Mittwoch, 30. April 2025

Übersinnliche Welt.

                                          zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

"Durch unseren Begriff einer übersinnlichen Welt sonach müßte jener Glaube begründet werden.

Es gibt einen solchen Begriff. Ich finde mich frei von allem Einflusse der Sinnenwelt, ab-solut tätig in mir selbst, und durch mich selbst; sonach, als eine über alles Sinnliche erhabe-ne Macht. Diese Freiheit ist aber nicht unbestimmt; sie hat ihren Zweck: nur erhält sie den-selben nicht von außen her, sondern setzt ihn sich durch sich selbst. Ich selbst und mein notwendiger Zweck sind das Übersinnliche."
J. G. Fichte, 
Über den Grund unseres Glaubens an eine göttliche Weltregierung, S. 181

...sofern ich ihn selber setze, setze ich ihn mir als notwendig - oder als mir notwendig. Kei-neswegs setze ich zwischen ihn und mich eine Welt - und bräuchte sie als Vermittlung zwi-schen uns. Der Zweck und ich sind einander unmittelbar. Dass im Zweck eine Welt vor-kommt, nämlich eine intelligible, ändert nichts an unserm Verhältnis zu einander - denn auch sie habe ich gesetzt.

Die sinnliche Welt habe ich vorgefunden, wenn ich einen Zweck und gar eine Pflicht habe, so habe ich sie in ihr. Die intelligible Welt habe ich selbst gemacht, sie ist das Maß, das ich an meine Zwecke und Pflichten anlege. Dass in ihr eine moralische Ordnung als allbereits geltend und nicht erst noch als geltend-zu-machen behauptet wird, hat er weder 'deduziert', noch ließe es der Wissenschaftslehre irgendwelche praktische Bedeutung. 

*

"Wenn von dem lediglich Intelligiblen geredet wird, ist der Gebrauch dieser und aller ver-wandten Begriffe, d. h. aller, die von dem Sehen herkommen und dasselbe weiter bestim-men, nur logisch, nicht aber reell." Rückerinnerungen..., S. 166 Daraus folgt für die Wissen-schaftslehre: "Ihr Hauptnutzen ist negativ und kritisch." ebd, S. 122

"Mittelbar, d. h. inwiefern ihre Kenntnis mit der Kenntnis des Lebens vereinigt ist, hat sie auch einen positiven Nutzen. Für das unmittelbar praktische pädagogische im weitesten Sinn des Worts: Sie zeigt, wie man die Menschen bilden müsse, um moralische, echtreli-giöse, legale Gesinnungen in ihnen hervorzubringen und nach und nach allgemein zu ma-chen. Für die theoretische Philosophie, Erkenntnis der Sinnenwelt, Naturwissenschaft ist sie regulativ. Sie zeigt, was man von der Natur fragen müsse. – Ihr Einfluß auf die Gesinnung des Menschengeschlechts überhaupt ist, daß sie ihnen Kraft, Mut und Selbstvertrauen bei-bringt, indem sie zeigt, daß sie und ihr ganzes Schicksal lediglich von sich selbst abhängen; indem sie den Menschen auf seine eignen Füße stellt." ebd, S. 123

Will sagen: Die Wissenschaftslehre hat keine positive Morallehre zu verkünden. Moralität gilt individuell und unmittelbar. Handle allezeit nach deinem eignen freien Urteil, konkreter kann man nicht sein: indem sie den Menschen auf seine eignen Füße stellt. Moralischer könnte die reelle Welt schlechterdings nicht geordnet werden.
JE  

Dienstag, 29. April 2025

Die erklügelte göttliche Weltregierung.

                                      zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Den Begriff vom intellektuellen Gefühl hat Fichte ersonnen, als er den 'Glauben an eine moralische Weltordnung' als unmittelbar gegeben glaubhaft machen wollte. -
 

Forberg hatte den Glauben an Gott als einen nützlichen Trick dargestellt, um im breiten Publikum, das für philosophische Spekulation keinen Sinn hat, Moralität zu propagieren. Hans Vaihinger hat ihn dafür gelobt und den inkriminierten Aufsatz in seinem Magnum opus in extenso abgedruckt. Und hat Fichte, der 'so weit nicht gehen wollte', darum kritisiert.

