweilige Bestimmtheit dadurch beeinträchigt würde.
Dann wäre dem metaphysischen Anspruch genüge getan, denn nun hinge alles nur noch an den Begriffen und ihrer Bestimmung.
Allerdings muss vorausgesetzt werden, dass diese logische* Harmonie unter den Begriffen tatsächlich präetabliert ist. Das kann man aber nur glauben und nicht wissen: denn dazu müsste es von einer endlichen Intelligenz so überprüft worden sein, dass jede andere end-liche Intelligenz es nach vollziehen könnte. Das ist schlechterdings nicht möglich, denn dazu müsste der Umkreis der bestimmten Begriffe endgültig festgestellt sein.
Etwaige Zweifel überspielt der Begriffsfetischist daher mit seiner Überlegenheit.
*
Diskursives Denken setzt die Gültigkeit der Logik voraus. Das sei ihm in Hinblick auf obi-ge Erwägung geschenkt, und es mag sie unbefangen anwenden. Doch wo immer es materi-aliter zu argumentieren beginnt, muss es einen Begriff verwenden und ihn als vor bestimmt behaupten. Ein anderer Anfang ist ihm nicht möglich. Es kann aber in keiner Weise begrün-den, weshalb es seinen Anfang an diesem Begriff wählt und nicht an einem andern. Und je-dem Zweifel an der Bestimmheit seines Eingangsbegriffs muss es stattgeben.
Auf diesem Weg gibt es kein Halten und man stürzt ins Bodenlose. Übereinkommen ist so nicht möglich. Entweder sie vertragen sich an einem Punkt, wo sie zufällig übereinstimmen - und jeder Skeptiker darf sie der Augenwischerei zeihen.** Oder ein jeder verharrt auf dem Punkt, an dem er gerade steht, und sie müssen ergebnislos auseinander gehen, sofern sie die Sache nicht handgreiflich klären wollen.
Diskursives
Denken ist, wenn man ihm auf den Grund geht, entweder ein Eiern durch
die Kompromisse, oder es führt in den Schlagabtausch. Und merke: So
wäre es, wenn es denn wirklich allüberall das letzte Wort hätte. Aber
davon kann ja nicht die Rede sein: Die mei-sten wirklichen Konflikte in
der Welt entstehen nicht aus unterschiedlichen Begriffen, son-dern aus
unterschiedlichen Interessen. Das Rühren und Destillieren in Begriffen
dreht sich bestenfalls im Kreis und findet einen Halt nur immer in
gläubigem Behaupten und gewalt-samem Erzwingen.
*
Die Wissenschaftslehre
ist die radikalisierte Fortführung der Kant'schen Kritik. Sie kann
selber nicht mit Begriffen und Schlussregeln zu Werke gehen, deren
Begründung sie ja erst prüfen will. Sie kann nur an dem Material
beginnen, das den Begriffen zu Grunde liegt; an dem, was in ihnen vorgestellt wird. Und einen ersten Schritt muss sie nicht suchen, er bietet sich von selber an: Vor eine Ersten Vorstellung muss sie einen ersten Vorsteller setzen, dem keine andere Bestimmung zukommt als eben die, dass er vorstellen kann, weil er es will. Von dieser einen und einzigen Voraussetzung aus muss nun Schritt für Schritt das System***
der Vernunft rekonstruiert werden, das uns heute tatsächlich einen
weltweiten wissenschaftli-chen und technischen Zusammenhang ermöglicht -
wenn schon nicht immer de facto, so doch in faciendo.
*) Das Logische ist ursprünglich alles Bedeutsame im Unterschied zum Gegenständlichen: Es war material ge-meint, nicht formal.
**)
Faktisch werden sie zu Beginn der Verhandlungen nach diesem zufälligen
Konsens suchen, aber alles weitere bleibt eine Diskussion 'ex concessis'
und gilt immer nur für die Beteiligten: 'ad hominem'. Niemand ist
gehalten, ihnen zu folgen.
***) Das System - nicht aber, was im einzelnen als vernünftig gelten soll: Das bleibt Sache des Meinungsstreits.
9. 6. 22
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen