Mittwoch, 18. Januar 2023

Tätigkeit gibt es nicht überhaupt, sondern nur die eine oder die andere.

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6. Ich setze mich als tätig, heißt in dem zu untersuchenden Gemütszustande keineswegs, ich schreibe mir Tätigkeit überhaupt, sondern, ich schreibe mir eine bestimmte, gerade eine solche und keine andere Tätigkeit zu.

Das Subjektive wird, wie wir soeben gesehen haben, durch seine bloße Trennung vom Objektiven ganz abhän- gig und durchaus gezwungen, und der Grund dieser seiner mate-riellen Bestimmtheit, seiner Bestimmtheit in Rücksicht des Was, liegt keineswegs in ihm, sondern in dem Objektiven. Das Subjektive erscheint als ein bloßes Erkennen eines ihm Vorschwebenden, keineswegs und in keiner Rücksicht als ein tätiges Hervorbringen der Vorstellung. So muss es beim Ursprunge alles Bewusstseins, wo die Trennung des Subjek-tiven und Objektiven vollkommen ist, notwendig sein. Im Fortgange des Bewusstseins erscheint, aber vermittelst einer Synthesis, das Subjektive auch als frei und bestimmend, indem es als abstrahierend erscheint; und dann vermag es z. B. auch Tätigkeit überhaupt und als solche zwar nicht wahrzunehmen, aber doch frei zu beschreiben. Hier aber stehen wir beim Ursprunge alles Bewusstseins, und die zu untersuchende Vorstellung ist daher notwendig eine Wahrnehmung, d. h. das Subjektive erscheint in ihr als ganz ohne sein eignes Zutun bestimmt.

Was heißt nun das: eine bestimmte Tätigkeit, und wie wird sie zur bestimmten? Lediglich dadurch, dass ihr ein Widerstand entgegengesetzt wird; entgegengesetzt durch ideale Tä-tigkeit, gedacht und eingebildet als ihr gegenüberstehend. Wo und inwiefern du Tätigkeit erblickst, erblickst du notwendig auch Widerstand; denn außerdem erblickst du keine Tä-tigkeit.

Zuvörderst lasse man sich hierbei dies nicht entgehen: Dass ein solcher Widerstand er-scheint, ist lediglich Resultat der Gesetze des Bewusstseins, und der Widerstand lässt sich daher füglich als ein Produkt dieser Gesetze betrachten. Das Gesetz selbst, nach welchem er für uns da ist, lässt sich ableiten aus der notwendigen Trennung eines Subjektiven von einem Objektiven, und aus dem schlechthin gesetzten Verhältnisse des ersteren zum letz-teren, wie es soeben geschehen ist. Aus diesem Grunde ist das Bewusstsein des Wider-standes ein vermitteltes, keineswegs ein unmittelbares Bewusstsein; vermittelt dadurch, dass ich mich als bloß erkennendes und in dieser Erkenntnis von der Objektivität ganz abhängiges Subjekt betrachten muss.

Dann entwickle man die Merkmale dieser Vorstellung von einem Widerstande aus ihrer Entstehungsweise. Dieser Widerstand wird als das Gegenteil der Tätigkeit vorgestellt; also als etwas nur Bestehendes, ruhig und tot Vorliegendes, das da bloß ist, keineswegs aber handelt, das nur zu bestehen strebt, und daher allerdings mit einem Maße von Kraft zu bleiben, was es ist, der Einwirkung der Freiheit auf seinem eignen Boden widersteht, nim-mermehr aber dieselbe auf ihrem Gebiete anzugreifen vermag; kurz, bloße Objektivität. So etwas heißt mit seinem eigentümlichen Namen Stoff.

Ferner, alles Bewusstsein ist bedingt durch das Bewußtsein meiner selbst, dieses ist be-dingt durch die Wahrnehmung meiner Tätigkeit, diese durch das Setzen eines Widerstan-des als eines solchen. Also, der Widerstand mit dem soeben angegebenen Charakter er-strecket sich notwendig durch die ganze Sphäre meines Bewusstseins; dauert neben dem-selben fort, und die Freiheit kann nie gesetzt werden als das geringste über ihn vermö-gend, weil dadurch sie selbst und alles Bewusstsein und alles Sein wegfiele. - Die Vorstel-lung eines durch meine Wirksamkeit schlechthin nicht zu verändernden Stoffes, die wir oben in der Wahrnehmung unserer Wirksamkeit enthalten fanden, ist aus den Gesetzen des Bewusstseins abgeleitet.

Die eine der aufgeworfenen Hauptfragen ist beantwortet: wie wir nämlich dazu kommen, ein Subjektives, einen Begriff anzunehmen, der aus einem Objektiven, einem Sein, folgen und dadurch bestimmt sein soll. Es ist dies, wie wir gesehen haben, die notwendige Folge davon, dass wir ein Subjektives und ein Objektives in uns im Bewusstsein trennen und doch als eins ansehen. Das bestimmte Verhältnis aber, dass das Subjektive durch das Ob-jektive bestimmt sein soll, nicht aber umgekehrt, entsteht aus dem schlechthin gesetz-ten Verhältnissedes Subjektiven als solchen zu einem Objektiven als solchen. Und so ist das Prinzip und die Aufgabe aller theoretischen Philosophie abgeleitet.
aus J. G. Fichte, System der Sittenlehre nach Prinzipien der Wissenschaftslehre; in ders., Sämmtliche Werke Bd. IV, Hamburg (Felix Meiner) 1995, S. 6-8.


Nota. - Ich kann nicht zuerst 'überhaupt' tätig sein und erst anschließend meine Tätigkeit bestimmen, weil Tätigsein selber bestimmen ist. Ich kann darum nicht tätig sein, ohne davon zu wissen: Nur absichtsvolles Handeln gilt als Tätigkeit, alles andere ist zufälliges Naturgeschehen. Wie bewusst die Absicht ist, bleibt noch offen.

Den Stoff, das bloß Objektive kann ich mir dagegen sehr wohl unbestimmt vorstellen, sofern ich es nämlich nicht selber bestimmt habe. Dass sie sich selbst bestimmen könnten, brauche ich mir nicht vorzustellen, denn wenn sie eine Absicht hätten, setzten sie ihr keinen Widerstand entgegen und blieben - unbestimmt. Das ist spitzfindig.
JE




Nota. Das obige Bild gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE

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Bestimmt, unbestimmt, bestimmbar; setzen, abstrahieren.

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