Dienstag, 29. April 2025

Die erklügelte göttliche Weltregierung.

                                      zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Den Begriff vom intellektuellen Gefühl hat Fichte ersonnen, als er den 'Glauben an eine moralische Weltordnung' als unmittelbar gegeben glaubhaft machen wollte. -
 

Forberg hatte den Glauben an Gott als einen nützlichen Trick dargestellt, um im breiten Publikum, das für philosophische Spekulation keinen Sinn hat, Moralität zu propagieren. Hans Vaihinger hat ihn dafür gelobt und den inkriminierten Aufsatz in seinem Magnum opus in extenso abgedruckt. Und hat Fichte, der 'so weit nicht gehen wollte', darum kritisiert.

Aber ganz hatte er Fichte nicht verstanden. Dem war eine exoterische Wahrheit für die Misera plebs, der man die esoterische Wahrheit ("noch") nicht zumuten konnte, zuwider, denn aus der Misera plebs kam er selber.


In der Bestimmung des Menschen kehrt er wieder zu seiner anfänglichen Argumentation aus Der Grund unseres Glaubens zurück: Etwas wollen heiße notwendig, sich Etwas als in - irgendeiner unbestimmten - Zukunft verwirklicht vorstellen. 

"Von der Sinnenwelt gibt es sonach keinen möglichen Weg, um zur Annahme einer morali-schen Weltordnung aufzusteigen; wenn man nur die Sinnenwelt rein denkt, und nicht etwa, wie dies durch jene Philosophen geschah, eine moralische Ordnung derselben unvermerkt schon voraussetzt.

Durch unseren Begriff einer übersinnlichen Welt sonach müßte jener Glaube begründet werden.

Es gibt einen solchen Begriff. Ich finde mich frei von allem Einflusse der Sinnenwelt, absolut tätig in mir selbst, und durch mich selbst; sonach, als eine über alles Sinnliche erhabene Macht. Diese Freiheit ist aber nicht unbestimmt; sie hat ihren Zweck: nur erhält sie denselben nicht von außen her, sondern setzt ihn sich durch sich selbst. Ich selbst und mein notwendiger Zweck sind das Übersinnliche." (S. 181)


"Ich kann nicht zweifeln, sage ich, kann auch nicht einmal die Möglichkeit, daß es nicht so sei, daß jene innere Stimme täusche, daß sie erst anderwärtsher autorisiert werden müsse, mir denken; ich kann sonach hierüber nicht weiter vernünfteln, deuteln und erklären. Jener Ausdruck ist das absolut Positive und Kategorische. Ich kann nicht weiter, wenn ich nicht mein Inneres zerstören will; ich kann nur darum nicht weiter, weil ich weiter gehen nicht wollen kann. Hier liegt dasjenige, was dem sonst ungezähmten Fluge des Räsonnements seine Grenze setzt, was den Geist bindet, weil es das Herz bindet; hier ist der Punkt, der Denken und Wollen in Eins vereinigt, und Harmonie in mein Wesen bringt. 

Ich könnte an und für sich wohl weiter, wenn ich mich in Widerspruch mit mir selbst ver-setzen wollte; denn es gibt für das Räsonnement keine immanente Grenze in ihm selbst, es geht frei hinaus ins Unendliche, und muß es können; denn ich bin frei in allen meinen Äußerungen, und nur ich selbst kann mir eine Grenze setzen durch den Willen. Die Über-zeugung von unserer moralischen Bestimmung geht sonach selbst schon aus moralischer Stimmung hervor, und ist Glaube; und man sagt insofern ganz richtig: das Element aller Gewißheit ist Glaube. – So muß es sein; denn die Moralität, so gewiß sie das ist, kann schlechterdings nur durch sich selbst, keineswegs etwa durch einen logischen Denkzwang konstruiert werden." (S. 182)

"Denn es gibt keinen festen Standpunkt, als den angezeigten, nicht durch die Logik, – sondern durch die moralische Stimmung begründeten; und wenn unser Räsonnement bis zu diesem entweder nicht fortgeht, oder über ihn hinausgeht, so ist es ein grenzenloser / Ozean, in welchem jede Woge durch eine andere fortgetrieben wird." (S. 182f.)

"Indem ich jenen mir durch mein eigenes Wesen gesetzten Zweck ergreife, und ihn zu dem meines wirklichen Handelns mache, setze ich zugleich die Ausführung desselben durch wirkliches Handeln als möglich. Beide Sätze sind identisch; denn ich setze mir etwas als Zweck vor heißt: ich setze es in irgend einer zukünftigen Zeit als wirklich; in der Wirklich-keit aber wird die Möglichkeit notwendig mit gesetzt. Ich muß sonach auch das zweite, seine Ausführbarkeit annehmen: ja es ist hier nicht eigentlich ein erstes und ein zweites, sondern es ist absolut Eins; beides sind in der Tat nicht zwei Akte, sondern ein und eben-derselbe unteilbare Akt des Gemüts." (S. 183)

"Jene Annahme ist unter Voraussetzung des Entschlusses, dem Gesetze in seinem Innern zu gehorchen, schlechthin notwendig; sie ist unmittelbar in diese Entschlusse enthalten, sie ist selbst dieser Entschluß." (ebd.) 

