Montag, 31. März 2025

Das gesellschaftliche Bedürfnis und die notwendige Arbeit.

berlinonline                                                                                    aus Marxiana

Damit eine Waare zu ihrem Marktwerth verkauft wird, d. h. im Verhältniß zu der in ihr enthaltnen gesellschaftlich nothwendigen Arbeit, muß das Gesammtquantum gesellschaft-licher Arbeit, welches auf die Gesammtmasse dieser Waarenart verwandt wird, dem Quan-tum des gesellschaftlichen Bedürfnisses für sie entsprechen, d. h. des zahlungsfähigen ge-sellschaftlichen Bedürfnisses. Die Konkurrenz, die Schwankungen der Marktpreise, die den Schwankungen des Verhältnisses von Nachfrage und Zufuhr entsprechen, suchen beständig das Gesammtquantum der auf jede Waarenart verwandten Arbeit auf dieses Maß zu redu-ciren. .../

Producirt ferner einer wohlfeiler und kann er mehr losschlagen, sich größren Raums vom Markt bemächtigen, indem er unter dem laufenden Marktpreis oder Marktwerth verkauft, so thut er es, und so beginnt die Aktion, die nach und nach die andren zwingt, die wohlfei-lere Produktionsart einzuführen, und die die gesellschaftlich nothwendige Arbeit auf ein neues geringres Maß reducirt. Hat eine Seite die Oberhand, so gewinnt jeder, der ihr ange-hört; es ist als hätten sie ein gemeinschaftliches Monopol geltend zu machen.
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Das Kapital III, MEGA II.15; S. 192, 194 [MEW 25, S. 202, 204] 

 

  

Samstag, 29. März 2025

Es gibt kein Kapital.

                                                                     zu Marxiana 

"Es gibt" gar kein Kapital. Was 'es gibt', sind Werte in Form von Tausch- oder Produk-tionsmitteln, über die Personen unter gegebenen Umständen dieses oder jenes verfügen. Auf das, was sie tun, kommt es an - und auf die Umstände.

Es gibt Gegenstände und es gibt Menschen, die mit ihnen etwas anfangen. Zu Kapital werden die Gegenstände durch das, was sie mit ihnen anfangen - und durch das, was sie, vermittelt durch die Gegenstände, mit einander anfangen.

Im Begriff ist eine Tätigkeit als Ruhe dargestellt.
14. 11. 19 

  
Kapital ist keine Sache, sondern ein Verhältnis zwischen tätigen Menschen.
Ein Verhältnis ist keine Sache, sondern tätige Menschen verhalten sich - so oder anders.

Oder, mit Marx zu reden, Kapital "ist", was immer als solches fungiert; solange es als solches fungiert. 


 

Nicht Wille, sondern Einbildungskraft...

                                                             zu  Philosophierungen

[Der Wille ist nicht das oberste Princip der Bestimmung des Subjects zu Vorstellungen sondern diese haben ihr Spiel der Einbildungskraft für sich im Traume]
...
Nothwendigkeit der Träume 
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Kant, Opus postumum, 1. Konvolut, S. 065; 060



Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE

Freitag, 28. März 2025

Das Ich ist zuerst unendlich, aber die Welt wird aus endlichen Einzelnen zusammengesetzt.

                                          zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftktitik

Durch dieses reine Denken wird das NichtIch Substanz, aber anders, als es oben das Ich wurde. Da wurde nur die Begrenztheit herbeigeführt, das Materielle war schon, und dies wurde durch das materielle Denken begrenzt, das schon vorhandene Mannigfaltige. Aber hier ist schon die Begrenztheit, und es wird nur das durch sich selbst Bestehende herbeige-führt.

In der Deduktion hebt das Bewusstsein von mir selbst an als dem Bewusstsein eines Un-endlichen, und nur dadurch, dass / ich das Unendliche nicht fassen kann, dadurch, dass sich mit der unendlichen Anschauung die Endlichkeit des empirischen Denkens verknüpft, wer-de ich mir zum Endlichen.

Umgekehrt, das Bewusstsein der Welt geht ja nicht aus von der Unendlichkeit, sondern von der Endlichkeit; meiner werde ich mir ganz bewusst, der Welt aber nicht als einer ganzen Welt, sondern einzelner Objekte. Ich fasse meine Begrenztheit auf, das die Absolutheit in sich Tragende kommt erst durch die Idee hinzu. Der Mensch des gemeinen Bewusstseins wohl findet sich ganz, die Welt aber nicht ganz, der Begriff des Universums wird erst all-mählich zusammengesetzt.
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 222f.