Aber ganz hatte er Fichte nicht verstanden. Dem war eine exoterische Wahrheit für die Misera plebs, der man die esoterische Wahrheit ("noch") nicht zumuten konnte, zuwider, denn aus der Misera plebs kam er selber.


In der Bestimmung des Menschen kehrt er wieder zu seiner anfänglichen Argumentation aus Der Grund unseres Glaubens zurück: Etwas wollen heiße notwendig, sich Etwas als in - irgendeiner unbestimmten - Zukunft verwirklicht vorstellen. 

"Von der Sinnenwelt gibt es sonach keinen möglichen Weg, um zur Annahme einer morali-schen Weltordnung aufzusteigen; wenn man nur die Sinnenwelt rein denkt, und nicht etwa, wie dies durch jene Philosophen geschah, eine moralische Ordnung derselben unvermerkt schon voraussetzt.

Durch unseren Begriff einer übersinnlichen Welt sonach müßte jener Glaube begründet werden.

Es gibt einen solchen Begriff. Ich finde mich frei von allem Einflusse der Sinnenwelt, absolut tätig in mir selbst, und durch mich selbst; sonach, als eine über alles Sinnliche erhabene Macht. Diese Freiheit ist aber nicht unbestimmt; sie hat ihren Zweck: nur erhält sie denselben nicht von außen her, sondern setzt ihn sich durch sich selbst. Ich selbst und mein notwendiger Zweck sind das Übersinnliche." (S. 181)


"Ich kann nicht zweifeln, sage ich, kann auch nicht einmal die Möglichkeit, daß es nicht so sei, daß jene innere Stimme täusche, daß sie erst anderwärtsher autorisiert werden müsse, mir denken; ich kann sonach hierüber nicht weiter vernünfteln, deuteln und erklären. Jener Ausdruck ist das absolut Positive und Kategorische. Ich kann nicht weiter, wenn ich nicht mein Inneres zerstören will; ich kann nur darum nicht weiter, weil ich weiter gehen nicht wollen kann. Hier liegt dasjenige, was dem sonst ungezähmten Fluge des Räsonnements seine Grenze setzt, was den Geist bindet, weil es das Herz bindet; hier ist der Punkt, der Denken und Wollen in Eins vereinigt, und Harmonie in mein Wesen bringt. 

Ich könnte an und für sich wohl weiter, wenn ich mich in Widerspruch mit mir selbst ver-setzen wollte; denn es gibt für das Räsonnement keine immanente Grenze in ihm selbst, es geht frei hinaus ins Unendliche, und muß es können; denn ich bin frei in allen meinen Äußerungen, und nur ich selbst kann mir eine Grenze setzen durch den Willen. Die Über-zeugung von unserer moralischen Bestimmung geht sonach selbst schon aus moralischer Stimmung hervor, und ist Glaube; und man sagt insofern ganz richtig: das Element aller Gewißheit ist Glaube. – So muß es sein; denn die Moralität, so gewiß sie das ist, kann schlechterdings nur durch sich selbst, keineswegs etwa durch einen logischen Denkzwang konstruiert werden." (S. 182)

"Denn es gibt keinen festen Standpunkt, als den angezeigten, nicht durch die Logik, – sondern durch die moralische Stimmung begründeten; und wenn unser Räsonnement bis zu diesem entweder nicht fortgeht, oder über ihn hinausgeht, so ist es ein grenzenloser / Ozean, in welchem jede Woge durch eine andere fortgetrieben wird." (S. 182f.)

"Indem ich jenen mir durch mein eigenes Wesen gesetzten Zweck ergreife, und ihn zu dem meines wirklichen Handelns mache, setze ich zugleich die Ausführung desselben durch wirkliches Handeln als möglich. Beide Sätze sind identisch; denn ich setze mir etwas als Zweck vor heißt: ich setze es in irgend einer zukünftigen Zeit als wirklich; in der Wirklich-keit aber wird die Möglichkeit notwendig mit gesetzt. Ich muß sonach auch das zweite, seine Ausführbarkeit annehmen: ja es ist hier nicht eigentlich ein erstes und ein zweites, sondern es ist absolut Eins; beides sind in der Tat nicht zwei Akte, sondern ein und eben-derselbe unteilbare Akt des Gemüts." (S. 183)

"Jene Annahme ist unter Voraussetzung des Entschlusses, dem Gesetze in seinem Innern zu gehorchen, schlechthin notwendig; sie ist unmittelbar in diese Entschlusse enthalten, sie ist selbst dieser Entschluß." (ebd.) 

