
Alles Bewusstsein geht aus von dem oben angezeigten unmittelbare Bewusstsein (§1). Das durch und in diesem Bewusstsein sich selbst Setzende = A ist eine von uns, die wir philoso-phieren, mit Freiheit der Willkür hervorgebrachte Repräsentation des unmittelbaren Bewusst-seins. (Das unmittelbare Bewusstsein ist in allem Bewusstsein das Bewusstseiende, aber nicht das, dessen man sich bewusst ist, das Auge sieht hier das Sehen des Auges). Die Reprä-sentation brachten wir hervor mit Willkür. Wir hätten auch von etwas anderem reden kön-nen; so haben wir zur Seite liegen lassen, ob es nicht in anderer Rücksicht mit Notwendig-keit repräsentiert werden könne. – Dieses A, dieses Zuschauen des sich Setzens, ist An-schauung, und zwar innere, intellektuelle Anschauung. –
Schon im ersten Paragraphen fanden wir, dass keine Anschauung, also auch die Anschau-ung A nicht, möglich ist ohne Begriff. Welcher Begriff muss mit der Anschauung A ver-knüpft werden? Etwa der beabsichtigte B? Offenbar nicht, denn der, den wir suchen, muss im Gegebenen liegen, dieser Begriff wäre sonach der, durch den die Anschauung A bedingt wird = C, das Bestimmbare oder ruhende Tätigkeit. Also C ist in Beziehung auf die An-schauung A der Begriff, der sie bedingt.
Dieser Begriff C ist nun in anderer Beziehung auch Anschauung zu nennen. Er ist das unmittelbare Bewusstsein selbst, das nicht angeschaut, sondern begriffen wird; nicht als Tätigkeit, sondern als Ruhe. Dieser Begriff ist das in der Anschauung A Nachgemachte. (Alles Anschauen ist ein Nachbilden.) Dieser Begriff ist der unmittelbare und höchste, gegründet auf die intellektuelle Anschauung, die als solche nie Objekt des Bewusstseins wird; aber wohl als Begriff, in diesem Begriff und vermittelst dieses Begriffes findet das Ich sich selbst und erscheint sich als gegeben.
Ich kann mich nicht anders begreifen denn als Ich, das heißt als sich selbst Setzendes, also als Anschauendes. Jener Begriff ist also der Begriff eines Anschauens und in dieser Rück-sicht selbst Anschauung zu nennen. Das Ich ist sich selbst setzend (ein sich selbst setzendes Auge), und als solches wird / es begriffen, also begriffen als Anschauung. C ist Begriff in Beziehung auf A, Anschauung in Beziehung auf ein mögliches x. Ich finde mich anschau-end als anschauend Etwas x. (Die innere und äußere Anschauung ist bei Kant nur sinnlich, das Ich erscheint bei ihm nur als bestimmt, bei mir aber als bestimmend.)
Im vorigen Paragraphen war C nur Begriff, hier ist es Begriff und Anschauung. In der Folge wird es Anschauung sein; es kann Verschiedenes bedeuten, je nachdem es in verschiedenem Verhältnisse gesetzt wird.
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 40f.
Nota. - Fichte hat den Ausdruck Dialektik nie
für seine Methode in Anspruch genommen, und sein Nachfolger auf dem
Berliner Lehrstuhl, der ihn zum Arkanum seines totalitären Systems
machte, hat aus Fichtes 'analytisch-synthetischer Methode' gerade das entfernt, was den Ausdruck Dia lektik rechtfertigen könnte: das treibende Moment des schlechterdings wollenden
Subjekts, und an seine Stelle die 'Selbstbewegung des Begriffs' gesetzt
- der zwar hier in dieser, dort in jener Bestimmung 'erscheint', aber
doch immer er selber, immer Be-griff bleibt; immer Objektivum.
In
einer rationellen Dialektik tritt der Begriff dagegen stets nur als
eine Vorstellungsweise des wollenden Subjekts auf, so wie die Anschauung auch, und wenn sie miteinander 'die Stelle wechseln' können, so nur, weil jenes seine Stellung wechselt.
17. 7. 16
Nota II. - Es war mir zu jenem Zeitpunkt noch nicht klargeworden, dass die entscheidende Wendung Fichtes zum reinen Wollen in dem leider nie ganz deutlich ausgesprochenen Ent-schluss geschah, anstelle der Begriffe die Vorstellungen zur Substanz und das Vorstellen zur Grundform des Denkens zu machen.
Deutlich wird es auch den buchstabentrunkenen Philologen, wenn sie Kant-Texte vor Fichte mit Herbart-Texten nach Fichte vergleichen - beim Lehrer nur Begriffe und bloß zufällig mal Vorstellung, beim untreuen Schüler nur Vorstellung finden und Begriffe nur als pragmatisch-technisches Beiwerk. "Kant wollte alles aus Begriffen dartun", schreibt Fichte; während die Vorstellungen bei Herbart, der Vernunft aus Vernehmen herleitete und 'trans-zendentale Freiheit' bestritt, innere Seelenqualitäten überirdischen Ursprungs sind. Begriffe dagegen sind Menschenwerk und dienen der Verdeutlichung eines an-sich-Gegebenen. Sie sind rein formaler Art und haben - hier wohl Fichte folgend - spezifisch erkenntniskriti-schen Wert. Herbart verfährt aber nicht, wie F., phänomenologisch beschreibend, sondern ausdrücklich metaphysisch konstruierend.
Zur Erinnerung:
'Es gibt' keine Anschauung, 'es gibt' keinen Begriff; diese heißt so, wenn und weil einer etwas anschaut, jener heißt so, wenn und weil einer etwas begreift.
JE.
Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE
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