Nota I. - Darum kann das empirische Denken nur diskursiv sein, weil es eines an das andere knüpfen muss; was es wiederum nur darum kann, weil es sich selbst als ein unendlich Be-wegtes vorkommt.

20. 8. 15

Nota II. - In der Deduktion, d. h. dem 'zweiten Gang' der Wissenschaftslehre, komme ich zunächst als ein Unendliches vor; nämlich dem Philosophen. Der Mensch des gemeinen Be-wusstseins - also auch der Philosoph, sofern er nicht auf dem Katheder steht - dagegen fin-det sich vor als ein Ganzes, nämlich ein Begrenztes. Das Ich als Substanz, als das die Abso-lutheit in sich Tragende, kommt erst durch die Idee hinein.

Ist es so gemeint, oder bin ich zu banal?
JE,
23. 4. 17.

 

 

Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE

Donnerstag, 27. März 2025

Meiner werde ich mir ganz bewusst, der Welt aber nicht.

planetarium-hamburg;       aus Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Durch dieses reine Denken wird das NichtIch Substanz, aber anders, als es oben das Ich wurde. Da wurde nur die Begrenztheit herbeigeführt, das Materielle war schon, und dies wurde durch das materielle Denken begrenzt, das schon vorhandene Mannigfaltige. Aber hier ist schon die Begrenztheit, und es wird nur das durch sich selbst Bestehende herbei-geführt.

In der Deduktion hebt das Bewusstsein von mir selbst an als dem
[sic] Bewusstsein eines Unendlichen, und nur dadurch, dass / ich die Unendlichkeit nicht fassen kann, dadurch, dass sich mit der unendlichen Anschauung die Endlichkeit des empirischen Denkens ver-knüpft, werde ich mir zum Endlichen. 

Umgekehrt, das Bewusstsein der Welt geht ja nicht aus von der Unendlichkeit, sondern von der Endlichkeit. Meiner werde ich mir ganz bewusst, der Welt aber nicht als einer ganzen Welt, sondern einzelner Objekte. Ich fasse meine Begrenztheit auf, das die Absolutheit in sich Tragende kommt erst durch die Idee hinein.  

Der Mensch des gemeinen Bewusstseins wohl findet sich ganz, die Welt aber nicht ganz, der Begriff des Universums wird erst allmählich zusammengesetzt. Das Ich als Substanz kommt dadurch zu Stande, dass das ideale Denken begrenzt wird, und das Wesen des Ich besteht daher bloß in Tätigkeit, das NichtIch aber dadurch, dass das reelle Denken vergei-stert wird, dann ist es Sein, dessen Wesen nur in Ruhe besteht.
_______________________________________________________________________J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 222f. 


Nota I. - In der Deduktion, d. h. dem 'zweiten Gang' der Wissenschaftslehre, komme ich zunächst als ein Unendliches vor; nämlich dem Philosophen. Der Mensch des gemeinen Bewusstseins - also auch der Philosoph, sofern er nicht auf dem Katheder steht - dagegen findet sich vor als ein Ganzes, nämlich ein Begrenztes. Das Ich als Substanz, als das die Absolutheit in sich Tragende, kommt erst durch die Idee hinein. - Ist es so gemeint, oder bin ich zum banal?

23. 4. 17

Nota II. - Nein, nicht zu banal, sondern unaufmerksam: 'Der Mensch überhaupt', nämlich der des gemeinen Bewusstseins, kommt sich anfangs als ein Unbegrenztes vor. 'Das aber kann er nicht fassen': Wieso will, wieso muss er es fassen?  - Da hat er ja Recht: 'die Welt' kommt einem nicht als ein unendliches Ganzes vor, denn das wäre völlig unanschaulich, sondern als ein (zwar) unendlicher Raum voller mannigfaltiger, aber endlicher Objekte. Die verschaffen ihm das Gefühl seiner Begrenztheit, hab ich Recht?
JE, 21. 1. 22

Mittwoch, 26. März 2025

Das Ich ist unaufhörlich im Werden.

Sisyphus  F. X. Stöber                                 aus Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

II. Durch jenes Setzen einer freien Tätigkeit wird die Sinnenwelt zugleich bestimmt, d. i. sie wird mit gewissen unveränderlichen und allgemeinen Merkmalen gesetzt. 

