Dienstag, 31. Oktober 2023

Die zwei Haupthandlungen des Ich: der Ursprung der Dialektik.

                     zu Wissenschaftslehre: die fast vollendete Vernunftkritik 
 
Kant hat die Frage: Wie kommen wir dazu, gewissen Vorstellungen objektive Gültigkeit beizumessen, nicht beantwortet. Die Wissenschaftslehre leistet dies. Wir schreiben einer Vorstellung objektive Gültigkeit zu, wenn wir behaupten, dass unabhängig von der Vorstel-lung noch ein Ding da sei, das der Vorstellung entspreche. Beide sind so verschieden: Die Vorstellung habe ich hervorgebracht, das Ding aber nicht. Nun behauptet die Wissen-schaftslehre: Mit Vorstellungen, welche notwendig in uns sein sollen, verhält es sich so, dass wir annehmen müssen, dass ihnen etwas Äußeres entspreche; und dies zeigt sie.

Es gibt zwei Haupthandlungen des Ich; die eine, wodurch es sich selbst setzt und alles, was dazu erforderlich ist, also die ganze Welt. Die zweite ist ein abermaliges Setzen des-jenigen, was durch jene erste Handlung schon gesetzt ist. Es gibt also ein /ursprüngliches Setzen des Ich und der Welt und ein Setzen des schon Gesetzten, das erste macht das Be-wusstsein erst möglich und kann daher darin nicht vorkommen; das zweite aber ist das Bewusstsein selbst. Das zweite setzt sonach das erste voraus. Im zweiten wird sonach et-was gefunden als ohne Zutun des Ich vorhanden, worauf das Ich reflektiert. Das erste, dessen Resultat das Ding ist; dadurch zeigt sich, was eigentlich Produkt des Ich ist. 

Es wäre sonach zu unterscheiden eine ursprüngliche Thesis oder, da in ihr ein Mannig-faltiges gesetzt wird, eine ursprüngliche Synthesis, von der Analysis, wenn nämlich wieder auf das reflektiert wird, was in der ursprünglichen Synthesis liegt. Die gesamte Erfahrung ist nun bloße Analysis dieser ursprünglichen Synthesis. Das ursprüngliche Setzen kann nicht im wirklichen Bewusstsein vorkommen, weil es erst die Bedingung der Möglichkeit alles Bewusstseins ist.

Dies ist der kurze Inbegriff, das Wesen und der Charakter der Wissenschaftslehre.

_____________________________________________________________________ J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, I. Einleitung, Hamburg 1982, S. 9f.  


Nota. - Später wurde die Dialektik wurde zu einem mystischen Ding, einem Arkanum, in dem sich alles unterbringen ließ, was man nicht erklären konnte oder wohlweislich nicht erklären wollte. In ihrem Ursprung bei Fichte ist sie eine völlig rationelle Sache: Wo im-mer das Denken reflektiert - und das tut es immer, wenn es nach Gründen fragt -, be-schäftigt es sich letzten Endes mit sich selbst; und kommt daher zweimal vor: Einmal als reale, das andre Mal als ideale Tätigkeit. Und jeder Fortschritt im Denken reproduziert diese Verdoppelung immer neu.
 
JE, 3. 6. 16

 


Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE

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