Sonntag, 24. Dezember 2023

Maschinelle Moral?

                                                         zu Philosophierungen 

Der elementare Fehler in dem ganzen Ansatz ist... nein, nicht erst, dass er soziale Klugheit für Moralität hält - das ist nur abgeleitet. Zugrunde liegt vielmehr die Auffassung, als sei Moralität so etwas wie Verstand. Nämlich so etwas wie Logik: das Höhere begründet das Niedere, das Allgemeine das Besondere, das Prinzip seine Ableitungen, der Zweck das Mittel. Moralisches Handeln bestünde im Zuordnen einzelner Fälle zu einer je anzuwen-denden Norm. 

Das ist immernoch besser, als würde unter Moral eine Summe einzelner Fälle verstanden und bestünde in einer Art empirisch auszumachenden gemeinsamen Nenners. Aber weni-ger falsch ist es nicht.

Moral kommt von lat. mos, mores - Sitte, Gebräuche. Das griechische ethos bedeutet das-selbe; Ethologie heißt daher die Verhaltenskunde bei Mensch und Tier. 

Historisch waren sie der Ursprung dessen, was man heute unter Sittlichkeit versteht; sie bestimmen, was sich gehört und was sich nicht gehört. Dass ein Unterschied, gar ein Ge-gensatz entstehen kann zwischen dem, was sich in einer historisch gewachsenen Gemein-schaft gehört, und dem, ich für meine höchstpersönliche Pflicht erkenne, ist eine verhält-nismäßig junge Erkenntnis, und sie beruht auf einer Erfahrung, die erst in komplexen mo-dernen, nämlich bürgerlichen Gesellschaften so allgemein wurde, dass sie einen besonde-ren Namen nötig machte. Antigone war ein Einzelfall und als solcher tragisch. Der Kon-flikt zwischen gesellschaftlichen Normen und dem, was mir mein Gewissen gebietet, ist schon eine banale bürgerliche Standardsituation. Weil nämlich das eigenverantwortliche, autonome Subjekt zur selbstverständlichen Existenzbedingung geworden ist: Es muss selber entscheiden.

Die Sprache unterscheidet noch immer nur zwischen positiven herrschenden Moralen und einer problematischen Moralität. Die Verwirrung ist daher groß. Es kann ja vorkom-men und tut es oft genug, dass der ganz außermoralische Blick auf meinen Vorteil mir rät, dem Gebot der herrschenden Moral zu folgen und die Stimme meines Gewissens zu überhören. 

Wer oder was ist aber mein Gewissen? Es ist das Bild, das ich mir von mir selbst gemacht habe und um dessentwillen ich mich achte. Der Autor sagt es selbst: Die Maschine kann sich nicht verantworten - nämlich nicht vor sich. 

Nun kann ich keinen Andern achten, wenn ich mich selbst nicht achte - und auf einmal verkehren sich die Seiten: Moralität wird zur Bedingung sozialer Klugheit. Und letztere muss der Maschine einprogrammiert werden, weil sie diese Bedingung selber nicht hat.

 

Das spielt in obigem Text freilich alles gar keine Rolle. Lesen Sie nochmal nach: Vor Ge-wissensentscheidungen stellt er seine Maschinen nirgendwo. Es geht überall nur um Nütz-lichkeitserwägungen in mehr oder weniger allgemeiner Hinsicht. So dass er mit seinem Ding problemlos durchgehen könnte, wenn er nur... bescheiden genug wäre, von Moral nicht zu reden.

Doch tut er es ganz ungeniert, und mit ihm Kreti und Plethi. Es passt, aber das ist keine Rechtfertigung, perfekt in eine Zeit, wo es neben Fakten noch alternative Fakten gibt und keiner es so genau nimmt; aber ein jeder zusieht, wo er bleibt.

aus Maschinelle Moral?, 14. März 2019

 

Nota. - Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE

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