Zuvörderst - der Begriff von der Wirksamkeit des Vernunftwesens ist durch absolute Frei-heit entworfen; das Objekt in der Sinnenwelt als das Gegenteil derselben ist also festgesetzt, fixiert, unabänderlich bestimmt. Das Ich ist ins unendliche bestimmbar; das Objekt, weil es ein solches ist, auf einmal für immer bestimmt. Das Ich ist, was es sei, im Handeln, das Ob-bjekt ist Sein. Das Ich ist unaufhörlich im Werden, es ist in ihm gar nichts Dauerndes; das Objekt ist, so wie es ist, für immer; ist, was es war und was es sein wird. Im Ich liegt der letzte Grund seines Handelns; im Objekt der seines Seins: denn es hat weiter nichts als Sein.
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J. G. Fichte, Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, SW Bd. III, S. 28


Nota I. - Das Ich 'ist' wesentlich nichts als seine prädikative Qualität, und diese Qualität ist nicht, als wenn sie wirkt.
19. 12. 18  

Nota II. - Es hört auf, sobald sein Leib aufhört, denn dann kann es nicht mehr wirken.
JE 



Dienstag, 25. März 2025

Zum Verstehen zwingen.

F. X. Messerschmidt  zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Wissenschaft, schrieb ich gelegentlich, sei das schließlich gefundene Mittel, den Andern zum Einverständnis zu zwingen. Dem bleibt hinzuzufügen: das gilt in einer Welt, in der die Geltung von Vernunft verbindlich ist.

Zuerst bildete Vernunft sich aus als Völkerrecht, begründet in einem fiktionalen Natur-recht, dem das Individuum zugrundegedacht war.

So geschehen in der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts, als das Zeitalter der Aufklärung begann.

Was als wissenschaftliche Revolution der Neuzeit gilt, war erst auf dieser Grundlage mög-lich geworden: Im öffentlichen Verkehr - nur um den geht es - hat Vernunft zu herrschen. 

*

Versteh ich nicht. Erklär's mir!

Das setzt voraus, dass der Andre vernünftiger Einrede zugänglich ist. Wenn nicht, hätte er ebensogut sagen können: Will ich gar nicht wissen. Das wäre zwar sein gutes Recht. Das gute Recht aller andern wäre aber, ihn seither aus dem öffentlichen Verkehr auszuschließen.

Die Wissenschaftslehre, die den Anspruch auf uneingeschränkte Geltung doch im Namen führt, gibt unumwunden zu, niemanden überzeugen zu können, der es nicht will. Sie redet von der Begründung der Vernunft, und also kann sie den Fragesteller auf Vernunft nicht festlegen, da sie selber nach ihr fragt. Sie kann vernünftigerweise von niemandem verlangen, von der Vernunft, und sei es nur versuchsweise, Abstand zu nehmen: Er kann ihm nicht einmal versprechen, dass er am Schluss Gelegenheit findet, zu ihr zurückzufinden! 

Ihr Vortrag setzt voraus, dass der Andere bereit ist, sich mit ihr auf ein Abenteuer einzu-lassen. Kein Wunder, dass sie bis heute nicht viele Befürworter gefunden hat. Man riskiert ja, einsam zu werden.

 

 

Freiheit ist unendliche Annäherung.

                                 aus Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Das Anschauende als solches ist gebunden, es folgt nur einem andern nach, das realiter Tä-tige ist absolut frei, es muss mit absoluter Freiheit sich einen Begriff entwerfen, dies heißt einen Zweckbegriff, ein Ideal, von dem man nicht behauptet, dass ihm etwas entspreche, sondern dass ihm zufolge etwas hervorgebracht werden soll. 

Wir können ein freies Handeln nur denken als ein solches, das zufolge eines entworfenen Begriffes vom Handeln geschieht; wir schreiben also dem praktischen Vermögen Intelli-genz zu. Freiheit kann nicht ohne Intelligenz gedacht werden; Freiheit kann ohne Bewusst-sein nicht stattfinden. Absprechen des Bewusstseins und Absprechen der Freiheit sind eins, ebenso Zusprechen des Bewusstseins und Zusprechen der Freiheit. Im Bewusstsein liegt der Grund, dass man mit Freiheit handeln kann.
_______________________________________________________________________J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 53


Nota. - Ich mag mein ganzes Leben mit Bestimmen und unendlichem Annähern verbracht haben – so weit die Strecke immer sei, die ich selber zurückgelegt habe, so wenig näher ist mir das Unendliche gerückt, so wenig bestimmter ist mir das Unbestimmbare geworden.