"Ich muß schlechthin den Zweck der Moralität mir vorsetzen, seine Ausführung ist mög-lich, sie ist durch mich möglich, heißt, zufolge der bloßen Analyse: jede der Handlungen, die ich vollbringen soll, und meine Zustände, die jene Handlungen bedingen, verhalten sich, wie Mittel zu dem mir vorgesetzten Zwecke."  (S. 184)

"Der Zwang, mit welchem der Glaube an die Realität derselben sich uns aufdringt, ist ein moralischer Zwang; der einzige, welcher für das freie Wesen möglich ist." (S. 185)

"Unsere Welt ist das versinnlichte Materiale unserer Pflicht; dies ist das eigentlich Reelle in den Dingen, der wahre Grundstoff aller Erscheinung. Der Zwang, mit welchem der Glaube an die Realität derselben sich uns aufdringt, ist ein moralischer Zwang; der einzige, welcher für das freie Wesen möglich ist." (S. 185)

"Der wahre Atheismus, der eigentliche Unglaube und Gottlosigkeit besteht darin, daß man über die Folgen seiner Handlung klügelt, der Stimme seines Gewissens nicht eher gehor-chen will, bis man den guten Erfolg vorherzusehen glaubt, so seinen eigenen Rat über den Rat Gottes erhebt, und sich selbst zum Gotte macht." (S. 185) 

"Der eben abgeleitete Glaube ist aber auch der Glaube ganz und vollständig. Jene lebendige und wirkende moralische Ordnung ist selbst Gott; wir bedürfen keines anderen Gottes, und können keinen anderen fassen." (S. 186)

"Es ist gar nicht zwei/felhaft, sondern das Gewisseste, was es gibt, ja der Grund aller ande-ren Gewißheiten, das einzig absolut gültige Objektive, daß es eine moralische Weltordnung gibt, daß jedem vernünftigen Individuum seine bestimmte Stelle in dieser Ordnung ange-wiesen, und auf seine Arbeit gerechnet ist; daß jedes seiner Schicksale, inwiefern es nicht etwa durch sein eigenes Betragen verursacht ist, Resultat ist von diesem Plane; daß ohne ihn kein Haar fällt von einem Haupte, und in seiner Wirkungssphäre kein Sperling vom Dache; daß jede wahrhaft gute Handlung gelingt, jede böse sicher mißlingt, und daß denen, die nur das Gute recht lieben, alle Dinge zum Besten dienen müssen." (S. 187f.) 

Es ist eine erklügelte, ersonnene, erschulmeisterte, erfundene Gewissheit, an der nichts un-mittelbar und alles künstlich ist. Sie ist nicht überwältigend, man kommt mit Verstandes-gründen ohne weiteres dagegen an. Dass Jacobi nicht bereit war, darin überhaupt einen Glauben zu erkennen, ist ihm nicht zu verdenken. Aus einem 'intellektuellen Gefühl' indes auf etwas wirklich Seiendes zu schließen, war Fichte auch nicht möglich, und so kehrte er zur Konstruktion einer moralischen Weltordnung als der Wurzel der Vernunft zurück - und unter Jacobis Fittich. Freilich zum Preis einer noch gewaltsameren Künstelei.

4. 5. 14

 
Nota II. - Inzwischen weiß ich es besser. Das intellektuelle Gefühl hat Fichte nicht erst er-sonnen, um seinen konstruierten Vernunftgott einzuschmuggeln. Es kam in den Vorlesun-gen nova methodo bereits mehrfach vor im Zusammenhang mit dem pp. Denkzwang, dem sich die Vernünftigen unterworfen fühlen - sic -, wenn sie finden, dass sie ein Urteil nur so und nicht anders fällen konnten; sofern... ja, sofern sie nicht mutwillig die Vernunft in den Wind schlagen wollten! Letzteres steht ihnen jederzeit frei, doch sie können es nicht tun, ohne es zu fühlen.

