zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete VernunftkritikUnmittelbar ist das Gefühl Gegenstand der Anschauung nicht, auch kann das Gefühl nicht willkürlich erneuert werden, wie die Vorstellung eines Objekts erneuert werden kann: Ein Gefühl ist kein Ding, kein zu Konstruierendes, das beschrieben werden kann. Es ist ein Zustand; es ist kein Substanzielles, sondern ein Akzidens einer Substanz. Aber das Gefühl scheint mit dem Objekt ganz verknüpft zu sein, es kann nicht gefühlt werden, ohne es auf ein Objekt zu beziehen. Dies muss einen Grund haben, und wir werden den Zusammen-hang zwischen Gefühl und Objekt aufsuchen.
Hier ist der Punkt, wo
ideale und reale Tätigkeit sich trennen und wo eine nur beschrieben
werden kann, indem man sie auf die andere bezieht, denn beide stehen im
Wechsel. - Im Gefühle kommt das ganze unzerteilte Ich vor; sehen können
wir das Ich nicht, aber fühlen.
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, S. 78
Nota. - 'Tätigkeit' ist die erste Bestimmung des Wollens, das ein bloßes Noumenon ist und als solches nur vorausgesetzt wurde, um Tätigkeit 'möglich' zu machen: ein Erklärungs-grund. Realiter ist wollen sinnlich, indem es in der Sinnenwelt nämlich als Tätigkeit vorge-funden wird, und nur als ein Tätiges 'gibt es' ein Ich. Realiter gibt es den oder das Tätige, das Ich ist seinerseits bloß ein Noumenon, das nicht vorfindlich ist und auf das lediglich geschlossen wird, um... das tätige Individuum zu erklären.
Es handelt sich nicht um einen Tatsachenbericht, sondern um eine Sinnbehauptung. In-sofern ist die Wissenschaftslehre an ihrem Grund eine Anthropologie.
*
Die Wissenschaftslehre soll ein System sein, aber dessen Grund kann nicht in ihm liegen, denn dann wäre er nicht sein Grund. Sie ist durchgeführte Vernunftkritik, sie will die Grün-de für unsere Erfahrung prüfen. Und unsere Erfahrung beruht auf unseren Sinnen. Es muss noch etwas hinzukommen, wie am kritischen Beispiel der Kausalität erhellt, die in histori-scher Wirklichkeit das Kriterium der Vernünftigkeit ist: 'Nichts geschieht je ohne Ursache.' Post hoc heißt nicht propter hoc, wohl wahr. Aber hoc, egal ob post oder propter, kann nicht anders als durch sinnliches Erleben bestimmt werden - lat. sensus, auf Deutsch Ge-fühl.
Ohne Begriff, der hinzutritt, könnte es nichts bedeuten, auch das ist wahr. Aber es kann etwas bedeuten nur, wenn es als dieses und kein anderes bestimmt wurde. Das aber wäre ein erster Schritt übers Fühlen hinaus: anschauen als dieses und als meines. Das ist "der Punkt, wo ideale und reale Tätigkeit sich trennen". Hier zerfällt bzw. verdoppelt sich, was bislang ein und dieselbe Tätigkeit war. Es wird "quantifizierbar", was bei F. nichts anderes bedeutet als teilbar, wobei es auf die jeweilige Menge nicht ankommt, denn Tätigkeit ist als Noume-non unbestimmt und daher unbegrenzt.*
Das jeweilige 'Quantum' von realer und idealer Tätigkeit wird er von nun an "Trieb" nen-nen, wobei er nicht ahnen konnte, dass die Vokabel im Gefolge von Schopenhauer/Freud eines Tages eine ungute biotische Bedeutung annehmen würde, die jenseits aller transzen-entalen Bestimmung liegt. Der heutige Leser muss versuchen, sie sich aus dem Kopf zu schlagen
*)Das Quantum der idealen Tätigkeit ist allerdings begrenzt: nämlich auf den Punkt der realen Tätigkeit, auf den sie sich gerichtet hat. Da Tätigkeit virtualiter aber unbegrenzt ist, bleibt der idealen Tätigkeit immer ein wiederum unbegrenztes 'Quantum' übrig...
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