Hier hat Fichte das andre Ende seines 'Systems' bereits ausgemacht und 'bestimmt': be-stimmt nämlich als unbestimmt; unendlich bestimmbar und eo epso un bestimmbar. Das System ist keine geschlossenen Kugel, sondern ein dynamischer Prozess (von procedere), er hat seinen Anfang in der 'intellektuell angeschauten' Tathandlung und seinen schlechthin unerreichbaren Fluchtpunkt im Ideal eines Zweckes-überhaupt, eines Zwecks der Zwecke; ein dynamischer Prozess ohne Ende.

Fichtes nachgeschobener Einfall von einem erfüllten Endzweckeinem gedachten Zustand, in dem 'alle pflichtgemäßen Handlungen getan' wären, indem das Wollen beendet ist und der uns an eine göttliche Weltregierung glauben lassen soll, ist in seinem System ein absolu-ter Widersinn. Er ist eine 'abgeschlossene Freiheit' – das ist nicht paradox, sondern absurd. Recht hat Fichte nur in diesem Punkt: Da endigt sich alles Wissen, da müsste man (mit Augustinus) glauben.
JE, 12. 12. 15
 
 

Montag, 24. März 2025

An die Freiheit nur lässt sich was anknüpfen.

André Kertész                         zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Auf die Anschauung Y soll ich reflektieren in X; soll diese Anschauung Y meine sein, so muss ich darauf reflektieren in Z, auf diese in einer Anschauung V. Dies ist nun wichtig, so gewiss eine freie Anschauung ist, so gewiss ist Anschauung des Ich mit verknüpft. 

Ich schaue mich an als anschauend; dadurch werde ich mir selbst ich
[sic]; dies kann nun nicht sein, ohne dass ich mich auch setze als gebunden, denn dadurch erhalte ich erst Halt-barkeit für mich; und so sieht man die Notwendigkeit ein, mit der Anschauung X die An-schauung Y zu verbinden. 

So erhält alles bisher Gesagte erst durch die Freiheit Verständlichkeit und Haltbarkeit: an die Freiheit nur lässt sich etwas anknüpfen.
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 99


Nota I. 'Erst durch die Freiheit': Frei ist immer das Reflektieren. Das, worauf reflektiert wird, ist gegeben, ist das, was an (der Tätigkeit des) Ich das Begrenzte und Gebundene ist; und dies auf jeder Stufe der Reflexion neu. Freiheit ist kein Zustand, sondern der Modus des Tätigseins – welcher immer wieder unterbrochen, welches immer wieder aufgehalten wird durch die immer wieder neuen Widerstände von Seiendem.
6. 12. 15

Nota II. - Nur an Tätigkeit lässt sich etwas anknüpfen: Nur durch den Tätigen. An seine reale Tätigkeit des Anschauens/Vorstellens knüpft er an die ideale Tätigkeit des Reflektie-rens; als Reflektierenden schaut er sich wiederum an, und das Anschauen ist immer wieder ein Bilden und Qualifizieren; und so weiter: So wird Entwicklung möglich - anders als in der Logik; die kann immer nur gegebene Begriffe mit andern gegebenen Begriffen kombi-nieren.
JE, 16. 1. 22



Sonntag, 23. März 2025

Anthropologie des Ästhetischen.

       aus Philosophierungen zu öffenttliche Angelegenheiten, zu Geschmackssachen 

Ästhetische Betrachtung ist Anschauung gegebener Verhältnisse. Sie geschieht ohne andere Absicht als eben die: Verhältnisse anzuschauen.

Ob sie eine natürliche (primäre) oder eine künstliche (sekundäre) ist, hängt davon ab, ob 'der Mensch' als ursprünglich absichtsvoll oder als ursprünglich betrachtend aufgefasst wird. Das ist so simpel nicht,
wie es scheint. Denn der ursprüngliche Mensch lebte mit seiner Um-welt im Einklang, mit ihr hatte er natürlichen Stoffwechsel, aber darüber hinaus gehende Zwecke setzte er sich nicht. Die semantische Falle: In diesem Zustand war er ursprünglich, aber noch kein Mensch. Die Hominisation war der Prozess, in dem der Mensch seinen ur-sprünglichen Naturzustand verließ und sich in der Fremde Zwecke setzen musste.

