Donnerstag, 19. Januar 2023

Die absolute Selbstständigkeit des Begriffs gegen das Begriffene.

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7. Ich setze mich als tätig. Vom Subjektiven und Objektiven in diesem Setzen, seiner Trennung, seiner Vereinigung und dem ursprünglichen Verhältnisse beider zu einander ist zur Genüge gesprochen; nur das Prädikat, welches dem einen und unzertrennlichen Ich zugeschrieben wird, haben wir noch nicht untersucht. Was heißt doch das, tätig sein, und was setze ich eigentlich, wenn ich mir Tätigkeit zuschreibe?

Das Bild der Tätigkeit überhaupt, einer Agilität, Bewegung oder wie man es mit Worten ausdrücken mag, wird bei dem Leser vorausgesetzt und lässt sich keinem andemonstrie-ren, der es nicht in der Anschauung seiner selbst findet. Diese innere Agilität lässt dem Objektiven als solchen schlechthin sich nicht zuschreiben, wie wir soeben gesehen haben; es besteht nur und ist und bleibt, was es ist. Nur dem Subjektiven, der Intelligenz als sol-cher, kommt sie der Form ihres Handelns nach zu. Der Form nach, sage ich; denn das Materielle der Bestimmung soll, wie wir oben gesehen haben, in einer anderen Beziehung durch das Objektive bestimmt sein. /

Das Vorstellen, seiner Form nach, wird angeschaut als freieste innere Bewegung. Nun soll ich, das Eine unteilbare Ich, tätig sein; und das, was auf das Objekt wirkt, ist ohne allen Zweifel dies Objektive in mir, die reelle Kraft. Dies alles bedacht, lässt meine Tätigkeit sich nur so setzen, dass sie ausgehe vom Subjektiven, als bestimmend das Objektive; kurz, als eine Kausalität des bloßen Begriffs auf das Objektive, welcher Begriff insofern nicht wieder durch ein anderes Objektives bestimmt werden kann, sondern absolut in und durch sich selbst bestimmt ist.

Es ist jetzt auch die zweite der oben aufgeworfenen Hauptfragen beantwortet: Wie kom-me ich dazu, anzunehmen, dass ein Objektives aus einem Subjektiven, ein Sein aus einem Begriffe erfolge? - und es ist dadurch das Prinzip der ganzen praktischen Philosophie ab-geleitet. Diese Annahme kommt nämlich daher, weil ich mich absolut als tätig setzen muss - aber, nachdem ich ein Subjektives in mir und ein Objektives unterschieden habe, diese Tä-tigkeit nicht anders beschreiben kann, denn als eine Kausalität des Begriffs. 

- Absolute Tätigkeit ist das eine schlechthin und unmittelbar mir zukommende Prädikat; Kausalität durch den Begriff ist die durch die Gesetze des Bewusstseins notwendig ge-machte und einzig mögliche Darstellung desselben. In dieser letzten Gestalt nennt man die absolute Tätigkeit auch Freiheit. Freiheit ist die sinnliche Vorstellung der Selbsttä-tigkeit, und dieselbe entsteht durch den Gegensatz mit der Gebundenheit des Objekts und unserer selbst als Intelligenz, inwiefern wir dasselbe auf uns beziehen.

Ich setze mich frei, inwiefern ich ein sinnliches Handeln oder ein Sein aus meinem Be-griffe, der dann Zweckbegriff heißt, erkläre. Das oben aufgestellte Faktum: Ich finde mich wirkend, ist daher nur unter der Bedingung möglich, inwiefern ich einen von mir selbst entworfenen Begriff voraussetze, nach welchem die Wirksamkeit sich richten und durch ihn sowohl  begründet als materialiter bestimmt sein soll. Wir erhalten sonach hier außer den schon oben aufgestellten mannigfaltigen Merkmalen in der Vorstellung unserer  Wirksamkeit noch ein neues, welches oben zu bemerken nicht nötig war, und das hier zugleich mit abgleitet wurde. Aber es ist wohl zu merken, dass das vorhergegangene Entwerfen eines solchen Begriffs nur  gesetzt werde und lediglich zur sinnlichen Ansicht unserer Selbsttätigkeit gehöre.

Der Begriff, aus welchem eine objektive Bestimmung erfolgen soll, der Zweckbegriff, wie man ihn nennt, ist, wie soeben erinnert worden, nicht selbst wieder durch ein Objektives bestimmt, sondern er ist absolut durch sich selbst bestimmt. Denn wäre er dies nicht, so wäre ich nicht absolut tätig und würde nicht unmittelbar so gesetzt, sondern meine Tätig-keit wäre abhängig von einem Sein und dasselbe vermittelt, welches gegen die Vorausset-zung läuft. Im Verlauf des angeknüpften Bewusst-Seins obwohl nicht bestimmt, doch be-dingt; so aber ist hier, beim Ursprunge alles Bewusstseins, wo von der Tätigkeit ausgegan-gen wird und dieselbe absolut ist, die Sache nicht anzusehen. - Das wichtigste Resultat hieraus ist dieses: 

Es gibt eine absolute Unabhängigkeit und Selbstständigkeit des Begriffs (das Kategorische in dem sogenannten kategorischen Imperativ) zufolge der Kausalität des Subjektiven auf das Objektive, ebenso wie es ein absolutes durch sich selbst gesetztes Sein (des materiel-len Stoffs) geben soll, zufolge der Kausalität des Objektiven auf das Subjektive; und wir haben sonach die beiden Enden der ganzen Vernunftwelt aneinander geknüpft. (Wer nur wenigstens die Selbstständigkeit des Begriffs gehörig fasst, dem wird damit das vollkom-mene Licht über unser ganzes System und mit ihm die unerschütterlichste Überzeugung von der Wahrheit desselben entstehen.)
aus J. G. Fichte, System der Sittenlehre nach Prinzipien der Wissenschaftslehre; in ders., Sämmtliche Werke Bd. IV, Hamburg (Felix Meiner) 1995, S. 8-10.


Nota. - Absolute Selbstständigkeit des Begriffs? Gegenüber dem, was er begreift: Er ist immer Tätigkeit eines Begreifenden. Und darum hat er auch Kausalität, denn er ist ur-sprünglich Absicht und Zweck. Ihm gegenüber ist der Stoff objektiv und erscheint als durch sich selbst gesetzt. Die Synthesis beider ist reale Tätigkeit. Eine Synthesis vor ihrer Trennung! Denn die geschieht immer erst nachträglich in der Re flexion: Da erscheint das Agile hier als ebenso selbstständig wie der Widerstand des Stoffs dort.
JE


Nota. Das obige Bild gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE

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