Das ist Fichtes gedanklicher Ausgangspunkt: Die Philosophie - lies:
Transzendental-philosophie - bringt selber nichts hervor. Sie hat ihren
Gegenstand, nämlich das tat-sächlich gegebene vernünftige Bewusstsein
ihrer Zeitgenossen - den 'gemeinen Stand-punkt' -,
und dieses gilt es zu verstehen: auf seine wirklichen Voraussetzungen
zurückzu-führen und seine Reichweite zu ermessen. Um dies zu können, muss
die Philosophie einen Standpunkt über ihm einnehmen.
Fichte
war Novalis' Ausgangspunkt, ihn wollte er interpretierend verstehen;
stets mit dem Hintergedanken, "darüber hinaus" zu gehen. Im Einzelnen
kommt er gelegentlich zu ver-blüffenden Einsichten. Aber insgesamt findet
er doch nicht zu dem Verständnis, dass Transzendentalphilosophie an keiner Stelle Realphilosphie
wird. So sind etwa Einbil-dungskraft und Reflexion nicht zwei real
existierende antagonistische Kräfte, sondern lediglich zwei Ansichten
ein und derselben intellektuellen Tätigkeit, die nur der philoso-phische
Betrachter unterscheidet, um aus der Vorstellung von ihrer
Wechselwirkung zu verstehen, was sie eigentlich 'tut'.
So macht z. B. Fichte auch von dem 'Gefühl'
einen ganz und gar nüchternen, sensua-listisch-materialistischen Gebrauch. Es ist der faktische Ausgangspunkt allen Wissens. Und das
Absolute Ich 'ist' nicht ein 'bestimmter Stoff', sondern lediglich die
Gedanken-konstruktion von Etwas, das Gefühle hat - und in der Anschauung darauf reflektiert.
Die
Wissenschafstlehre sei "bloße Reflexionsphilosophie", hat Hegel gesagt,
mit andern Worten: Sie reflektiert lediglich auf das, was im faktischen
Wissen wirklich vorkommt. Sie erfindet nichts hinzu. Aus Hegels
Mund ist das ein Lob und kein Tadel. Novalis hat es von Fichte selbst
gehört, aber so ganz mag er's nicht glauben. Gern würde er die
Einbil-dungskraft darüber hinausschießen lassen, man merkt es an jeder
Stelle.
27. 5. 2017
*
Wenn Fichte reale
und ideale Tätigkeit von einander unterscheidet, so meint er nicht zwei
verschiedene Kräfte; er kennt überhaupt nur eine 'Energie', eine prädikative Qualität,
die er allenthalben Einbildungskraft nennt. Sie ist ein breiter
Strom, der sich teilt und hierhin und dahin wendet. Er sondert sich
nicht nach der Substanz, sondern nach dem Gegen-stand, den er wählt oder,
was dasselbe ist, nach der Weise seiner Tätigkeit: Real nennt Fichte die Tätigkeit, durch die das Ich sich wirklich etwas vorstellt, sich ein Bild macht, eine Qualität prädiziert. Diese setzt der Tätigkeit einen Gegenstand, jenen nimmt es wahr durch ein Gefühl, das ihm zuteil wird, und das nichts anderes ist als der Widerstand, den der Gegenstand seiner Tätigkeit entgegen setzt. Das Gefühl scheint ihm von außen bei-zukommen, es wird angeschaut.
Dieses Anschauen nennt Fichte eine ideale Tätigkeit; sie 'setzt' nicht mehr, sondern be-stimmt. Sie ist die ursprüngliche Weise der Reflexion. Sie ist der Teil der Einbildungskraft, der sich nicht an den Gegenstand gebunden hatte und frei
geblieben ist. Und so ist die Reflexion in allen Fällen: Sie ist frei,
weil sie unendlich ist und zu keinem Moment fest-gebunden wird.
Das alles ist natürlich nicht wirklich geschehen. Es ist selber ein Bild, ein Schema
dessen, was sich zugetragen hat, als ein Bewusstsein entstand: wie und
unter welchen Bedingun-gen es möglich war und inwiefern es notwendig war, um zur Verunft zu führen. Es stellt eine Dynamik dar, die, weil sie in Gedanken stattfindet, nicht selber anschaubar ist, son-dern gedacht wird, als ob sie anschaubar wäre.
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So komplex dieses Bild
eines Bildes immer ausfallen mag: Der Sache selbst setzt es nichts
hinzu; es macht sie lediglich einsichtig.
11. 6. 19
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