2. Dieser Zirkel ließe sich nur so entfernen: dass das Verhältnis der Dependenz dazugedacht würde, so dass Gefühl und / Handeln in demselben Zustand vereinigt gedacht würden und dass beide integrierende Teile desselben Ganzen ausmachen.
Gefühl ist
Beschränktheit, Handeln ist Freiheit; sonach müssten Beschränktheit und
Frei-heit vereinigt werden: Eins dürfte nicht ohne das andre möglich
sein. Wir müssten eine Freiheit aufzeigen, die nicht Freiheit wäre, wenn
sie nicht beschränkt wäre, und eine Be-schränkung, die nicht beschränkt
würde, wenn sie nicht frei wäre. Es müsste ein X geben, in welchem beide
vereinigt wären.
Wie soll nun Freiheit
und Beschränkung vereinigt werden? Die Freiheit darf nicht aufgeho-ben
werden, die Freiheit ist absolutes Übergehen vom Bestimmbaren zum
Bestimmten. Darin darf ihre Beschränktheit nicht liegen, sie müsste
darin liegen, dass die Bestimmbarkeit selbst ein endliches Quantum wäre, und zwar dass es keine Äußerung der Freiheit gäbe, ohne dass auf dieses Quantum reflektiert würde.
In dem unbekannten X
liegt, dass die Freiheit beschränkt sein soll. Man denke sich ein auf
irgendeine Weise tätiges Wesen; z. B. ein Stahlfeder, die gedrückt ist,
sträubt sich gegen den Druck, dies ist Tätigkeit, aber nicht freie
Tätigkeit, es ist in ihrer Natur, sie ist so bestimmt. Aber von einer
solchen Bestimmtheit des Vernunftwesens kann nicht die Rede sein. Es
muss übergegangen werden durch Wahl. Das Übergehen von der
Unbestimmtheit zur Be-stimmtheit müsste ein Quantum sein für die
Wahl durch Freiheit. Auch müsste ohne Re-flektieren auf dieses Quantum
keine Freiheit möglich sein. Wenn dies so wäre, so würde, da alle
Beschränktheit sich durch ein Gefühl äußert, keine Wahl durch Freiheit
möglich sein ohne ein Gefühl der Beschränktheit.
Es ist oben die Rede gewesen von der Beschränktheit überhaupt, die sich durch das Urge-fühl (das Gefühl des ganzen Zustands) äußert, das System der Sensibilität. Dieses System würde selbst ein Gefühl, und lediglich, inwieferen ich frei wäre.
Wir haben auch gesehen, dass dies Gefühl gesetzt wird als etwas im Raume, als unser Leib.
Dies dürfte auch hier so sein; die Summe unserer Bestimmtheit wäre
unser Leib. (Diese be-stimmte Summe der Bestimmbarkeit wird sich,
sinnlich be-/trachtet, zeigen als Individua-lität, und übersinnlich gedacht, als Sittengesetz!)
_____________________________________________________________
J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 138ff.
Nota I. -
Wenn irgendwo bei Fichte ein ferner Anklang an den metaphysischen
Leib-Seele-Dualismus zu finden ist, wäre es hier: Es ist der
ursprüngliche Gegensatz von leiblicher Beschränktheit und der
Grenzenlosigkeit der Einbildungskraft.
16. 12. 16
Nota II. - Als
Leib bin ich Ding der Sinnenwelt in Raum und Zeit, als Einbildungskraft
schaffe ich eine intelligible Welt. Als Leib fühle ich, als
Einbildungskraft schaue ich an. Als Leib bin ich beschränkt, als
Einbildungskraft bin ich frei. Denn das Anschauen des Gefühls - reale Tätigkeit - bindet nur einen Teil meiner Einbildungskraft. Der überschießende Teil - ideale Tätigkeit - geht ins Unendliche fort.
Nicht zu übersehen: Am Anfang steht der Leib. Wäre ich nicht durch ihn beschränkt, fände die Einbildungskraft kein Motiv, über das sie hinausgehen kann. Die Beschränktheit fühle ich nicht, ehe ich über sie hinausgehe. Merke: Zur Freiheit muss ich mich bestimmen.
16. 6. 18
Nota III. - Zur Erinnerung: Das Sittengesetz lautet nach Fichte nicht anders als Handle frei nach deinem Gewissen.
1. 6. 22
Nota IV. - Das erste Gefühl, dessen ein neugeborener Mensch sich bewusst wird, ist viel-leicht das von den Grenzen seiner Kraft.
JE
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