
Fichte hat im Ersten Hauptstück seiner Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre aus
dem Jahre 1796, das ich auf diesem Blog wiedergegeben habe, besagte
'Prinzipien' zusammengefasst. Nicht mi-nutiös entwickelt wie in der Nova methodo, sondern
eher lehrhaft vorgetragen, aber so musste es sein. Es sollte der Leser
(wie zuvor seine Hörer) bis an den Punkt geführt werden, wo die
transzendentale - kritische und spe-kulative - Rekonstruktion aus notwendigen Vostellungen innehält und eine
positive wissenschaftliche Deduktion aus Begriffen möglich wird.
Das gibt Anlass zu einer allgemeinen Betrachtung:
Vernunft
ist eine Tätigkeit und keine Sache. Sie erfordert einen Stoff, ein
Verfahren und eine Energie. Ihr Stoff sind die Begriffe, ihr Verfahren
sind die logischen Schlussregeln. Was ihre Energie ist, bleibt
einstweilen offen.
Die
Untersuchung der Vernunft in specie beginnt mit Kant. Sein erster
Gegenstand sind die Erfahrungsbegriffe. Es gibt darüber hinaus Begriffe
ohne sinnliches Substrat. Diese sind aus jenen abstrahiert; mit welchem
Recht?
Zuerst
ist da eine Flut sinnlicher Reize. Aus der greift wie mit Kellen die
Vernunft etliche heraus und fasst sie zu Begriffen zusammen. Die Kellen
identifiziert Kant als zwölf Kate-gorien und zwei Anschauungsformen.
Weiter geht er nicht.
Es
stellt sich erstens die Frage: Woher die Kellen? Und zweitens: Von
allein schöpfen sie nicht; es muss sie einer zur Hand nehmen. Und woher die Schlussregeln stammen, lässt Kant völlig unerörtert.
Fichte
begann, wo Kant stehenblieb: Die Begriffe wurden von Menschen
geschaffen, in-dem sie Kellen betätigten. Wie sie zu betätigen sind,
wussten sie, weil sie sie selber herge-stellt hatten. Die Spur verfolgt
er und stößt ganz am Schluss auf das Ich, das sich selbst setzt, indem es sich ein/em Nichtich entgegensetzt.
Die
Hypothese wäre zu verifizieren, indem der Schlusspunkt der Analyse zum
Ausgangs-punkt einer synthetischen Rekonstruktion genommen wird: Man
sieht dem aufgefundenen Ich Schritt für Schritt bei seiner Tätigkeit zu,
und wenn wir einen Weg finden, auf dem so die von uns eingangs
vorgefundene Vernunft lückenlos nachgebaut werden kann, so wird es der
sein, den die Vernunft wirklich gegangen ist.
Man
erkennt: Es ist die Geschichte ihrer Selbstschöpfung. Sie hat keine
andere Vorausset-zung als das Selbstsetzen eines Ichs. Daraus folgt alles
andere. Es folgte nicht aus Notwen-digkeit - unendliche viele Abwege
waren möglich (und werden faktisch auch gegangen wor-den und spurlos wieder verwachsen sein) -, sondern aus Freiheit, aber dass es folgte, war der faktische und logische Ausgangspunkt der Analyse, zu dem die Synthesis zurückgeführt hat.
Wir
finden in der Synthese, wie der Stoff entstanden und wie das Verfahren
selbst gesucht und gefunden wurde, wir müssen rückschließen, dass die
treibende Energie dieselbe war, aus der heraus das Ich sich überhaupt
erst gesetzt hat. Weil sie keine andere Bestimmung auf-weist als diese, nennt Fichte sie das reine Wollen.
*
Kritisch verfährt die Wissenschaftslehre in ihrem von Kant eröffneten ersten, dem analy-tischen Teil. In ihrem konstruktiv-synthetischen zweiten Teil verfährt sie spekulativ. Doch
spekuliert sie nicht ins Blaue hinein, sondern auf ein festumrissenes
Ziel hin: unser wirklich gegebenes System der Vernunft aus Begriffen und
Schlussregeln, über dessen treibende Energie wir uns inzwischen auch
klargeworden sind.
An diesem Punkt - dass ein System von Begriffen entstanden ist und dass sich das Denken Regeln geschaffen hat - ist die Vernunftkritik vollendet und hat die Wissenschaftslehre ihre Arbeit getan.
Was jetzt noch folgen kann, sind die positiven Bestimmungen der Wissenschaften in con-creto. Von
den kritischen Grundsätzen, die die Wissenschaftslehre in ihrem
analytischen sowohl wie in ihrem synthetischen Teil entwickelt hat, wird
sie sich in ihrer Erkenntnis lei-ten lassen; aber ihr Gegenstand werden sie nun nicht mehr.
*
Der Begriff des Rechts ist nun gefasst, und es kann aus Begriffen fortargumentiert werden.
6. 3. 19
Nota. - Die Leute im obigen Bild tanzen eine Sardana, einen katalanischen Volkstanz, bei dem sich die Kreise um einander drehen - in je entgegengesetztem Sinn.
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