"Ich muß schlechthin den Zweck der Moralität mir vorsetzen, seine Ausführung ist mög-lich, sie ist durch mich möglich, heißt, zufolge der bloßen Analyse: jede der Handlungen, die ich vollbringen soll, und meine Zustände, die jene Handlungen bedingen, verhalten sich, wie Mittel zu dem mir vorgesetzten Zwecke."  (S. 184)

"Der Zwang, mit welchem der Glaube an die Realität derselben sich uns aufdringt, ist ein moralischer Zwang; der einzige, welcher für das freie Wesen möglich ist." (S. 185)

"Unsere Welt ist das versinnlichte Materiale unserer Pflicht; dies ist das eigentlich Reelle in den Dingen, der wahre Grundstoff aller Erscheinung. Der Zwang, mit welchem der Glaube an die Realität derselben sich uns aufdringt, ist ein moralischer Zwang; der einzige, welcher für das freie Wesen möglich ist." (S. 185)

"Der wahre Atheismus, der eigentliche Unglaube und Gottlosigkeit besteht darin, daß man über die Folgen seiner Handlung klügelt, der Stimme seines Gewissens nicht eher gehor-chen will, bis man den guten Erfolg vorherzusehen glaubt, so seinen eigenen Rat über den Rat Gottes erhebt, und sich selbst zum Gotte macht." (S. 185) 

"Der eben abgeleitete Glaube ist aber auch der Glaube ganz und vollständig. Jene lebendige und wirkende moralische Ordnung ist selbst Gott; wir bedürfen keines anderen Gottes, und können keinen anderen fassen." (S. 186)

"Es ist gar nicht zwei/felhaft, sondern das Gewisseste, was es gibt, ja der Grund aller ande-ren Gewißheiten, das einzig absolut gültige Objektive, daß es eine moralische Weltordnung gibt, daß jedem vernünftigen Individuum seine bestimmte Stelle in dieser Ordnung ange-wiesen, und auf seine Arbeit gerechnet ist; daß jedes seiner Schicksale, inwiefern es nicht etwa durch sein eigenes Betragen verursacht ist, Resultat ist von diesem Plane; daß ohne ihn kein Haar fällt von einem Haupte, und in seiner Wirkungssphäre kein Sperling vom Dache; daß jede wahrhaft gute Handlung gelingt, jede böse sicher mißlingt, und daß denen, die nur das Gute recht lieben, alle Dinge zum Besten dienen müssen." (S. 187f.) 

Es ist eine erklügelte, ersonnene, erschulmeisterte, erfundene Gewissheit, an der nichts un-mittelbar und alles künstlich ist. Sie ist nicht überwältigend, man kommt mit Verstandes-gründen ohne weiteres dagegen an. Dass Jacobi nicht bereit war, darin überhaupt einen Glauben zu erkennen, ist ihm nicht zu verdenken. Aus einem 'intellektuellen Gefühl' indes auf etwas wirklich Seiendes zu schließen, war Fichte auch nicht möglich, und so kehrte er zur Konstruktion einer moralischen Weltordnung als der Wurzel der Vernunft zurück - und unter Jacobis Fittich. Freilich zum Preis einer noch gewaltsameren Künstelei.

4. 5. 14

 
Nota II. - Inzwischen weiß ich es besser. Das intellektuelle Gefühl hat Fichte nicht erst er-sonnen, um seinen konstruierten Vernunftgott einzuschmuggeln. Es kam in den Vorlesun-gen nova methodo bereits mehrfach vor im Zusammenhang mit dem pp. Denkzwang, dem sich die Vernünftigen unterworfen fühlen - sic -, wenn sie finden, dass sie ein Urteil nur so und nicht anders fällen konnten; sofern... ja, sofern sie nicht mutwillig die Vernunft in den Wind schlagen wollten! Letzteres steht ihnen jederzeit frei, doch sie können es nicht tun, ohne es zu fühlen.

Dass Fichte das intellektuelle Gefühl hingegen in Anspruch nahm, um seine erkünstelte göttliche Weltregierung glaubhaft zu machen, war ein fauler Trick.
 24. 1. 22
 
 
Nota III. - Ach, der eigentliche Trick Fichtes ist hier ein semantischer. An Stelle der sonst üblichen 'intelligiblen' Welt setzt er eine 'übersinnliche' Welt. Das ist ein rhetorischer Kniff. Bei der intelligiblen Welt musste man erst einen Moment nachdenken: Gemeint war ja ein Gegensatz zur sinnlichen; wieso nicht gleich eine 'über'sinnliche? Weil der Akzent nicht darauf liegt, dass die intelligible Welt nicht sinnlich, sondern dass die sinnliche Welt nicht intelligibel ist! Durch 'das Ding' (gar an sich) kann man nicht hindurchsehen, das ist der punctum knaxi. Durch die intelligible Welt kann man das, denn man hat sie selber gemacht. Ja, und dieses ist wahr: Die Idee der sittlichen Pflicht haben wir allerdings selber gemacht.
 
Doch genau das wollte Fichte an dieser Stelle ja nicht sagen. Die Sittlichkeit gebietet indi-viduell - im gegebenen Fall der gegebenen Person. Gesetze sind der Moral durchaus ent-gegen. Eine moralische Ordnung der Welt kann er an den Haaren nicht herbeiziehen. Wenn er könnte, möchte er daraus seinen begreifbaren Gott konstruieren, aber grade das geht nicht.
 
Nota IV. - Als Konsequenz hätte er allerdings den Atheismus postulieren müssen, da hatte die großherzoglich-weimarische Regierung ganz Recht. Und Jacobi hatte Recht, als er an den erkünstelten Vernunftgott nicht glauben wollte.  JE


Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE

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