Freitag, 6. Oktober 2023

Logisch ist das Abstrakte Bedingung des Konkreten.

 A. Goloborodko              zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Nun wird ja jeder selbst nach gemeinem Verstande ohne Prinzipien behaupten, dass ein abstraktes Denken nicht möglich ist ohne ein konkretes, so dass die Abstraktion etwas voraussetzt, wo das zu abstrahierende vorkommt. So kann ich hier auf Voraussetzung des Wollens nur in soweit schließen, als ich sie schon in concreto gefunden habe; sonach verhält sich das abstrakte Denken zum konkreten wie Bedingung zum Bedingten. - 

Das Wollen setzt einen Zweckbegriff voraus, dieser wieder ein Wollen, dieses wieder einen Zweckbegriff und so ins Unendliche. So gibts also keinen Anfang, eines treibt uns aufs andere wie schon oben mit dem Erkenntnisbegriffe, dieser Zirkel ist noch tiefer als obiger. -

Es ist schon gezeigt worden, dass nicht von einer Reihe der Gedanken und ihrer Sukzes-sion an sich geredet werden kann, sondern von einer Erscheinung der Sukzession für uns; so dass wir uns nur denken als denkend in der Zeit, nicht aber wirklich in der Zeit sind. Im synthetischen Denken = C setze ich mich, finde ich mich selbst als wollend. Diesem setze ich A voraus, und nun ists kein Wunder, dass ich das, was in C liegt, in A setze; dies tue ich, weil A bloß Denken vom Entwerfen des Zweckbegriff ist; ich setze es bloß in die Form der Kausalität, ohne ihm doch eine bestimmte [Kausalität] beimessen zu wollen.

(Der Zweckbegriff geht auf eine schon daliegende konkrete Erkenntnis, von da wird durchgegangen zu einem bestimmten konkreten Wollen.) Nur in so fern kann man sagen: Das Ich findet sich, anstatt es denkt sich als findend. Denkt man das synthetische Denken allein, so macht sich das Ich ohne Bewusstsein; nach Vereinigung aber beider Denken findet es sich, wenn es sich selbst vorher schon gemacht hat.

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J. G. Fichte,Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 191 



Nota. - Es ist doch merkwürdig, dass er, wo es um das Verhältnis von Abtraktem und Konkretem geht, zunächst davon abstrahiert, dass doch einer vom Konkreten abstrahiert haben muss, wenn es zu einem Abstrakten kommen soll, und das Verhältnis rein logisch, also um-gekehrt darstellt - statt genetisch korrekt. Die folgende Ausführung scheint mir dann aber das Gegenteil zu besagen.

Wahr ist allerdings auch: 'Das, was' ich im Konkreten auffinde und daraus abstrahiere, muss ich als Vorstellung schon 'gehabt' haben, sonst hätte ich es nicht bemerken können. - Was das Konkrete, was das Abstrakte ist, hängt offenbar davon, von welcher Seite ich es ansehe ... 

26. 2. 17

Nota II. Abstrahieren ist dasselbe wie reflektieren; einmal von hinten, das andre Mal von vorn. In jedem Fall handelt es sich um eine 'ideale' Tätigkeit, die so heißt, weil sie sich auf eine reale Tätigkeit als ihren Gegenstand richtet. Was ist eine reale Tätigkeit? Wirkliches Vorstellen. Aus dem Vorstellen des Vorstellens, des Vorgestellten und des Vorstellenden entstehen uns die Begriffe. Baue ich mir eine Welt aus Begriffen, so setzt der Unterbegriff allerdings den Oberbegriff voraus. 

Ein wirkliches Wollen setzt keineswegs ein "reines" Wollen, ein Wollen-an-sich voraus. Wirkliches Wollen ist konkret. Das 'reine' Wollen ist ein Noumenon, das lediglich 'zur Er-klärung', nämlich zur Sinnbestimmung angenommen wird. 

Nun könnte man meinen, wenigstens der Zweckbegriff  käme 'vor' dem wirklichen Wol-len. Doch auch der Zweckbegriff ist nichts Wirkliches, sondern ein Noumenon, das le-diglich zur Erklärung des realen Willensakts gebraucht wird. Real ist der Willensakt einer; alles andere sind Reflexions-(Abstraktions-)Bestimmungen des analysierenden Betrach-ters.
JE, 12. 9. 21
 

 
  


Nota - Das obige Bild gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und ihre Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Ihre Nachricht auf diesem Blog. JE

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