Viel weiter als das sich Darbietende abzuweiden, reichten seine frühesten Zwecke aber nicht. Noch heute verbringen die wenigen überlebenden und in unwirtliche Gegenden abgedrängten Jäger-und-Sammler-Völker weniger Zeit mit dem Nahrungserwerb als ein Bürger der Industriegesellschaft. Ihr Leben ist noch keineswegs von morgens bis abends "verzweckt", Muße haben sie reichlich. Hätten unsere Vor-fahren nicht durch verwundertes Betrachten der Erscheinungen ihren Gesichtskreis erweitert, hätten wir nie Gelegenheit be-kommen, uns über Erkennen und Anschau-en Gedanken zu machen.



Doch die Erfindung der Arbeit wurde zu einem Flaschenhals. Die Zeit wurde knapp, der Horizont wurde eng. Das müßige Betrachten wurde zum Privileg der Herrschenden, und weil sie, wenn sie nicht Krieg führten, nichts besseres zu tun hatten, konnten sie es kultivie-ren.

Da sind wir nun. Zweckhaftes Erkennen und uninteressiertes Anschauen haben sich ge-trennt und unabhängig von einander fortentwickelt. Auf der einen Seite die Industrie, auf der andern die Kunst. Aber im wirklichen Leben nehmen sie keineswegs denselben Rang ein. Der Mensch in der Arbeitsgesellschaft ist in erster Linie absichtsvoll, Betrachten ist ein Luxus, den er sich allenfalls nach getaner Arbeit leisten kann. Oder weil er den herrschen-den Klassen angehört und andere für sich arbeiten lässt. Das Ästhetische ist eine Sache der Reichen.

Mit der Industrie hat jeder zu tun, wenn nicht produktiv, dann wenigstens als Konsument. Aber die Kunst ist eine Sache von wenigen für wenige. Das konnte sie nur bleiben, solange ästhetische Betrachtung ein Privileg war, weil die große Masse weder Zeit noch Geld dafür hatte. Heute hat die Masse Zeit und Geld; nicht viel, aber sie ist es eben eine Masse. Die Kulturindustrie will Geld verdienen und nicht die Menschheit missionieren, ästhetische Maßstäbe vertritt sie selbst nicht. Aber Künstler müssen auch Geld verdienen. Je mehr von ihnen konkurrieren, umso vielfältiger die Qualitäten und umso mehr Chancen für jede. Es kann eigentlich nicht ausbleiben, dass sich der Geschmack der großen Masse in dem wach-senden Maße, wie er sich nun betätigen kann, differenziert und individualisiert. Auf die Dauer muss eine Anschatzung, muss ein Wachstum stattfinden.

Zugleich dringen ästhetische Gesichtspunkte immer tiefer in die industrielle Produktion. Was immer hergestellt wird - irgendeine Form, irgendeine Farbe muss es haben. Ob es Auswirkungen auf ihren Gebrauchswert hat, können nur die entscheiden, die ihren Tausch-wert auslegen sollen. Ihre Bedürfnisse sind nichts anderes, als die Ansprüche, die sie stel-len. 

*

Am Anfang war das Vermögen des Menschen eins. Die frühesten Wildbeuter werden ihre Zeit zwischen absichtsvollem Jagen und absichtsvollem Sammeln und absichtsloser Be-trachtung ganz zufällig geteilt haben, wie sich's eben ergab. Am ehesten bietet sich noch das Sammeln zu Planung und Regulierung an: Der Ackerbau ist aus dem Sammeln entstanden. Von hier aus griff der Gesichtspunkt der Nützlichkeit auf immer mehr Bereiche der - im selben Maße vergesellschafteten - menschlichen Tätigkeit über, die ganze Welt wurde zu einem Horizont von Absichten. Nur an der obersten wohlhabendsten Spitze fand die ab-sichtslose Betrachtung eine Zuflucht; wo sie sich freilich auch zu gebildetem Feinsinn spe-zialisierte: Die Kunst wurde - neben dem ebenfalls privilegierten Wissen - zu einer gesell-schaftlichen Instanz.

Und so weiter, siehe oben. Je mehr Geschmack und Nutzen ineinander verschwimmen, umso geringer wird der Unterschied zwischen Kunst und Industrie (und übrigens zwi-schen Spiel und Arbeit). Es wird noch lange dauern, bis er in der Wirklichkeit schwindet. Doch die Begriffe werden's nicht hindern. 

