Montag, 9. Oktober 2023

Das Bewusstsein hebt von keinem Moment an - es ist Wollen.

                               zu Wissenschaftslehre: die fast vollendete Vernunftkritik
Anmerkung C

Das Beschriebene ist nur ein Wollen, und eben in der Synthesis durch die Beziehung des Seins aufs Denken und umgekehrt wird es ein Wollen - das will dem Menschen auch nicht ein. Wenn man ihn fragen würde: Willst du oder kannst du wollen: Jeder wird sich alles ent-reißen lassen, nur seine Persönlichkeit nicht. Aber das Wollen ist doch nur Erschei-nung; es ist genau das, was oben geschildert worden ist, die Identität von Sein und Den-ken; diese ganze Wechselwirkung und nichts anderes ist das Wollen. Der Anfang des Bewusstseins und der eigentliche Mittelpunkt, an den das Übrige angeknüpft wird, ist Wollen. -

Aber haben wir uns nicht verirrt? Der Begriff der Aufforderung ist analysiert worden. Wir sind aber aufs Zweite gekommen, wir haben geredet von etwas anderem. Aber wir haben gefunden: Der Begriff der Aufforderung ist nicht das Erste, sondern das Wollen. Das Bewusstsein hebt von keinem Momente an, es ist Wollen. An diesen Moment des Willens wird durch die bloße Erscheinung das Übrige angeknüpft. 

Das Deliberieren, Herausgreifen kommt vor, aber es ist etwas zur wirklichen Bestimmung meiner Hinzugesetztes, wobei das letztere dem Wollen vorausgegangen sein soll. (Man könnte den Transzendentalen Idealismus einteilen in Idealismus des äußern und innern Sinnes, oder des Raums und der Zeit.) Kurz, in dem Fortgange des Bewusstseins scheint uns das, das den Willen bedingt, in uns selbst zu liegen; bei dem Anfange der Individua-lität scheint diese außer uns in einer fremden Vernunft zu liegen.
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 187 



Nota I. - "Aber das Wollen ist doch nur Erscheinung" - Erscheinung wessen? Einer Sub-stanz, eines Wesens? Das Wort gebraucht er sonst nicht. Was bedeutet es hier? Der ganze Abschnitt ist dunkel. Fast möchte man es dem Protokollanten anlasten, der Fichtes Rat nicht gefolgt wäre und bloß Worte mitgeschrieben hätte, ohne auf den Sinn zu achten. Das ist sonst allerdings nicht seine Art, und vielleicht hat er sich vergeblich um einen mit-teilbaren Sinn bemüht? - "Der Anfang des Bewusstseins und der eigentliche Mittelpunkt", das ist das Wollen, eben noch "nur Erscheinung",  auch. 

21. 2. 17

Nota II. - Ob ichs heute besser verstehe? Ich versuchs mal. 

Reales Wollen ist Wollen von diesem oder jenem. Wollen-überhaupt, reines Wollen, ist le-diglich Noumenon und wird bloß 'zur Erklärung' herbeigezogen: zum Verständnis des-sen, was es bedeuten kann - als Sinnbestimmung. Es ist der in der sinnlichen Welt handeln Müs-sende, der eine Sinnbestimmung braucht, um entscheiden zu können, wie er handeln soll. 

Im 'Zweckbegriff', den er in Folge der Aufforderung deliberierend sucht, erscheint ihm das Wie aber vorgegeben - so zwar, dass er auswählen kann, aber doch nur aus dem, was er fin-det. So herum erscheint ihm sein wirkliches Wollen lediglich als die "Erscheinung" eines ideal vorgegebenen Begriffs. Und nun muss es ihm vorkommen, als ob er 'immer schon' gewollt hat und nur noch nicht wusste, was. 

Und der transzendentalen Betrachtung kam es von vornherein so vor.

1. 10. 21

Nota III. - 'Bewusstsein' kommt bei Fichte immer nur fast beiläufig vor. Zum Thema wird es ihm nie. - Kein Wunder: Es ist ja das noumenale Wollen, das durch Fassen eines Zweckbegriffs erst noch realisiert, aktualisiert, materialisiert werden muss. Als Wollen-an-sich ist es erst virtuell. Und insofern ist es nicht ein, sondern das Thema der ganzen Wissenschaftslehre.

JE


Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE

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