Sonntag, 6. April 2025

Radikal phänomenologisch.

                                 zu  Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Die Wissenschaftslehre fordert jeden auf, zu überlegen, was er tut, wenn er sagt: Ich. Von diesem behauptet die Wissenschaftslehre, dass er dadurch annehme ein Setzen seiner selbst, dass er sich setze als Subjekt-Objekt. Man kann Ich nicht denken ohne dies. Dadurch nun, durch die Identität des Setzenden, und Gesetzten, ist der Begriff der Ichheit, in wiefern ihn die Wissen/schaftslehre postuliert, völlig erschöpft. Es wird hier nicht mit hineingezogen, was man sonst beim Setzen seiner selbst noch denken möchte. 

Wer [dies] nicht zugäbe, mit dem könne die Wissenschaftslehre nichts anfangen; dies ist das erste, was die Wissenschaftslehre jedem zumutet.

Weiter mutet sie an, noch einmal in sein Bewusstsein hineinzugehen und behauptet, dass man finden werde: dass man sich nicht nur selber setze, sondern dass man sich auch etwas entgegensetze. Dieses Entgegengesetzte wird, weil von ihm nichts weiter behauptet wird, als dass es dem Ich entgegengesetzt ist, auch Nichtich genannt. Man kann es noch nicht Objekt oder Welt nennen, da erst bewiesen werden muss, wie es zum Objekte und zur Welt werde; sonst wäre die Philosophie Popularphilosophie.
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, I. Einleitung, Hamburg 1982, S. 7f. 

 

Nota I. - Fichte radikalisiert Kants phänomenologisches Verfahren: Erklärt werden soll das Bewusstsein. Bewusstsein ist ein Verhältnis zu etwas. Wenn ich von einem jeden phänome-nal gegebenen Bewusstsein all das abziehe, was daran empirisch und kontingent ist, bleibt als irreduzibler Rest: sich-verhalten zu etwas. Dem muss ich Etwas voraus-gesetzt haben. Ich konnte Etwas nur setzen, indem ich es mir-entgegen setzte. Ich muss ipso facto mich-selbst gesetzt haben. - Ohne dies kein Bewusstsein.
27. 7. 15

 

Nota II. -  Ja, Fichte radikalisiert Kant, aber nicht, indem er bei den Voraussetzungen hinter ihn zurück-, sondern indem er in den Schlüssen über ihn hinausgreift. Ihr Ausgangspunkt ist derselbe: dass Vernunft zu herrschen behauptet; diese Behauptung wird im ursprüng-lichen Wortsinn kritisiert: nämlich einem begründeten Urteil unterzogen. Das epochale Hauptwerk Kants heißt 'Kritik der reinen Vernunft'   und nicht Kritik allen Bewusstseins. Denn dazu hätte ein Begriff des Bewusstseins vorangestellt werden und die Untersuchung dogmatisch beginnen müssen und nicht - kritisch. Vernunft trat dagegen allerorten selbstbe-wusst in Erscheinung und man konnte sie an ihren eigenen Ansprüchen messen: phänome-nologisch

Modell der Vernunft war für Kant unverhohlen die Physik Newtons, und daran ist metho-dologisch bis heute nichts auszusetzen. Ein anderes Modell wurde inzwischen nicht geltend gemacht (Die Relativitätstheorie überwindet Newtons System nicht, sondern erweitert es) vielmehr behauptete zeitweilig und behauptet wenn auch kleinlaut noch immer ausdrück-liche Unvernunft ihren Platz. Doch Vernunft erhebt das Wort nicht nur kleinlaut, sondern überhaupt nicht mehr, und so ist es voll und ganz gerechtfertigt, die kritische Philosophie dort fortzusetzen, wo Kant sie hinterlassen und Fichte sie weitergetrieben hat. 
 JE, 9. 5. 21

 

Nota. - Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE

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