Montag, 4. Dezember 2023

Hysteron proteron, oder Die ursprüngliche Synthesis.

timewgod                                                                        aus Philosophierungen

Der Grund der Unmöglichkeit, das Selbstbewusstsein zu erklären, ohne es immer als schon vorhanden vorauszusetzen, lag darin, dass, um seine Wirksamkeit setzen zu kön-nen, das Subjekt des Selbstbewusstseins immer schon vorher ein Objekt, bloß als solches, gesetzt haben musste: und wir sonach immer aus dem Momente, in welchem wir den Fa-den anknüpfen wollten, zu einem vorigen getrieben wurden, wo er schon angeknüpft sein musste. 

Dieser Grund muss gehoben werden. Er ist aber nur so zu heben, dass angenommen werde, die Wirksamkeit des Subjektes sei mit dem Objekte in einem Moment synthetisch vereinigt: Die Wirksamkeit des Subjekts sei selbst das wahrgenommene und begriffene Objekt, das Objekt sei kein anderes, als diese Wirksamkeit des Subjekts, und so seien beide dasselbe.

Nur von einer solchen Synthesis würden wir nicht weiter zu einer vorhergehenden ge-trieben; sie allein enthielte alles, was das Selbstbewusstsein bedingt, in sich, und gäbe einen Punkt, an welchen der Faden des Selbstbewusstseins sich anknüpfen ließe. Nur unter dieser Bedingung ist das Selbstbewusstsein möglich. ...

Es ist die Frage nur, was denn die aufgestellte Synthesis bedeuten möge, was sich darunter verstehen lasse, und wie das in ihr Geforderte möglich sein werde. Wir haben sonach von jetzt an das Gefundene nur noch zu analysieren.

Es scheint, dass die vorgenommene Synthesis statt der Unbegreiflichkeit, die sie heben wollte, uns einen voll- kommenen Widerspruch zumutet.
______________________________________________
J. G. Fichte, Grundlage des Naturrechts..., SW III, S. 31f. 


Nota I. - Aber freilich ist nicht der Akt der Selbstbewusstwerdung selber eine Synthesis von zwei vorher Getrennten. Er ist ein Akt. Doch als solcher kommt er im Bewusstsein nicht vor. Im Bewusstsein kommt sein Ergebnis vor: die Entgegensetzung von Ich und Nicht-Ich. In der Vorstellung müssen wir sie nachträglich 'synthetisieren': und so kommt uns das Zweite als das Erste vor. Von nichts anderm als von Vorstellungen aber handelt die Transzendentalphilosophie. Die Vorstellung stellt sich sich selber vor. Da steht alles auf dem Kopf.

15. 10. 17 

Nota II. - Das Ich findet sich, sobald es sich setzt, vor als sich-selbst voraus gesetzt: Das ist dieselbe Denkfigur, rückwärts betrachtet. - Die Philosophie hat nur mit dem zu tun, was in unserer Vorstellung vorkommt. Das Setzen meiner kommt in meiner Vorstellung nicht vor und kann darin nicht vorkommen, weil mein Vorstellen nicht begonnen hat, be-vor ich 'mich gesetzt' habe. Sobald ich mit dem Vorstellen beginnen kann, bin ich schon einer der beiden 'Getrennten'. Und doch muss ich mir vorstellen, dass ich schon 'da' war, bevor ich mich gesetzt habe, denn wer anders könnte mich sonst gesetzt haben? Und ge-setzt bin ich, so finde ich mich vor. 

Indes, was 'mich gesetzt' hat, war nicht 'ich', sondern der Akt des Setzens selbst. Subjekt und Objekt fallen erst auseinander, wenn der Satz gesagt ist. Das ursprünglich Reale der Wissenschaftslehre sind nicht Seiende, sondern Handlungen im Moment ihres Gesche-hens. Ich habe darum gelegentlich riskiert, sie eine aktualistische Fundamentalontologie zu nennen.
JE, 26. 2. 19


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Noumena.*

                                        zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik    Ein Begriff, der uns in die intelli...