aus Philosophierungen
Dass
die Transzendentalphilosophie mit den Tatsachen gar nichts zu tun
hätte, ist eine aka-demische Legende. Sie bildet sie zwar nicht ab wie
die realen Wissenschaften, so dass sie in ihr als Gegenstand vorkämen;
aber sie will sie darstellen in ihren Sinnbezügen.
Der Elemtenarfakt, von dem die Wissenschaftslehre ausgeht, ist, "dass es
Vernunft gibt". Nämlich im herrschenden Bewusstsein ihrer Zeit, in
der bürgerlichen Welt. "Vernunftzeit-alter" ließ sich die Epoche nennen, die der Kunsthistoriker als Rokoko kennt.
Dann ist es still geworden um die Vernunft. Zum Thema ist sie
allerdings selbst in dem Zeitalter nicht geworden, das sich nach ihr
nennen ließ; vielmehr blieb sie überall schwei-gende, weil
selbstverständliche Voraussetzung - bis Kant die transzendentale
Denkweise in die Welt gebracht hat. Was die Vernunft sei, worin sie
bestehe, woher sie komme, hat auch er nicht gefragt. Er hat sie
genommen, wie er sie gefunden hat, und nach immanenten Ge-sichtspunkten
untersucht.
Allein Fichte ist den entscheidenden Schritt gegangen: zu fragen, was sie ist. Die Wissen-schaftslehre ist das allgemeine Modell der Vernunft: so, wie er sie vorfand.
Woher sie kommt, hat auch er nicht direkt zu fragen gewagt. Er schwankte
zwischen zwei Annahmen, die einander ausschließen: dass sie entweder
'sich selber mache' und recht eigentlich nur in diesem ewigen sich-selber-Machen bestünde, oder dass sie latent schon immer da (wo?) gewesen sei und von den lebendigen Intelligenzen nur noch aufgefunden werden müsse.
An
dieser Frage ist er gescheitert, der Atheismusstreit hat es lediglich
an den Tag gebracht, aber nicht verursacht. Er hat sich mit einem hiatus irrationalis in
die dogmatische Lösung geworfen, und damit war das Problem nicht
gelöst, aber entsorgt. Hegel konnte die Ver-nunft zur Substanz machen und
so tun, als habe er die Notwendigkeit, die Substanz "auch als Subjekt
zu fassen", selber entdeckt.
Tatsache ist, dass nach ihm die Vernunft ganz still aus dem philosophischen Vokabular ausgeschieden wurde.
Nicht
aber aus dem gesunden Menschenverstand, ganz im Gegenteil. Noch zu
Hegels Zeiten musste nicht jeder Hinterwäldler sich zur Vernunft
verpflichtet wissen und durfte seinem Köhlerglauben huldigen. Das macht
den westlichen Menschen in seinem Selbstver-ständnis gegenüber allen
Andern aus: dass er sich und alle seinesgleichen der Vernunft
ver-pflichtet fühlt. Das ist die Grundlage der abendländischen Kulur.
Und
auch der schrillste postmoderne Konstruktivist verlangt von sich und
den andern im alltäglichen Umgang ganz entschieden Vernunft in
Denken und Handeln und wird schon-mal einen Gedanken als ganz
unvernünftig rügen, und wenn er sich auch im wissenschaft-lichen Verkehr
vor diesem Wort hütet wie der Teufel vorm Weihwasser, wird er gerade
dort auf seine Vernunft den größten Wert legen. Nur weil sie zur
selbstverständlichen Prämisse des Alltags geworden ist, konnte die
Vernunft aus der Philosophie schwinden.
Aber
das ist auch ihre Schwäche. Denn was nur selbstverständlich ist, ohne
ausgesprochen zu werden, kann von neuen, aber ebenso unausgesprochenen Prämissen durchsickert und unterwandert werden, das geschieht alle zwanzig,
dreißig Jahre immer mal wieder. Dann ist die Vernunft wort- und
namenlos. Aber das ist die Stunde der Kritischen alias
Transzenden-talphilosophie.
Denn wennauch Vernunft kein objektiv Gegebenes ist, so besteht Vernünftigkeit eben dar-in, sie als solche aufzufassen. Wer
- sei's wegen der Transzendentalphilosophie, sei's wegen des
Konstruktivismus - meint, jeder mache sich seine Vernunft selber, kann
nicht vernünftig denken und schon gar nicht handeln. Vernunft "gibt es"
nur im Tun: in einem Tun, das zu einem gemeinsamen wird, weil und indem alle Handelnden davon ausgehen, dass ein ober-ster Zweck ihnen allen vorausgesetzt ist. Welcher das ist, wird sich unter dieser Vorausset-zung von selbst herausstellen - immer wieder.
13. 2. 17
Nota. Das
obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie
der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht
wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE
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