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zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik
Worin man befangen ist, was man selbst ist, kann man nicht erkennen;
man müßte aus demselben herausgehen, aufhören, es zu sein, sich auf
einen Standpunkt außerhalb des-selben stellen. Dieses ist die
Spekulation; dieser Standpunkt außer dem wirklichen Leben ist sie. Nur
inwiefern es diesen höhern Standpunkt und diese beiden entgegengesetzten
Standpunkte gab, ist es dem Menschen möglich, sich selbst zu erkennen.
Man kann leben und vielleicht der Vernunft ganz gemäß leben, ohne zu
spekulieren; man kann leben, ohne das Leben zu er/kennen. Aber man
kann das Leben nicht erkennen, ohne zu spekulieren.
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J. G. Fichte, Rückerinnerungen, Antworten, Fragen [S. 119f.]
Nota. -
Dass ein Philosoph sich ausdrücklich die Frage nach der Stellung der
Philosophie in der Welt stellt, war bis dahin ganz ungewöhnlich; zumal,
wenn er zu dem Ergebnis kommt, dass sie fürs wirkliche Leben eigentlich
gar nichts taugt! Nämlich nicht unmittel-bar, nicht positiv, indem sie
lehrte, was zu tun wäre: Auch an dieser Stelle geht Fichte über Kant
hinaus, der der Sittenlehre eine eigne "Metaphysik" zugrunde legt.
Allerdings bestimmt er den Philosophen - den Gelehrten - seinerseits als mit einem Bein außerhalb der Welt, über der Welt stehend. Er sei einer, der nicht bloß lebt, sondern le-bend "das Leben erkennt" - was offenbar Bedingung seiner Freiheit ist. Folgerichtig fragt er auch nicht, 'wie Philosophie möglich ist', sondern wie einer aus der Reihe vernünftiger Wesen zum Philosophen wird. Und seine Antwort ist wiederholt und entschieden: Der Weg zur Philosophie führt (aus Freiheit) über das Ästhetische. Dass ihn jeder geht, ist gar nicht nötig.
Das Problem ist vielmehr, ob und wie 'die Gelehrten' sich in der Welt Gehör verschaffen. Doch das ist ein neues Thema.
JE, 5. 3. 20
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