Begreifen heißt,
ein Denken an ein anderes anknüpfen, das erstere vermittelst des
letzteren denken. Wo eine solche Vermittlung möglich ist, da ist nicht
Freiheit, sondern Mechanis-mus. Einen Akt der Freiheit begreifen wollen,
ist also absolut widersprechend. Eben wenn sie es begreifen könnten,
wäre es nicht Freiheit.
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J. G. Fichte, Das System der Sittenlehre nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, SW IV, S. 182
Nota. - Das ist das ganze Reich des diskursiven Denkens. 'Da ist nicht Freiheit, sondern Mechanismus.' Sein abtrünniger Schüler Herbart, der von der (transzendentalen) Freiheit gar nichts hielt, sollte es samt und sonders als Metaphysik
zusammen fassen: alles Denken, das 'eine Vorstellung an die andere
knüpft'. Daneben oder ihm gegenüber findet er im Denken dasjenige
Vorstellen vor, bei dem die jeweilige Vorstellung 'notwendig vom Gefühl des Beifalls oder der Missbilligung begleitet' ist: die Ästhetik. Das umfasst alle Werturteile, die vom ('metaphysischen') Verstand aus gar nicht möglich wären.
Ethik ist nach dieser
Auffassung eine Unterabteilung der Ästhetik: diejenige, die Werturteile
über Willensakte fällt. Wohl hat der "Eleat" Herbart in seiner
Metaphysik die radikalst mög-liche Gegenposition zur
Transzendentalphilosophie eingenommen; aber mit seiner ästheti-schen
Ethik hat er
nachträglich der Wissenschaftslehre einen besseren Abschluss
anerfun-den, als Fichte selbst ihn fand.
Freiheit konnte Herbart als orthodoxer Lutheraner im ethischen Bereich schon gar nicht zugeben: "Vernunft kommt von vernehmen." (Etymologisch trifft das zu.) Für
Fichte waren Sittlichkeit und Willensfreiheit Wechselbegriffe. In
diesem einen Punkt aber waren sie sich einig: Freiheit ist die Grenze
des Begreifens.
JE, 8. 5. 18
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