Montag, 18. Dezember 2023

Ein Garaus dem Dogmatismus.

 Karl-Heinz Laube            zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Aber der Dogmatismus ist gänzlich unfähig, zu erklären, was er zu erklären hat, und dies entscheidet über seine Untauglichkeit. Er soll die Vorstellung erklären, und macht sich anheischig, sie aus einer Einwirkung des Dinges an sich begreiflich zu machen. / ...

Ein Ding dagegen soll gar mancherlei seyn: aber sobald die Frage entsteht: für Wen ist es denn das? wird niemand, der das Wort versteht, antworten: für sich selbst, sondern es muss noch eine Intelligenz hinzugedacht werden, für welche es sey; da hingegen die In-telligenz nothwendig für sich selbst ist, was sie ist, und nichts zu ihr hinzugedacht zu wer-den braucht. Durch ihr Gesetztseyn, als Intelligenz, ist das, für welches sie sey, schon mit gesetzt. Es ist sonach in der Intelligenz – dass ich mich bildlich ausdrücke – eine doppelte Reihe, des Seyns und des Zusehens, des reellen und des idealen; und in der Unzertrenn-lichkeit dieses Doppelten besteht ihr Wesen (sie ist synthetisch); da hingegen dem Dinge nur eine einfache Reihe, die des reellen (ein blosses Gesetztseyn), zu kommt. Intelligenz und Ding sind also geradezu entgegengesetzt: sie liegen in zwei Welten, zwischen denen es keine Brücke giebt. 

Diese Natur der Intelligenz überhaupt und ihre besonderen Bestimmungen will der Dog-matismus durch den Satz der Causalität erklären: sie soll bewirktes, sie soll zweites Glied in der Reihe seyn. /...

Die Intelligenz erhaltet ihr nicht, wenn ihr sie nicht als ein erstes, absolutes hinzudenkt, deren Verbindung mit jenem von ihr unabhängigen Seyn zu erklären, euch schwer an-kommen möchte.  

...es ist gar nicht erklärt, was erklärt werden sollte. Den Uebergang vom Seyn zum Vor-stellen sollten sie nachweisen; dies thun sie nicht, noch können sie es thun; denn in ihrem Princip liegt lediglich der Grund eines Seyns, nicht aber des dem Seyn ganz entgegenge-setzten Vorstellens. Sie machen einen ungeheueren Sprung in eine ihrem Princip ganz fremde Welt. ...

Doch, wer könnte es dem Dogmatismus verwehren, eine Seele als eines von den Dingen an sich anzunehmen? Diese / gehört dann unter das von ihm zur Lösung der Aufgabe postulirte, und dadurch nur ist der Satz von einer Einwirkung der Dinge auf die Seele anwendbar, da im Materialismus nur eine Wechselwirkung der Dinge unter sich, durch welche der Gedanke hervorgebracht werden soll, stattfindet. 

Um das undenkbare denkbar zu machen, hat man das wirkende Ding, oder die Seele, oder beide, gleich so voraussetzen wollen, dass durch die Einwirkung Vorstellungen entstehen könnten. Das einwirkende Ding sollte so seyn, dass seine Einwirkungen Vorstellungen würden, etwa wie im Berkeley'schen Systeme Gott. (Welches System ein dogmatisches, und keinesweges ein idealistisches ist.) Hierdurch sind wir um nichts gebessert; wir ver-stehen nur mechanische Einwirkung, und es ist uns schlechthin unmöglich, eine andere zu denken; jene Voraussetzung also enthält blosse Worte, aber es ist in ihr kein Sinn. Oder die Seele soll von der Art seyn, dass jede Einwirkung auf sie zur Vorstellung würde. Aber hiermit geht es uns eben so, wie mit dem ersten Satze; wir können ihn schlechterdings nicht verstehen.

So verfährt der Dogmatismus allenthalben und in jeder Gestalt, in der er erscheint. In die ungeheure Lücke, die ihm zwischen Dingen und Vorstellungen übrig bleibt, setzt er statt einer Erklärung einige leere Worte, die man zwar auswendig lernen und wieder sagen kann, bei denen aber schlechthin noch nie ein Mensch etwas gedacht hat, noch je einer etwas denken wird. Wenn man nemlich sich bestimmt die Weise denken will, wie das vorgegebene geschehe, so verschwindet der ganze Begriff in einen leeren Schaum.

Der Dogmatismus kann sonach sein Princip nur wiederholen, und unter verschiedenen Gestalten wiederholen, es sagen, und immer wieder sagen; aber er kann von ihm aus nicht zu dem zu erklärenden übergehen, und es ableiten. In dieser Ableitung aber besteht eben die Philosophie. Der Dogmatismus ist sonach, auch von Seiten der Speculation angese-hen, gar keine Philosophie, sondern nur eine ohnmächtige Behauptung und Versicherung. Als einzig-mögliche Philosophie bleibt der Idealismus übrig.
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J. G. Fichte, Erste Einleitung in die Wissenschaftslehre, SW I, S. 435-438



Nota. - Ich erfahre lediglich die Widerstände, die ein Etwas meiner Tätigkeit entgegen-setzt. Daraus schließe ich auf seine Beschaffenheit.
4. 12. 22
 
Nota II. - Jede reelle Wissenschaft verfährt notgedrungen dogmatisch, hat hat schon Kant bemerkt: Sie setzt irgendetwas voraus, womit sie das vergleicht, wonach sie fragt. Noch keine Intelligent ist in die Welt getreten mit der Frage: Was ist das? Das wäre wie mit den Händen fuchteön im Nebel. Merke: Ein unbestimmtes Fragen gibt es nicht. Frage ich: Was ist dieses?, so will ich wissen, was dieses ist. Und habe es bereits unterschieden von allem andern, das es nicht ist. Die Frage Was ist es? tritt in der Wirklichkeit zuerst be-stimmt auf. Nämlich nachdem ich mir von Diesem schon eine Vorstellung gemacht habe: Ist es so, oder ist es nicht so? Vor der Frage kam eine Voraus-Setzung. Ist es nicht das, was ich mir vorgestellt habe - was ist es dann? 

Und schon haben wir es nicht mit einer bloßen unbefangenen Anschauung zu tun, son-dern mit einer absichtsvollen Reflexion. Wenn ich wissen will, womit ich zu tun habe, muss ich zurückgreifen auf das, worauf ich abgesehen hatte. Das war nicht, was mir vor-kam, sondern etwas, das ich vorhatte; zu tun vorhatte: mit 'diesem'.

Historisch hat damit nicht eine jede Wissenschaft neu angefangen und sich als diese spe-zifiziert. Das Wissen selbst - das Viele, das seit Jahunderttausenden die Menschen an Wis-sen angeschatzt hatten - ist so entstanden, und ohne dass die Wissenwollenden darauf re-flektiert hätten. Das ist erst geschehen, als die Menge des Gewussten so gewaltig wurde, dass man sie sortieren musste und nach ihrer gemeinsamen Voraussetzung befragen konnte.
 
Das wiederum versteht man seit Kant unter Philosophie. Und seither unterscheidet man zwischen reellen Wissenschaften, die notgedrungen 'dogmatisch' verfahren, und Weltan-schauungen, die Wissenschaft nur dogmatistisch gelten lassen. Zwischen beiden herrscht ein Krieg, der erst mit dem Garaus des Dogmatismus enden wird.
JE

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