Dass Fichte das intellektuelle Gefühl hingegen in Anspruch nahm, um seine erkünstelte göttliche Weltregierung glaubhaft zu machen, war ein fauler Trick.
 24. 1. 22
 
 
Nota III. - Ach, der eigentliche Trick Fichtes ist hier ein semantischer. An Stelle der sonst üblichen 'intelligiblen' Welt setzt er eine 'übersinnliche' Welt. Das ist ein rhetorischer Kniff. Bei der intelligiblen Welt musste man erst einen Moment nachdenken: Gemeint war ja ein Gegensatz zur sinnlichen; wieso nicht gleich eine 'über'sinnliche? Weil der Akzent nicht darauf liegt, dass die intelligible Welt nicht sinnlich, sondern dass die sinnliche Welt nicht intelligibel ist! Durch 'das Ding' (gar an sich) kann man nicht hindurchsehen, das ist der punctum knaxi. Durch die intelligible Welt kann man das, denn man hat sie selber gemacht. Ja, und dieses ist wahr: Die Idee der sittlichen Pflicht haben wir allerdings selber gemacht.
 
Doch genau das wollte Fichte an dieser Stelle ja nicht sagen. Die Sittlichkeit gebietet indi-viduell - im gegebenen Fall der gegebenen Person. Gesetze sind der Moral durchaus ent-gegen. Eine moralische Ordnung der Welt kann er an den Haaren nicht herbeiziehen. Wenn er könnte, möchte er daraus seinen begreifbaren Gott konstruieren, aber grade das geht nicht.
 
Nota IV. - Als Konsequenz hätte er allerdings den Atheismus postulieren müssen, da hatte die großherzoglich-weimarische Regierung ganz Recht. Und Jacobi hatte Recht, als er an den erkünstelten Vernunftgott nicht glauben wollte.  JE


Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE

Montag, 28. April 2025

Der Vernunftdogmatiker.

Katharina Wieland Müller        aus Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

...der Geist ist einer, und was durch das Wesen der Vernunft gesetzt ist, ist in allen vernünf-tigen Individuen dasselbe.
__________________________________________________________________
J. G. Fichte, Über Geist und Buchstab in der Philosophie
[1794], SW VIII , S. 292


Nota. - Die dogmatische Wendung in der Bestimmung des Menschen ist Fichte nicht von Jacobi eingeflüstert worden. Sie war vorbereitet in seiner von Anbeginn schwankenden Haltung zur Idee der Vernunft: Ist sie etwas erst noch zu Entwerfendes, oder ist sie ein fertiges Programm, das es allenfalls noch 'durchzuführen'  gilt? Jacobis Eingreifen hat ihn lediglich genötigt, seinem Schwanken ein Ende zu setzen.
3. 5. 14

Nota II. - Zuvor hatte es geheißen, Geist sei lediglich schaffende Einbildungskraft, eine "ursprüngliche prädikative Qualität". Dann hieß es auch, die intelligible Welt - das ist alles, was im Geist vorkommt, und dazu gehört das Ich - sei Noumenon. Und dann noch: das Intelligible entstehe überhaupt erst aus dem Versuch des Begreifens. Nehme ich den Geist als Noumenon, darf ich wohl noch sagen, er sei einer. Doch dann darf ich noch nicht von dem reden, was in ihm gesetzt sei, denn das stünde noch aus, und ipso facto hörte der Geist auf, einer zu sein, und würde zu einer Mannigfaltigkeit von Intelligenzen. 

Zu Grunde liegt ihnen eine unbestimmte ursprüngliche prädikative Qualität, aus der heraus ein Ich sich (durch Entgegensetzen) bildet - im Versuch des Begreifens. Woher da Einheit kommen könnte, bleibt im Dunkel.

*


Ich räume ein: Die Rede vom Wesen der Vernunft ist irreführend - nämlich als ob es ein solches geben könnte vor und unabhängig von der Tätigkeit der Vernunft; ihr Wesen sei eins, doch sobald sie tätig wird, unterschieden sich ihre Werke als mannigfaltige. 