24. 6. 18

Samstag, 22. März 2025

Animal transcendens.

mzibo.net                                                       aus Philosophierungen

A und O der Philosophie: Der Mensch ist das einzige Tier, dass sich mit seinem Dasein nicht begnügen kann. Es füllt ihn nicht aus, weil er das einzige Lebewesen ist, das nicht (mehr) an seinem angestammten Platz lebt, wo er hingehört und der ihm seine Bestimmung vorgibt, die er nur noch zu erfüllen hat. Er lebt in einer Welt, die keine Grenzen hat, die er ausfüllen könnte.

In der Welt fühlt er sich ständig unterwegs und nie an seinem Platz. Der eine kommt sich als geworfen vor, der andere als ausgesandt; und keiner aufgehoben. Dazwischen spielt sich alle Philosophie ab.

Das A selber ist noch kein philosophisches Problem, sondern ein entwicklungsgeschichtli-cher Sachverhalt.

aus e. Notizbuch, Frühsommer 09


Weitergehen müsste es mit O: der sekundären Freisetzung des Menschen durch das Ende der industriellen Zivilisation in der digitalen Revolution; dazwischen liegt die selbstgebaute Umweltnische der Arbeitsgesellschaft. - Soweit die anthropologische Basis allen Philoso-phierens.


Es beginnt mit der Frage, wohin. Darauf folgen viele - erst mythische, dann religiöse, schließlich vernünftige - Antworten, doch selbst die vernünftigen Antworten können der Kritik schließlich nicht standhalten. Und am Schluss steht doch wieder nur die Frage: wo-hin. Der einzig positive Ertrag der Kritik ist der: Nach dem Wohin ist nicht in der Welt zu suchen, sondern findet sich mit dem Gehen selbst.

29. 10. 14 


Ach, der Weg ist das Ziel? Das wusste man vorher, das ist nicht originell. - Nein, ist es nicht. Nach der Kritik wissen wir aber, dass es nicht nur anders nicht sein kann, sondern dass es eine Sache unserer Freiheit ist, was wir daraus machen. Und da gibt es eigentlich nur drei Möglichkeiten. Nihilistisch sind sie alle: Die eine, gottergebene, fügt sich untätig in ihr Los und harrt der Dinge, die da kommen. Das ist der religiöse Weg. Die zweite, existenzialisti-sche, fühlt sich geworfen und ist stets auf das Schlimmste gefasst. Sie ist pathetisch und selbstbezogen und posiert mehr als dass sie handelt. Die dritte ist der artistische. Sie schafft der Schönheit halber, weil sie sich selbst begründet, und weil gewissere Gründe nun mal nicht vorliegen.

12. 10. 18
 

Anders als so lässt sich die Transzendentalphilosophie nicht rechtfertigen. Doch immerhin: So lässt sie sich rechtfertigen. Das ist mehr als andere Denksysteme von sich behaupten können: nämlich dass sie den Abgrund zwischen Sein und Sinn überbrückt.

 

 

Das Bewusstsein ist gleich einem Zirkel.

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§ 19                                                                                     zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Es liegt auf beiden Seiten der Synthesis, die unsre Deduktion und alles Bewusstsein umfasst, etwas höchstes, letztes Bestimmbares. Dieses haben wir an beiden Seiten der Hauptsynthe-sis angeknüpft, und unsere Synthesis ist also erschöpft - von einer Seite die Vernunftwelt, von der anderen die Welt der Objekte. Nun ist, da die Hauptsynthesis eins sein soll, voraus-zusehen, dass beides weiter durch einander bestimmt sein wird. /

In der Mitte liegt A, an den Seiten β und B, an der einen γ, an der anderen G. Das Ganze sieht aus wie ein Fachwerk, wie eine Reihe, aber das Bewusstsein ist gleich einem Zirkel; γ und G also müssen in einander greifen und durch einander bestimmt werden. Nur durch diese schließen wir den Zirkel und vollenden unsere Aufgabe. Beide müssen in einander ein-greifen; oder bestimmter, beide müssen durch einander bestimmt werden.

An diese Bestimmung können wir nicht unmittelbar gehen, ohne uns zu verwirren, wir müssen unsere Untersuchung tiefer fassen. Fichte geht deshalb in die Haupttehesis zurück zu dem im vorigen Paragraphen aufgestellten Ich, an welches alles Mannigfaltige dieser Untersuchung anzuknüpfen ist.
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 226f.

 

 

Der Begriff des Seins ist kein ursprünglicher, sondern ist von der Tätigkeit abgeleitet.

                                 aus Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik                                               ...