
Von dieser noch an dem Faden der Wirklichkeit fortlaufenden Betrachtung, wo es uns schon nicht mehr um die wirkliche Beschaffenheit der Dinge, sondern um ihre Ueberein-stimmung mit unserem Geiste zu tun ist, erhebt sich dann bald die dadurch zur Freiheit erzogener Einbildungskraft zur völligen Freiheit; einmal im Gebiete des ästhetischen Trie-bes angelangt, bleibt sie in demselben, auch da, wo er von der Natur abweicht, und stellt Gestal- ten dar, wie sie gar nicht sind, aber nach der Forderung jenes Triebes seyn sollten: und dieses freie Schöpfungsvermögen heißt Geist. Der Geschmack beurtheilt das Gege-bene, der Geist erschafft. ... Man kann Geschmack haben ohne Geist, nicht aber Geist ohne Ge/schmack.
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J. G. Fichte, Über Geist und Buchstab in der Philosophie [1794] SW VIII , S. 290f.
Nota. - Fichte versteht unter Trieb nicht eine physiologisch bestimmte Energie; für ihn ist das menschliche Vermögen "eins".
Aber es kann sich mannigfaltig an diesen oder jenen Gegenstand
verwenden. Zuerst gestaltet es sich, zwecks Befriedigung seiner
physischen Notdurft: zum Erkenntnistrieb. Doch darin erschöpft es sich nicht. Was darüber hinaus-schießt, sucht nach einem Gegenstand, worauf es sich verwenden kann, und wo es nichts vorfindet, er findet es selber. Das nennt er den ästhetischen Trieb.
JE, 13. 4. 20
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