Montag, 27. Oktober 2025

Was heißt apriori?

billiger                                                   zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik
 
Der Raum ist a priori, dies kann zweierlei bedeuten; teils lediglich durch das Vernunftgesetz, in dieser Rücksicht ist alles a priori außer das Gefühl und dessen Prädikate, teils ein vor aller Anschauung Gegebenes, ein bloß Bestimmbares, etwas, das die Anschauung erst möglich macht.
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo,
 
S. 111
 

 

Nota. - Angenommen, das System wäre fertig und die gesamte (vorgestellte) Wirklichkeit in ihm zusammengefasst: Dann könnte die Vernunft 'von oben anfangen' und alles Besondere aus ihm ableiten. "Durch das Vernunftgesetz", sagt F.bedenkend freilich, dass "es" ein sol-ches nur "gibt", inwiefern es tätig durchgeführt wird.

Die vorkantischen, hauptsächlich an Leibniz oder Spinoza orientierten rationalistischen Me-taphysiken meinten, ihr System nur auf gegebenen Begriffen ausbauen zu dürfen: Die waren apriori, und sofern sie als System dargestellt wurden, war dieses das universale Apriori.  

Da sie von der Erfahrung, um deretwillen Kant seine Kritik begonnen hatte,  gar nicht han-delten, brauchten sie aufs Gefühl nicht einzugehen. Da sie die Begriffe als Seiende auffass-ten, brauchten sie auch von der Vorstellung nicht zu reden, aus der allein sie hervorgehen können.* 

Dem orthodoxen Kantianer galt aber alles, was auf Erfahrung beruhte - also alles faktische Wissen - als das Reich des Aposteriori, dem die zwölf ordnenden Kategorien und die bei-den Anschauungsformen Raum und Zeit als ein eignes Reich zu Grunde lagen. 

Dem trat Fichte mit seinem Wortgebrauch entgegen, womit er bei besagten Orthodoxen Heiterkeit erregte, weil er, um das Faktum der Mitteilung durch das Wort zu erklären, Luft und Licht "apriori deduzieren" musste.  

Für F. ist allerdings, wenn man die Entstehung der Vernunft betrachtet, gerade das Gefühl apriori. Von ihm nimmt, mit der Anschauung als erstem Schritt, das Reflektieren oder, wie F. vorzugsweise sagt, die "ideale Tätigkeit" ihren Anfang. 

Was apriori und was aposteriori ist, hat mit dem Beschaffenheit der Dinge - 'an sich' - gar nichts zu tun, sondern richtet sich nach dem Gesichtspunkt, den man wählt - vom einen Ganzen auf das Mannigfaltige oder vom Mannigfaltigen aufs Ganze.

*) Alexander Baumgartner, dessen System Kant von seiner Kopernianischen Wende anhing, hatte ein System der Gefühle als des "unteren Erkenntnisvermögens" aufgestellt, das er philologisch korrekt als Aesthetica beschrieb, und so Generationen von Nachgeborenen in Verwirrung stürzte. Es besteht freilich, wie in dieser Richtung üb-lich, nur aus einer Aneinanderreihung von Definitionen; begründet wird nichts. 
JE  

 

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