Kurz zuvor (aaO, S. 288) hatte Fichte gesagt, wir müssten mit der Erfahrung unser Leben anfangen - bevor wir durch den ästhetischen Sinn zur Betrachtung um ihrer selbst willen verführt werden -, und als Bedingungen aller Erfahrung zählt Kant seine zwölf Kategorien und zwei Anschauungsformen auf. Es handelt sich da um die empirischen Grundlagen der Vernünftigkeit, und die sind für alle endlichen Intelligenzen dieselben. Doch dass sie "durch das Wesen der Vernunft gesetzt" seien, wäre eine sehr schiefe Formulierung. Aber hier steht er noch am Anfang seiner Lehrtätigkeit.
JE, 12. 9. 18



Sonntag, 27. April 2025

Alles Bewusstsein ist sinnlich. (II)

                          zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftktitik

Alles Bewusstsein ist sinnlich, es drückt aus den Akt der Intelligenz, der idealen Tätigkeit, und steht unter Gesetzen, wenigstens unterm Gesetz des Übergehens von der Bestimmbar-keit zur Bestimmtheit. Durch diese Affektion wird alles, was gedacht wird, notwendig sinn-lich.
____________________________________________________________
J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 145


Nota I. - Alles wirkliche Bewusstsein ist Bewusstsein von Wirklichem. Es ist die Vermitt-lung zwischen Ding ("an sich") und Wollen ("an sich").
29. 3. 15

Nota II.  - Vermittlung ist wohlbemerkt das Übergehen von einem zum andern. Real ist nur dieses Übergehen; Ding 'an sich' und Wollen 'an sich' sind bloße Noumena, die das Feld ein-grenzen, in dem die Wirklichkeit ihre Statt findet; nämlich eine Bedeutung.
JE, 22. 6. 22 

 

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Samstag, 26. April 2025

Alles Bewusstsein ist sinnlich. (I)

wikimedia               zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftktitik

Alles Bewusstsein ist sinnlich, es drückt aus den Akt der Intelligenz, der idealen Tätigkeit, und steht unter Gesetzen, wenigstens unter dem Gesetze des Übergangs vom Bestimm-baren zur Bestimmtheit. Durch diese Affektion wird alles, was gedacht wird, notwendig sinnlich. Der aufgezeigte Wille soll etwas Übersinnliches sein, doch soll aus ihm etwas Sinnliches folgen. Wie wird er nun mit dem sinnlichen Bewusstsein vermittelt? 

Oben wurde gesagt, dies geschähe durch ein Gefühl, weil das Gefühl das erste ist, von dem alle Handlungen des Bewusstseins ausgehen. (Oben wurde gesagt, es sei ein Gefühl des Stre-bens, des Sollens, des Forderns, der Begrenztheit, und in sofern des Nichtdürfens.) 

Gefühl überhaupt ist Äußerung der Begrenztheit im Ich, diese aber ist nicht möglich ohne Äußerung des Strebens, indem das Streben das Begrenzte ist, beides ist notwendig vereinigt. Dieser allgemeine Satz muss auch hier gelten. Hier ist nicht von Beschränkung überhaupt, sondern von der Beschränkung durch das absolut reine Wollen, das nicht von der Willkür abhängt, die Rede. Dies wäre ein Streben, eine Tendenz zum Wollen, welche kein Wollen werden kann vermöge der Beschränktheit, eine Begierde, und das Gefühl dieser Beschränkt-heit wäre, da der reine Wille kategorisch ist, das Gefühl des Nichtdürfens. 
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S .144

 

Nota. - Gefühl ist ein Gegebenes; gegeben durch ein System der Sensibilität, welches der Leib darstellt: Es ist allem Bestimmen vorausgesetzt. Nur sofern eine prädikative Qualität als ihm gleich-originär angenommen wird, ist es schlechterdings bestimmbar. Gefühlt wird der Widerstand, den Etwas einer zweckhaften Tätigkeit entgegensetzt; wird er ihr zum Ge-gen stand und wird sie zur Handlung. Werden sie wirklich. Wirklich wird die Welt, indem sie bestimmt wird. Ohne dies wäre sie bloß sinnlich und eo ipso unbestimmt. Ohne ihren Wi-derschein in einer intelligiblen Welt bliebe sie ein Chaos von bloßen Empfingungen. Und bliebe die Annahme eines Ich die Hypothese einer Dynamis ohne Energie:  Sie wäre über-flüssig.

Merke: Ein Ding bestimmen heißt, es als möglichen Gegenstand eines Zweckbegriffs auf-fassen.
JE, 21. 6. 22

Donnerstag, 24. April 2025

Kausalität kann nur begriffen, aber nicht angeschaut werden.

