Verstehen kann ich ein Handeln: indem ich die Veränderung, die ich beobachte, auf einen vermuteten Zweck beziehe - und den Zweck dem Veränderer zurechne. Eine Maschine kann ich nur per Analogie verstehen: indem ich ihr die Absicht ihres Konstrukteurs bei-messe.
Anders als ein lebendes Subjekt, kann ich eine Maschine begreifen:
indem ich die Verände-rungen, die ich an ihr beobachte, einem Komplex
von Ursachen und Wirkungen zurechne. Per Analogie begreife ich ein
Gedankengebäude, indem ich es in einen Komplex von Be-griffen und
Operationen zergliedere. Die Analogie von Logik und Mechanik ist das
offene Geheimnis des westlichen Denkens; alias der Vernunft.
Anders wäre die Vorstellung, menschliches Denken maschinell zu imitieren, gar nicht mög-lich geworden. Was die künstlich-intelligente
Black Box getan haben muss, könnte ich daher begreifen - an dem, was
sie mir liefert. Verstehen könnte ich es gar nicht wollen, denn dazu
müsste ich ihr Zwecke und Absichten unterstellen, die sie gar nicht
haben kann, weil sie nicht wie wir in der Welt ist. Doch kann ich ihr nicht dabei zuschauen, wie sie etwas tut - und kann es mir nicht einmal vorstellen.
Nachrechnen
kann ich ihre Operationen nicht, weil ich gar nicht weiß, wie sie
verfährt. Ich kann es nicht einmal, Schritt für Schritt rückwärtsgehend,
analysieren: Ich weiß ja nicht ein-mal, welcher ihr letzter Schritt
gewesen ist, bevor sie mit ihr Ergebnis ausgespuckt hat. Und wenn ich es
könnte, wäre das Verfahren so zeitraubend, dass ich auf ihren Einsatz
achsel-zuckend verzichten müsste. Es ist wie in der experimentellen
Wissenschaft: Ein Versuch, den ich nicht wiederholen kann, beweist
nichts.
Abstrakte
Formen helfen überhaupt nicht: 'Ist das System hinreichen komplex, kann
nur es selbst sich steuern.' Aber was heißt 'hinreichend komplex',
genauer: Wer beurteilt das? Man möchte meinen, der Satz gilt überhaupt
nur für unser Denken: Kein System ist komplexer als das menschliche
Hirn, darum kann keine Maschine es steuern. Umgekehrt: Jede Maschi-ne
ist prinzipiell durch menschliche Gehirntätigkeit steuerbar. Hat der
Satz noch prakti-schen Belang? Am äußersten Ende schon: 'Das schaffen
wir nie' ist grundlos. So viel zum Ersten Satz.
Der
Zweite Satz entwertet ganz den Dritten Satz: Um ein komplexes System
vollständig zu beschreiben, muss ich es vollkommen verstehen. Das kann
ich aber nur, wenn es dümmer ist als ich. Doch dann gibt es keinen
Anlass, es 'durch Formalisierung vereinfachen' zu wol-len.
Durch
Formalisierung kann man gar nichts vereinfachen, jedenfalls keinen
operativen Vor-gang. Denn der besteht nicht aus der Abfolge einzelner
Schritte. In der Schule lernten wir das Modell
eines Otto-Motors kennen. Man konnte zusehen, wie er arbeitet - unter
der Vor-aussetzung, dass man eine arbeitende Energie von außen
hinzufügt: Man dreht an einer Kurbel, die gehörte zum Modell. Aber nicht
die Kraft, die das Modell überhaupt erst zu einem Modell von Etwas macht.
Nun wäre aber die Kraft auch nur eine Formalie, würde sie nicht in eine Richtung einge-setzt. Und die kann nur eine Absicht sein: ein Wille. Der lässt sich aber schlechterdings nicht formalisieren - nicht in Begriffe zerlegen -, sondern nur anschauen bei seiner Tätig-keit. Nur analog, nicht digital
- und da schließt sich der Kreis: Digitalität ist kein Accessoire von
Künstlicher Intelligenz, sondern ihr Wesen. Wenn man also das innere
Funktionieren der Black Box doch einmal vollständig beschreiben könnte,
würde man dennoch nichts an ihr verstehen - weil sie keine Zwecke hat,
die sie selber verstehen müsste. Sie könnte uns sicher eine Liste
drucken, aus der hervorgeht, wie sie's macht. Aber was sie macht, könnte
sie uns nicht sagen, weil sie's nicht weiß.
Kommentar zu Wie und was, oder begreifen und verstehen; JE, 22. 6. 23
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