Donnerstag, 28. März 2024

Quintessenz der Wissenschaftslehre

Süddeutsche                   zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Um uns selbst zu finden, müssen wir die Aufgabe denken, uns auf eine gewisse Weise zu beschränken. Diese Aufgabe ist für jedes Individuum eine andre, und dadurch eben wird bestimmt, wer dieses Individuum eigentlich ist. Diese Aufgabe erscheint nicht auf einmal, sondern im Fortgange der Erfahrung jedesmal, in wiefern ein Sittengesetz an uns ergeht. Aber in dieser Aufforderung liegt zugleich, da wir praktische Wesen sind, zu einem be-stimmten Handeln Aufforderung. 

Dies ist für jedes Individuum auf besondere Weise gültig. Jeder trägt sein Gewissen in sich und hat sein ganz besonderes. Aber die Weise, wie das Vernunftgesetz allen gebiete, lässt sich nicht in abstracto aufstellen. So eine Untersuchung wird von einem hohen Gesichts-punkte aus angestellt, auf welchem die Individualität verschwindet und bloß auf das Allge-meine gesehen wird. Ich muss handeln, mein Gewissen ist mein Gewissen. In sofern ist die Sittenlehre individuell.
_________________________________________________________                             J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 241    


Nota. - Zuerst, bevor es sich als ein solches setzt, ist das (Proto-)Ich noch reines Wollen. Rein, weil es erst 'an sich' und überhaupt will - alles, aber keines im Besondern; also nichts. Um Etwas zu werden, müsste es sein Wollen bestimmen, nämlich auf dieses oder jenes einschränken.

Müsste es oder muss es? Es muss nicht, es könnte es unterlassen, aber wir wissen - denn das war unser Ausgangspunkt -, dass es vernünftige Wesen gibt, also irgendwann, irgendwo muss sich der an sich und überhaupt seiende Willen tatsächlich eingeschränkt, bestimmt und individualisiert haben. 

Wenn ich mich für ein Ich halte, muss ich annehmen, dass auch ich es so getan habe. Ich habe die Aufforderung gehört, verstanden und angenommen.

Von da an geht es weiter. Die Aufforderung ergeht erneut, sobald ein Handeln von mir verlangt wird: eine sittliche oder eine weltlich-praktische. Und jedesmal an mich ganz allein. Andere können mir ihre Rat geben, aber entscheiden muss ich selber. Die Entscheidung auf eine äußere Instanz abwälzen oder an eine allgemeine Regel delegieren wäre unvernünftig und es ipso unsittlich und unsittlich und eo ipso unvernünftig. Gesetze seien der Moral durchaus entgegen, sagt Novalis.
JE 



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