HRM                              zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Der Zustand meines Gefühls verändert sich, wenn ich eine Kausalität wahrnehme; es ist eine stete Fortbewegung von A zu B, in der kein Sprung, kein Hiatus ist. Wenn ich die ge/samte Masse des Gefühls als eine Linie denke, so werde ich keine zunächst liegenden Punk-te finden, die ganz entgegengesetzt werden. Nehme ich aber Teile heraus, so sind diese im Ganzen immer entgegengesetzt. 

Z. B. der Zustand des Gefühls, zufolge dessen ich annehmen muss, A sei roher Marmor, verändere sich so, dass ich sonach zufolge des Gefühls A als eine Bildsäule annehmen muss. Dies ist ziemlich unbegreiflich, allein es ist auch nicht Sache des Begreifens (des Denkens), sondern des Anschauens; und wurde nur durch die Einbildungskraft so, wie sich das bei der Deduktion der Zeit ergeben hat. 

Der Fortgang soll stetig sein, weil sonst die Einheit des Bewusstseins aufgehoben würde, und sonach bliebe das Bewusstsein, weil das Bewusstsein Einheit ist. [sic] Nun sind aber die Gefühle als solche entgegengesetzt und können im Fühlen in derselben Rücksicht nicht stattfinden. Wie soll nun dies Mannigfaltige in der Kausalität vereinigt werden? Schon oben wurde gesagt: Die Gefühle müssen auf ein in beiden Zuständen fortdauerndes Gefühlsver-mögen bezogen werden; diese Antwort bekommen wir hier wieder und bestimmter als oben; es liegt daran, dass wir unsere mannigfaltigen Vorstellungen in der Zeit in Eins fassen und uns bei allem Wechsel der Erscheinungen für dasselbe Empfindende halten.
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 127f.
 

Nota I. - Anschauen, nämlich mit den Augen sehen kann ich den Zustand A vor der Wirkung und den Zustand B nach der Wirkung x. Das x aber sehe ich nicht: In der Zeit, in dem an-schaulichen Verlauf, kommt es nicht vor. Stattdessen ist da ein Bruch, ein Hiatus, eine 0. Das vorgestellte Wirken selbst* muss hinzugedacht werden - nämlich als Begriff. Es ist dar-um nicht paradox, zu formulieren: Kausalität kommt nur im Begriff vor und nicht in der Anschauung. Doch es bedeutet beidemal dasselbe - einmal vorgestellt, das andre Mal be-griffen. 
*) Inzwischen ist es raus: Selbst der Quantensprung hat einen Verlauf und dauert in der Zeit.
6. 2. 22

Nota II. - Meine Überschrift lautete ursprünglich umgekehrt: kann nicht begriffen, sondern nur angeschaut werden. Das war natürlich ein Schreibfehler, aber sozusagen ein 'richtiger': Angeschaut wird zuerst eine Ver-änderung in der Zeit, doch begriffen wird hernach 'Kausalität'.

Im Rückblick auf den ... Eintrag [?] wäre hinzuzufügen: Einem Geschehen in der Zeit - vorher/nachher - wird eine Absicht  unterstellt: Wirkung. - Das Anthropozän hat sich im Vorstellen niedergeschlagen lange, bevor es auf der Erdoberfäche in die Wirklichkeit trat.
22. 3. 24 

Nota III. - Der Rätsels Lösung: Kausalität ist kein Erfahrungbegriff und kein Noumenon, sondern eine bloße Vorstellung, die der Kritik durch die Begriffe nicht standgehalten hat - aber ihre werktägliche Brauchbarkeit alle paar Sekunden bewährt; anders gesagt: eine Fik-tion. Es ist aber diese Fiktion, die Erfahrung möglich macht. Und ohne Erfahrung keine Vernunft.

Nota IV. - "Begriffen" wird sie irrtümlich; nämlich nur so, als ob.
JE

 

Kausalität ist Bedingung aller Erfahrung.

                                                           aus Philosophierungen

... geht es aber noch darum, den Begriff der Erfahrung unter den Begriff der Denknotwen-digkeit zu bringen. Einem, der nicht weiß, was gemeint ist, kann man 'Erfahrung' nicht er-klären: nicht aus Begriffen zusammen- setzen. Es ist wie mit der Kausalität: Begreifen kann man vorher/nachher, aber wegen muss man allbereits im Auge haben, um es anschauen zu können.

