Der transzendentale Philosoph muss annehmen, dass alles, was sei, nur für ein Ich sein soll, und was für ein Ich sein solle, nur durch das
Ich sein kann. Der gemeine Menschen-verstand gibt im Gegenteil beiden
eine unabhängige Existenz und behauptet, dass die Welt immer sein
würde, wenn auch er nicht wäre.
Der letztere hat nicht Rücksicht auf die Behauptung des ersteren zu nehmen und kann es nicht, denn er steht auf einem niederen Gesichtspunkte;* der erstere aber muss auf den letzteren allerdings sehen, und seine Behauptung
ist so lange unbestimmt und eben da-durch zum Teil unrichtig, bis er
gezeigt hat, wie gerade aus seiner Behauptung das Letz-tere notwedig
folge und nur durch diese Voraussetzung sich erklären lasse. Die
Philoso-phie muss unsere Überzeugung von dem Dasein einer Welt außer uns
demonstrieren.
Dies ist nun hier aus
der Möglichkeit des Selbstbewusstseins geschehen, und jene Über-zeugung
ist als Bedingung des Selbstbewusstseins erwiesen. Weil das Ich sich im
Selbstbe-wusstsein nur praktisch setzen kann, überhaupt aber nichts als
ein Endliches setzen kann, mithin zugleich eine Grenze seiner praktischen
Tätigkeit setzen muss, darum
muss es eine Welt außer sich setzen. So verfährt ursprünglich jedes
vernünftige Wesen, und so verfährt ohne Zweifel auch der Philosoph. /
Wenn nun gleich der Letztere hinterher einsieht, dass das Vernunftwesen zuvörderst seine unterdrückte** praktische
Tätigkeit setzen müsse, um das Objekt setzen und bestimmen zu können,
dass mithin das Objekt selbst gar nicht unmittelbar gegeben, sondern
dass es zufolge eines andern ursprünglich erst hervorgebracht sei, so
hindert dies den gemeinen Menschenverstand nicht, der dieser soeben
postulierten Verrichtungen sich nicht bewusst sein kann, da sie die
Möglichkeit alles Bewusstseins bedingen und somit außerhalb des
Umkreises desselben liegen, und der die Spekulationen, die die
Überzeugung des Philoso-phen leiten, nicht macht; es hindert selbst den
Philosophen nicht, sobald er auf den Ge-sichtspunkt des gemeinen
Menschverstandes zu stehen kommt.
*) = Reflexionsstufe
**) an besagter Grenze abgebrochene
____________________________________________________________________
J. G. Fichte, Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, SW Bd. III S. 24f.
Nota. -
Die Annahme einer wirklichen Welt ergibt sich nicht aus der Erfahrung,
sondern ist ihr als Bedingung vorausgesetzt; nämlich in unserer
Vorstellung. Darüber, ob 'es' eine Welt wirklich 'gibt', ist damit
freilich nichts gesagt.
Auch noch nichts ist darüber gesagt, wie wir es anstellen - aber wir stellen
es täglich an! -, die Vorstellungen, denen ein Objekt außerhalb der
Vorstellung entspricht, zu unterschei-den von jenen, denen keins
entspricht. Darauf kommt es dem gemeinen Menschenver-stand aber viel
mehr an als auf metaphysische Fragen.
Es geht wieder um den Denkzwang. Das Ich muss ein
Nicht-Ich setzen und sich entge-gensetzen aufgrund des Widerstands, den
es seiner Tätigkeit entgegensetzt, denn der schafft das Gefühl. Es geht darum, dass da eines ist; bestimmen, wie es ist - qualifizieren -,
muss wiederum das Ich selbst. So kommt der Prozess des Selbstbestimmens
in Gang. Und wo immer er auf Widerstand stößt, zeugt er von der
Objektivität des Gegenstands.
Der Widerstand übt, so oder so, einen Denkzwang aus. Aber eben: so oder so. Bei realen Objekten muss das Denken innehalten, deliberieren und nach einem Aus-, d. h. Umweg suchen. Ideelle Objekte dagegen weisen den Weg unmittelbar: Es bleibt gar keine Wahl.
(Warum? Weil sie im selben Medium liegen wie die Operationen des Denkens.)
JE 13. 1. 19
Nota. Das
obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie
der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht
wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE
Dienstag, 19. Dezember 2023
Die Wirklichkeit der Welt und ihr Widerstand.
aus Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik
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