Und tatsächlich beruht alles, was wir unter Erfahrung verstehen - die Ableitung von Denk-bestimmungen aus physischen Reizen -, auf der Vorstellung von Kausalität. Und zuvor schon galt uns als Prüfstein der Vernünftig- keit, als Grundstein der Vernunft, das Gesetz von Ursache und Wirkung. Das Zeitalter der Vernunft ist dasjenige, in dem ein Jeder da-nach beurteilt wird, ob und wie weit er in der Welt nach dem Verhältnis von Ursache und Wirkung fragt.


Im wirklichen Bewusstsein des Alltagsmenschen ist Kausalität dasjenige in der Welt, das ihren Sinn ausmacht - nämlich einem gerechtfertigten Zweck dient, der seinerseits als Na-turzweck alias Weltgesetz vorgestellt wird.
10. 1. 19 

 
 
Nachtrag. - David Hume hatte gegen den Sensualismus seiner Zeitgenossen geltend ge-macht, dass das Verhältnis von Ursache und Wirkung in keiner Weise sinnlich zu erfahren sei. In Raum und Zeit gibt es nur vorher und nachher, nicht aber wegen: Das müsse man sich hinzu denken.  
 
Das war genial und verführte Kant zur Vernunftkritik.
 
Nur - irgendwie falsch ist es doch. Irgendwie erfahren wird Ursächlichkeit wohl schon. Nämlich so: Wenn ich dieses oder jenes bewirken will, muss ich dieses oder jenes tun. Das ist die Mutter aller Erfahruungen, die ein Mensch überhaupt machen kann. 
 
Nur ist es in das Gattungsgedächtnis nicht in seiner ursprünglich-anschaulichen Gestalt eingegangen, sondern wurde wie jeder bestimmte Gedächtnisinhalt aus der Reflexion auf sie umgekehrt gemerkt: 'Alles, was geschieht, muss von einem (!) gemacht worden sein.' Sorum wurde es aber dogmatisch und falsch; handeln und der Handelnde fielen untern Tisch.
25. 4. 22





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Mittwoch, 23. April 2025

Metaphilosophie.

                                                                aus Philosophierungen

Die Prämisse, "dass Warheit ist",  ist nichts anderes als die Annahme, dass das Leben einen Sinn hat. Ich meine: nichts anderes.
aus e. Notizbuch, 26. 2. 05 

Nachtrag I, 6. 10. 14.
Das erhellt den Aufstieg der sog. Weltreligionen nach dem Ende des mythischen Zeitalters. Während in den Mythen und polytheistischen Glaubenslehren verschiedene heilige Kräfte von unterschiedlicher Gewalt mit einander ringen, verkünden Buddhismus, Christentum und Islam eine Wahrheit. Vorher gab es eine solche Vorstellung gar nicht. Und vorher gab es die Vorstellung, dass du dein Leben führen musst, damit es seinen Sinn erfüllt, ebenso-wenig.

Nachtrag II, 7. 2. 22
Beides natürlich nicht als theoretischer Satz, sondern als praktisches - pragmatisches - Po-stulat.

 

 

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Dienstag, 22. April 2025

Der Mensch muss urteilen.

Millet                                       zu Philosophierungen

Die Conditio humana beruht auf diesem einen: Der Mensch muss urteilen. Urteilen heißt, über die Bedeutungen befinden. Einem Ding eine Bedeutung zuerkennen ist: urteilen, dass eines, das erscheint, einem unterliegt, das gilt. Geltung ist dasjenige 'an' den Erscheinungen, das zum Bestimmungsgrund für mein Handeln wird. Handeln und Urteilen sind Wechsel-begriffe. Handeln heißt nicht bloß, etwas tun - das tut das Tier auch; sondern: einen Grund dafür haben. Der Mensch muss handeln und Der Mensch muss urteilen bedeuten dasselbe.
 aus e. Notizbuch, 9. 9. 2003

Handeln, heißt es anderswo, ist mehr als bloß etwas tun: Es ist eine Tätigkeit, der dauernd widerstanden wird. Denn spätestens, wenn sie gegen einen ersten Widerstand fortgesetzt wurde, folgt sie einer Absicht und ist nicht länger zufällig, sondern bestimmt.

 

 

Der Begriff des Seins ist kein ursprünglicher, sondern ist von der Tätigkeit abgeleitet.

                                 aus Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik                                               ...